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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch II. Regeneration des Katholicismus.
das Bedürfniß des Menschen ganz wohl berechnet. Indes-
sen beruhte der ungemeine Erfolg, zu dem sie es brachten,
der eine wahre Ausbreitung ihrer Sinnesweise einschloß, noch
auf einem anderen Momente.

Sehr merkwürdig ist das kleine Buch der geistlichen
Uebungen, welches Ignaz, ich will zwar nicht sagen zuerst
entworfen, aber auf das eigenthümlichste ausgearbeitet 1),
mit dem er seine ersten, und dann auch seine späteren
Schüler, seine Anhänger überhaupt gesammelt und sich zu
eigen gemacht hat. Fort und fort war es wirksam. Um
so mehr vielleicht grade darum, weil es nur gelegentlich,
in dem Augenblicke innerer Unruhen, eines inneren Bedürf-
nisses anempfohlen wurde.

Es ist nicht ein Lehrbuch: es ist eine Anweisung zu
eigenen Betrachtungen. Die Sehnsucht der Seele, sagt
Ignatius, wird nicht durch eine Menge von Kenntnissen,
nur durch die eigene innere Anschauung wird sie erfüllt 2).

Diese zu leiten nimmt er sich vor. Der Seelsorger
deutet die Gesichtspuncte an: der Uebende hat sie zu ver-
folgen. Vor dem Schlafengehen und sogleich bei dem er-
sten Erwachen hat er seine Gedanken dahin zu richten;
alle anderen weist er mit Anstrengung von sich: Fenster und
Thüren werden geschlossen: auf den Knieen und zur Erde
gestreckt vollzieht er die Betrachtung.


1) Denn nach allem, was für und wider geschrieben worden,
leuchtet wohl ein, daß Ignatius ein ähnliches Buch von Garcia de
Cisneros
vor Augen hatte. Das Eigenthümlichste aber scheint von
ihm zu stammen. Comm. praev. nr. 64.
2) Non enim abundantia scientiae, sed sensus et gustus
rerum interior desiderium animae replere solet.

Buch II. Regeneration des Katholicismus.
das Beduͤrfniß des Menſchen ganz wohl berechnet. Indeſ-
ſen beruhte der ungemeine Erfolg, zu dem ſie es brachten,
der eine wahre Ausbreitung ihrer Sinnesweiſe einſchloß, noch
auf einem anderen Momente.

Sehr merkwuͤrdig iſt das kleine Buch der geiſtlichen
Uebungen, welches Ignaz, ich will zwar nicht ſagen zuerſt
entworfen, aber auf das eigenthuͤmlichſte ausgearbeitet 1),
mit dem er ſeine erſten, und dann auch ſeine ſpaͤteren
Schuͤler, ſeine Anhaͤnger uͤberhaupt geſammelt und ſich zu
eigen gemacht hat. Fort und fort war es wirkſam. Um
ſo mehr vielleicht grade darum, weil es nur gelegentlich,
in dem Augenblicke innerer Unruhen, eines inneren Beduͤrf-
niſſes anempfohlen wurde.

Es iſt nicht ein Lehrbuch: es iſt eine Anweiſung zu
eigenen Betrachtungen. Die Sehnſucht der Seele, ſagt
Ignatius, wird nicht durch eine Menge von Kenntniſſen,
nur durch die eigene innere Anſchauung wird ſie erfuͤllt 2).

Dieſe zu leiten nimmt er ſich vor. Der Seelſorger
deutet die Geſichtspuncte an: der Uebende hat ſie zu ver-
folgen. Vor dem Schlafengehen und ſogleich bei dem er-
ſten Erwachen hat er ſeine Gedanken dahin zu richten;
alle anderen weiſt er mit Anſtrengung von ſich: Fenſter und
Thuͤren werden geſchloſſen: auf den Knieen und zur Erde
geſtreckt vollzieht er die Betrachtung.


1) Denn nach allem, was fuͤr und wider geſchrieben worden,
leuchtet wohl ein, daß Ignatius ein aͤhnliches Buch von Garcia de
Cisneros
vor Augen hatte. Das Eigenthuͤmlichſte aber ſcheint von
ihm zu ſtammen. Comm. praev. nr. 64.
2) Non enim abundantia scientiae, sed sensus et gustus
rerum interior desiderium animae replere solet.
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[226/0252] Buch II. Regeneration des Katholicismus. das Beduͤrfniß des Menſchen ganz wohl berechnet. Indeſ- ſen beruhte der ungemeine Erfolg, zu dem ſie es brachten, der eine wahre Ausbreitung ihrer Sinnesweiſe einſchloß, noch auf einem anderen Momente. Sehr merkwuͤrdig iſt das kleine Buch der geiſtlichen Uebungen, welches Ignaz, ich will zwar nicht ſagen zuerſt entworfen, aber auf das eigenthuͤmlichſte ausgearbeitet 1), mit dem er ſeine erſten, und dann auch ſeine ſpaͤteren Schuͤler, ſeine Anhaͤnger uͤberhaupt geſammelt und ſich zu eigen gemacht hat. Fort und fort war es wirkſam. Um ſo mehr vielleicht grade darum, weil es nur gelegentlich, in dem Augenblicke innerer Unruhen, eines inneren Beduͤrf- niſſes anempfohlen wurde. Es iſt nicht ein Lehrbuch: es iſt eine Anweiſung zu eigenen Betrachtungen. Die Sehnſucht der Seele, ſagt Ignatius, wird nicht durch eine Menge von Kenntniſſen, nur durch die eigene innere Anſchauung wird ſie erfuͤllt 2). Dieſe zu leiten nimmt er ſich vor. Der Seelſorger deutet die Geſichtspuncte an: der Uebende hat ſie zu ver- folgen. Vor dem Schlafengehen und ſogleich bei dem er- ſten Erwachen hat er ſeine Gedanken dahin zu richten; alle anderen weiſt er mit Anſtrengung von ſich: Fenſter und Thuͤren werden geſchloſſen: auf den Knieen und zur Erde geſtreckt vollzieht er die Betrachtung. 1) Denn nach allem, was fuͤr und wider geſchrieben worden, leuchtet wohl ein, daß Ignatius ein aͤhnliches Buch von Garcia de Cisneros vor Augen hatte. Das Eigenthuͤmlichſte aber ſcheint von ihm zu ſtammen. Comm. praev. nr. 64. 2) Non enim abundantia scientiae, sed sensus et gustus rerum interior desiderium animae replere solet.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/252>, abgerufen am 22.11.2024.