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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Erweiterung des Kirchenstaates.
Mindeste ahndete, wie mit einem Netz umgeben; kaum entrann
ihm derselbe, in seinem eignen Lande ein verfolgter Flücht-
ling 1). Vitelli, Baglioni, die Häupter der Orsinen woll-
ten ihm hierauf wenigstens zeigen, daß sie ihm Widerstand
leisten könnten. Er sagte: es ist gut, die zu betrügen,
welche die Meister aller Verräthereien sind; mit überlegter,
von ferne her berechneter Grausamkeit lockte er sie in seine
Falle; ohne Erbarmen entledigte er sich ihrer. Nachdem
er dergestalt beide Parteien gedämpft hatte, trat er an ihre
Stelle; ihre Anhänger, die Edelleute von niederem Range
zog er nun an sich und nahm sie in seinen Sold; die
Landschaften, die er erobert, hielt er mit Schrecken und
Strenge in Ordnung.

Und so sah Alexander seinen lebhaftesten Wunsch er-
füllt, -- die Barone des Landes vernichtet -- sein Haus
auf dem Wege eine große erbliche Herrschaft in Italien
zu gründen. Allein schon hatte er selbst zu fühlen bekom-
men, was die aufgeregten Leidenschaften vermögen. Mit
keinem Verwandten noch Günstling wollte Cesar diese Ge-
walt theilen. Seinen Bruder, der ihm im Wege stand,
hatte er ermorden und in die Tiber werfen lassen; auf der
Treppe des Pallastes ließ er seinen Schwager anfallen 2).

1) In der großen handschriftlichen Chronik des Sanuto fin-
den sich im ganzen 4ten Bande noch viele merkwürdige Notizen über
Cesar Borgia: auch einige Briefe von ihm; an Venedig vom Dez.
1502; an den Papst; in dem letzten unterzeichnet er sich: Vrae. Stis.
humillimus servus et devotissima factura.
2) Diario de Sebastiano di Branca de Telini: Ms. bibl.
Barb. nr.
1103. zählt die Gräuelthaten Cesars folgender Ge-
stalt auf: Il primo, il fratello che si chiamava lo duca di Gan-
dia, lo fece buttar in fiume: fece ammazzare lo cognato che
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Erweiterung des Kirchenſtaates.
Mindeſte ahndete, wie mit einem Netz umgeben; kaum entrann
ihm derſelbe, in ſeinem eignen Lande ein verfolgter Fluͤcht-
ling 1). Vitelli, Baglioni, die Haͤupter der Orſinen woll-
ten ihm hierauf wenigſtens zeigen, daß ſie ihm Widerſtand
leiſten koͤnnten. Er ſagte: es iſt gut, die zu betruͤgen,
welche die Meiſter aller Verraͤthereien ſind; mit uͤberlegter,
von ferne her berechneter Grauſamkeit lockte er ſie in ſeine
Falle; ohne Erbarmen entledigte er ſich ihrer. Nachdem
er dergeſtalt beide Parteien gedaͤmpft hatte, trat er an ihre
Stelle; ihre Anhaͤnger, die Edelleute von niederem Range
zog er nun an ſich und nahm ſie in ſeinen Sold; die
Landſchaften, die er erobert, hielt er mit Schrecken und
Strenge in Ordnung.

Und ſo ſah Alexander ſeinen lebhafteſten Wunſch er-
fuͤllt, — die Barone des Landes vernichtet — ſein Haus
auf dem Wege eine große erbliche Herrſchaft in Italien
zu gruͤnden. Allein ſchon hatte er ſelbſt zu fuͤhlen bekom-
men, was die aufgeregten Leidenſchaften vermoͤgen. Mit
keinem Verwandten noch Guͤnſtling wollte Ceſar dieſe Ge-
walt theilen. Seinen Bruder, der ihm im Wege ſtand,
hatte er ermorden und in die Tiber werfen laſſen; auf der
Treppe des Pallaſtes ließ er ſeinen Schwager anfallen 2).

1) In der großen handſchriftlichen Chronik des Sanuto fin-
den ſich im ganzen 4ten Bande noch viele merkwuͤrdige Notizen uͤber
Ceſar Borgia: auch einige Briefe von ihm; an Venedig vom Dez.
1502; an den Papſt; in dem letzten unterzeichnet er ſich: Vṟa̱e̱. Sṯi̱s̱.
humillimus servus et devotissima factura.
2) Diario de Sebastiano di Branca de Telini: Ms. bibl.
Barb. nr.
1103. zaͤhlt die Graͤuelthaten Ceſars folgender Ge-
ſtalt auf: Il primo, il fratello che si chiamava lo duca di Gan-
dia, lo fece buttar in fiume: fece ammazzare lo cognato che
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[49/0075] Erweiterung des Kirchenſtaates. Mindeſte ahndete, wie mit einem Netz umgeben; kaum entrann ihm derſelbe, in ſeinem eignen Lande ein verfolgter Fluͤcht- ling 1). Vitelli, Baglioni, die Haͤupter der Orſinen woll- ten ihm hierauf wenigſtens zeigen, daß ſie ihm Widerſtand leiſten koͤnnten. Er ſagte: es iſt gut, die zu betruͤgen, welche die Meiſter aller Verraͤthereien ſind; mit uͤberlegter, von ferne her berechneter Grauſamkeit lockte er ſie in ſeine Falle; ohne Erbarmen entledigte er ſich ihrer. Nachdem er dergeſtalt beide Parteien gedaͤmpft hatte, trat er an ihre Stelle; ihre Anhaͤnger, die Edelleute von niederem Range zog er nun an ſich und nahm ſie in ſeinen Sold; die Landſchaften, die er erobert, hielt er mit Schrecken und Strenge in Ordnung. Und ſo ſah Alexander ſeinen lebhafteſten Wunſch er- fuͤllt, — die Barone des Landes vernichtet — ſein Haus auf dem Wege eine große erbliche Herrſchaft in Italien zu gruͤnden. Allein ſchon hatte er ſelbſt zu fuͤhlen bekom- men, was die aufgeregten Leidenſchaften vermoͤgen. Mit keinem Verwandten noch Guͤnſtling wollte Ceſar dieſe Ge- walt theilen. Seinen Bruder, der ihm im Wege ſtand, hatte er ermorden und in die Tiber werfen laſſen; auf der Treppe des Pallaſtes ließ er ſeinen Schwager anfallen 2). 1) In der großen handſchriftlichen Chronik des Sanuto fin- den ſich im ganzen 4ten Bande noch viele merkwuͤrdige Notizen uͤber Ceſar Borgia: auch einige Briefe von ihm; an Venedig vom Dez. 1502; an den Papſt; in dem letzten unterzeichnet er ſich: Vṟa̱e̱. Sṯi̱s̱. humillimus servus et devotissima factura. 2) Diario de Sebastiano di Branca de Telini: Ms. bibl. Barb. nr. 1103. zaͤhlt die Graͤuelthaten Ceſars folgender Ge- ſtalt auf: Il primo, il fratello che si chiamava lo duca di Gan- dia, lo fece buttar in fiume: fece ammazzare lo cognato che 4

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/75>, abgerufen am 06.05.2024.