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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch III. Die Päpste um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Borromeo, Philipp II., die gesammte strengere Partei das
Heil der Kirche zu sehen. Die römischen Bürger waren
vielleicht nicht so zufrieden. Pius V. erfuhr es: er sagte:
"desto mehr sollen sie mich beklagen wenn ich todt bin."

Er lebte auch als Papst in der ganzen Strenge sei-
nes Mönchthums; er hielt die Fasten in ihrem vollen
Umfange, unnachläßlich; er erlaubte sich kein Kleid von
feinerem Zeug 1); oft las er, alle Tage hörte er Messe; doch
sorgte er dafür, daß die geistlichen Uebungen ihn nicht an
den öffentlichen Geschäften hinderten; er hielt keine Sieste,
mit dem frühesten war er auf. Wollte man zweifeln, ob
sein geistlicher Ernst in ihm einen tieferen Grund gehabt,
so möchte dafür ein Beweis seyn, daß er fand, das Papst-
thum sey ihm zur Frömmigkeit nicht förderlich; zum Heile
der Seele, die Glorie des Paradieses zu erlangen, trage
es nicht bei; er meinte, diese Last würde ihm ohne das
Gebet unerträglich seyn. Das Glück einer inbrünstigen
Andacht, das einzige, dessen er fähig war, einer Andacht,
die ihn oft bis zu Thränen rührte, und von der er mit
der Ueberzeugung aufstand, er sey erhört, blieb ihm bis
an sein Ende gewährt. Das Volk war hingerissen, wenn
es ihn in den Processionen sah, barfuß, und ohne Kopf-
bedeckung, mit dem reinen Ausdruck einer ungeheuchelten
Frömmigkeit im Gesicht, mit langem schneeweißen Bart;
sie meinten einen so frommen Papst habe es noch niemals
gegeben; sie erzählten sich, sein bloßer Anblick habe Pro-

1) Catena. Tiepolo: Ne mai ha lasciato la camisia di
rassa, che come frate incomincio di portare. Fa le orationi di-
votissimamente et alcune volte colle lacrime.

Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
Borromeo, Philipp II., die geſammte ſtrengere Partei das
Heil der Kirche zu ſehen. Die roͤmiſchen Buͤrger waren
vielleicht nicht ſo zufrieden. Pius V. erfuhr es: er ſagte:
„deſto mehr ſollen ſie mich beklagen wenn ich todt bin.“

Er lebte auch als Papſt in der ganzen Strenge ſei-
nes Moͤnchthums; er hielt die Faſten in ihrem vollen
Umfange, unnachlaͤßlich; er erlaubte ſich kein Kleid von
feinerem Zeug 1); oft las er, alle Tage hoͤrte er Meſſe; doch
ſorgte er dafuͤr, daß die geiſtlichen Uebungen ihn nicht an
den oͤffentlichen Geſchaͤften hinderten; er hielt keine Sieſte,
mit dem fruͤheſten war er auf. Wollte man zweifeln, ob
ſein geiſtlicher Ernſt in ihm einen tieferen Grund gehabt,
ſo moͤchte dafuͤr ein Beweis ſeyn, daß er fand, das Papſt-
thum ſey ihm zur Froͤmmigkeit nicht foͤrderlich; zum Heile
der Seele, die Glorie des Paradieſes zu erlangen, trage
es nicht bei; er meinte, dieſe Laſt wuͤrde ihm ohne das
Gebet unertraͤglich ſeyn. Das Gluͤck einer inbruͤnſtigen
Andacht, das einzige, deſſen er faͤhig war, einer Andacht,
die ihn oft bis zu Thraͤnen ruͤhrte, und von der er mit
der Ueberzeugung aufſtand, er ſey erhoͤrt, blieb ihm bis
an ſein Ende gewaͤhrt. Das Volk war hingeriſſen, wenn
es ihn in den Proceſſionen ſah, barfuß, und ohne Kopf-
bedeckung, mit dem reinen Ausdruck einer ungeheuchelten
Froͤmmigkeit im Geſicht, mit langem ſchneeweißen Bart;
ſie meinten einen ſo frommen Papſt habe es noch niemals
gegeben; ſie erzaͤhlten ſich, ſein bloßer Anblick habe Pro-

1) Catena. Tiepolo: Nè mai ha lasciato la camisia di
rassa, che come frate incominciò di portare. Fa le orationi di-
votissimamente et alcune volte colle lacrime.
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[354/0380] Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. Borromeo, Philipp II., die geſammte ſtrengere Partei das Heil der Kirche zu ſehen. Die roͤmiſchen Buͤrger waren vielleicht nicht ſo zufrieden. Pius V. erfuhr es: er ſagte: „deſto mehr ſollen ſie mich beklagen wenn ich todt bin.“ Er lebte auch als Papſt in der ganzen Strenge ſei- nes Moͤnchthums; er hielt die Faſten in ihrem vollen Umfange, unnachlaͤßlich; er erlaubte ſich kein Kleid von feinerem Zeug 1); oft las er, alle Tage hoͤrte er Meſſe; doch ſorgte er dafuͤr, daß die geiſtlichen Uebungen ihn nicht an den oͤffentlichen Geſchaͤften hinderten; er hielt keine Sieſte, mit dem fruͤheſten war er auf. Wollte man zweifeln, ob ſein geiſtlicher Ernſt in ihm einen tieferen Grund gehabt, ſo moͤchte dafuͤr ein Beweis ſeyn, daß er fand, das Papſt- thum ſey ihm zur Froͤmmigkeit nicht foͤrderlich; zum Heile der Seele, die Glorie des Paradieſes zu erlangen, trage es nicht bei; er meinte, dieſe Laſt wuͤrde ihm ohne das Gebet unertraͤglich ſeyn. Das Gluͤck einer inbruͤnſtigen Andacht, das einzige, deſſen er faͤhig war, einer Andacht, die ihn oft bis zu Thraͤnen ruͤhrte, und von der er mit der Ueberzeugung aufſtand, er ſey erhoͤrt, blieb ihm bis an ſein Ende gewaͤhrt. Das Volk war hingeriſſen, wenn es ihn in den Proceſſionen ſah, barfuß, und ohne Kopf- bedeckung, mit dem reinen Ausdruck einer ungeheuchelten Froͤmmigkeit im Geſicht, mit langem ſchneeweißen Bart; ſie meinten einen ſo frommen Papſt habe es noch niemals gegeben; ſie erzaͤhlten ſich, ſein bloßer Anblick habe Pro- 1) Catena. Tiepolo: Nè mai ha lasciato la camisia di rassa, che come frate incominciò di portare. Fa le orationi di- votissimamente et alcune volte colle lacrime.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/380>, abgerufen am 24.11.2024.