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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Ausbildung des jesuitischen Institutes.

Er beginnt damit, seiner Sünden inne zu werden. Er
betrachtet, wie um einer einzigen willen die Engel in die
Hölle gestürzt worden, für ihn aber, obwohl er viel grö-
ßere begangen, die Heiligen vorgebeten, Himmel und Ge-
stirne, Thiere und Gewächse der Erde ihm gedient haben;
um nun von der Schuld befreit zu werden und nicht in
die ewige Verdammniß zu fallen, ruft er den gekreuzigten
Christus an; er empfindet seine Antworten: es ist zwischen
ihnen ein Gespräch wie eines Freundes mit dem Freund,
eines Knechtes mit dem Herrn.

Hauptsächlich sucht er sich dann an der Betrachtung
der heiligen Geschichte aufzuerbauen. "Ich sehe", heißt es,
"wie die drei Personen der Gottheit die ganze Erde über-
schauen, erfüllt von Menschen, welche in die Hölle fahren
müssen: sie beschließen, daß die zweite Person zu ihrer Er-
lösung die menschliche Natur annehmen soll; ich überblicke
den ganzen Umkreis der Erde, und gewahre in einem Win-
kel die Hütte der Jungfrau Maria, von der das Heil aus-
geht." Von Moment zu Moment schreitet er in der heili-
gen Geschichte weiter fort: er vergegenwärtigt sich die Hand-
lungen in allen ihren Einzelnheiten nach den Kategorien
der Sinne: der religiösen Phantasie, frei von den Banden
des Wortes, wird der größte Spielraum gelassen; man
vermeint die Kleidungsstücke, die Fußtapfen der heiligen
Personen zu berühren, zu küssen. In dieser Exaltation der
Einbildungskraft, in dem Gefühl, wie groß die Glückse-
ligkeit einer Seele sey, die mit göttlichen Gnaden und Tu-
genden erfüllt worden, kehrt man zur Betrachtung der eige-
nen Zustände zurück. Hat man seinen Stand noch zu wäh-

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Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.

Er beginnt damit, ſeiner Suͤnden inne zu werden. Er
betrachtet, wie um einer einzigen willen die Engel in die
Hoͤlle geſtuͤrzt worden, fuͤr ihn aber, obwohl er viel groͤ-
ßere begangen, die Heiligen vorgebeten, Himmel und Ge-
ſtirne, Thiere und Gewaͤchſe der Erde ihm gedient haben;
um nun von der Schuld befreit zu werden und nicht in
die ewige Verdammniß zu fallen, ruft er den gekreuzigten
Chriſtus an; er empfindet ſeine Antworten: es iſt zwiſchen
ihnen ein Geſpraͤch wie eines Freundes mit dem Freund,
eines Knechtes mit dem Herrn.

Hauptſaͤchlich ſucht er ſich dann an der Betrachtung
der heiligen Geſchichte aufzuerbauen. „Ich ſehe“, heißt es,
„wie die drei Perſonen der Gottheit die ganze Erde uͤber-
ſchauen, erfuͤllt von Menſchen, welche in die Hoͤlle fahren
muͤſſen: ſie beſchließen, daß die zweite Perſon zu ihrer Er-
loͤſung die menſchliche Natur annehmen ſoll; ich uͤberblicke
den ganzen Umkreis der Erde, und gewahre in einem Win-
kel die Huͤtte der Jungfrau Maria, von der das Heil aus-
geht.“ Von Moment zu Moment ſchreitet er in der heili-
gen Geſchichte weiter fort: er vergegenwaͤrtigt ſich die Hand-
lungen in allen ihren Einzelnheiten nach den Kategorien
der Sinne: der religioͤſen Phantaſie, frei von den Banden
des Wortes, wird der groͤßte Spielraum gelaſſen; man
vermeint die Kleidungsſtuͤcke, die Fußtapfen der heiligen
Perſonen zu beruͤhren, zu kuͤſſen. In dieſer Exaltation der
Einbildungskraft, in dem Gefuͤhl, wie groß die Gluͤckſe-
ligkeit einer Seele ſey, die mit goͤttlichen Gnaden und Tu-
genden erfuͤllt worden, kehrt man zur Betrachtung der eige-
nen Zuſtaͤnde zuruͤck. Hat man ſeinen Stand noch zu waͤh-

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[227/0253] Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes. Er beginnt damit, ſeiner Suͤnden inne zu werden. Er betrachtet, wie um einer einzigen willen die Engel in die Hoͤlle geſtuͤrzt worden, fuͤr ihn aber, obwohl er viel groͤ- ßere begangen, die Heiligen vorgebeten, Himmel und Ge- ſtirne, Thiere und Gewaͤchſe der Erde ihm gedient haben; um nun von der Schuld befreit zu werden und nicht in die ewige Verdammniß zu fallen, ruft er den gekreuzigten Chriſtus an; er empfindet ſeine Antworten: es iſt zwiſchen ihnen ein Geſpraͤch wie eines Freundes mit dem Freund, eines Knechtes mit dem Herrn. Hauptſaͤchlich ſucht er ſich dann an der Betrachtung der heiligen Geſchichte aufzuerbauen. „Ich ſehe“, heißt es, „wie die drei Perſonen der Gottheit die ganze Erde uͤber- ſchauen, erfuͤllt von Menſchen, welche in die Hoͤlle fahren muͤſſen: ſie beſchließen, daß die zweite Perſon zu ihrer Er- loͤſung die menſchliche Natur annehmen ſoll; ich uͤberblicke den ganzen Umkreis der Erde, und gewahre in einem Win- kel die Huͤtte der Jungfrau Maria, von der das Heil aus- geht.“ Von Moment zu Moment ſchreitet er in der heili- gen Geſchichte weiter fort: er vergegenwaͤrtigt ſich die Hand- lungen in allen ihren Einzelnheiten nach den Kategorien der Sinne: der religioͤſen Phantaſie, frei von den Banden des Wortes, wird der groͤßte Spielraum gelaſſen; man vermeint die Kleidungsſtuͤcke, die Fußtapfen der heiligen Perſonen zu beruͤhren, zu kuͤſſen. In dieſer Exaltation der Einbildungskraft, in dem Gefuͤhl, wie groß die Gluͤckſe- ligkeit einer Seele ſey, die mit goͤttlichen Gnaden und Tu- genden erfuͤllt worden, kehrt man zur Betrachtung der eige- nen Zuſtaͤnde zuruͤck. Hat man ſeinen Stand noch zu waͤh- 15*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/253>, abgerufen am 22.11.2024.