Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

"Die Welt kannte sie nicht während ihres Lebens; aber ich kannte sie, ich, der zurückblieb, um sie zu beweinen." Er fügte auch eine Vorrede hinzu, worin er eine so zweydeutige Sprache über die Wahrheit der Geschichte führte, daß sie die Vermuthung nur bestätigte, daß dieser Roman eine verschönerte Erzählung der eigenen Schicksale seines Herzens sey.

Alles dieß versetzte ihn in eine der Liebe ähnliche Spannung. Er war begeistert: er war es in der schmelzenden Art, welche der Liebe eigen ist. Während dieser Stimmung erschien eine Dame, die er vorher mit Gleichgültigkeit gesehen hatte. Sie erschien aber jetzt zu zweyen Mahlen unter etwas ungewöhnlichen Verhältnissen und Aufzügen. Sie entflammte seine Imagination; sie machte ihn zum Vertrauten ihrer Liebe für St. Lambert; er hörte vielleicht zum ersten Mahle in seinem Leben den Ausdruck eines wahrhaft gerührten Herzens; - - und Roußeau setzte Madame d'Houvetot an die Stelle seiner Julie, legte ihr alle Reitze seines Traumbildes bey, und liebte nun das lebendige Wesen.

Billig fragt man: war denn dieß Liebe des Herzens: Zärtliche, dauernde Anhänglichlichkeit an der Person der Madame d'Houvetot? R. weiß sich dieß selbst nicht recht zu erklären. Seine Sinne waren in Aufruhr; seine Begeisterung war aufs Höchste gestiegen. Er strebte nach ihrer Gegenwart, nach ihrer unschuldigen Umarmung, nach der Unterredung mit ihr, auf eine so leidenschaftliche Art, daß selbst sein Körper aufs Höchste dadurch angegriffen wurde. Und dennoch liebte Madame d'Houvetot einen Andern, und er war es zufrieden. Er verlangte nichts von ihr, als daß sie

„Die Welt kannte sie nicht während ihres Lebens; aber ich kannte sie, ich, der zurückblieb, um sie zu beweinen.“ Er fügte auch eine Vorrede hinzu, worin er eine so zweydeutige Sprache über die Wahrheit der Geschichte führte, daß sie die Vermuthung nur bestätigte, daß dieser Roman eine verschönerte Erzählung der eigenen Schicksale seines Herzens sey.

Alles dieß versetzte ihn in eine der Liebe ähnliche Spannung. Er war begeistert: er war es in der schmelzenden Art, welche der Liebe eigen ist. Während dieser Stimmung erschien eine Dame, die er vorher mit Gleichgültigkeit gesehen hatte. Sie erschien aber jetzt zu zweyen Mahlen unter etwas ungewöhnlichen Verhältnissen und Aufzügen. Sie entflammte seine Imagination; sie machte ihn zum Vertrauten ihrer Liebe für St. Lambert; er hörte vielleicht zum ersten Mahle in seinem Leben den Ausdruck eines wahrhaft gerührten Herzens; – – und Roußeau setzte Madame d’Houvetot an die Stelle seiner Julie, legte ihr alle Reitze seines Traumbildes bey, und liebte nun das lebendige Wesen.

Billig fragt man: war denn dieß Liebe des Herzens: Zärtliche, dauernde Anhänglichlichkeit an der Person der Madame d’Houvetot? R. weiß sich dieß selbst nicht recht zu erklären. Seine Sinne waren in Aufruhr; seine Begeisterung war aufs Höchste gestiegen. Er strebte nach ihrer Gegenwart, nach ihrer unschuldigen Umarmung, nach der Unterredung mit ihr, auf eine so leidenschaftliche Art, daß selbst sein Körper aufs Höchste dadurch angegriffen wurde. Und dennoch liebte Madame d’Houvetot einen Andern, und er war es zufrieden. Er verlangte nichts von ihr, als daß sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0307" n="307"/>
          <p>&#x201E;Die Welt kannte sie nicht während ihres Lebens; aber ich kannte sie, ich, der zurückblieb, um sie zu beweinen.&#x201C; Er fügte auch eine Vorrede hinzu, worin er eine so zweydeutige Sprache über die Wahrheit der Geschichte führte, daß sie die Vermuthung nur bestätigte, daß dieser Roman eine verschönerte Erzählung der eigenen Schicksale seines Herzens sey.</p>
          <p>Alles dieß versetzte ihn in eine der Liebe ähnliche Spannung. Er war begeistert: er war es in der schmelzenden Art, welche der Liebe eigen ist. Während dieser Stimmung erschien eine Dame, die er vorher mit Gleichgültigkeit gesehen hatte. Sie erschien aber jetzt zu zweyen Mahlen unter etwas ungewöhnlichen Verhältnissen und Aufzügen. Sie entflammte seine Imagination; sie machte ihn zum Vertrauten ihrer Liebe für St. Lambert; er hörte vielleicht zum ersten Mahle in seinem Leben den Ausdruck eines wahrhaft gerührten Herzens; &#x2013; &#x2013; und Roußeau setzte Madame d&#x2019;Houvetot an die Stelle seiner Julie, legte ihr alle Reitze seines Traumbildes bey, und liebte nun das lebendige Wesen.</p>
          <p>Billig fragt man: war denn dieß Liebe des Herzens: Zärtliche, dauernde Anhänglichlichkeit an der Person der Madame d&#x2019;Houvetot? R. weiß sich dieß selbst nicht recht zu erklären. Seine Sinne waren in Aufruhr; seine Begeisterung war aufs Höchste gestiegen. Er strebte nach ihrer Gegenwart, nach ihrer unschuldigen Umarmung, nach der Unterredung mit ihr, auf eine so leidenschaftliche Art, daß selbst sein Körper aufs Höchste dadurch angegriffen wurde. Und dennoch liebte Madame d&#x2019;Houvetot einen Andern, und er war es zufrieden. Er verlangte nichts von ihr, als daß sie
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0307] „Die Welt kannte sie nicht während ihres Lebens; aber ich kannte sie, ich, der zurückblieb, um sie zu beweinen.“ Er fügte auch eine Vorrede hinzu, worin er eine so zweydeutige Sprache über die Wahrheit der Geschichte führte, daß sie die Vermuthung nur bestätigte, daß dieser Roman eine verschönerte Erzählung der eigenen Schicksale seines Herzens sey. Alles dieß versetzte ihn in eine der Liebe ähnliche Spannung. Er war begeistert: er war es in der schmelzenden Art, welche der Liebe eigen ist. Während dieser Stimmung erschien eine Dame, die er vorher mit Gleichgültigkeit gesehen hatte. Sie erschien aber jetzt zu zweyen Mahlen unter etwas ungewöhnlichen Verhältnissen und Aufzügen. Sie entflammte seine Imagination; sie machte ihn zum Vertrauten ihrer Liebe für St. Lambert; er hörte vielleicht zum ersten Mahle in seinem Leben den Ausdruck eines wahrhaft gerührten Herzens; – – und Roußeau setzte Madame d’Houvetot an die Stelle seiner Julie, legte ihr alle Reitze seines Traumbildes bey, und liebte nun das lebendige Wesen. Billig fragt man: war denn dieß Liebe des Herzens: Zärtliche, dauernde Anhänglichlichkeit an der Person der Madame d’Houvetot? R. weiß sich dieß selbst nicht recht zu erklären. Seine Sinne waren in Aufruhr; seine Begeisterung war aufs Höchste gestiegen. Er strebte nach ihrer Gegenwart, nach ihrer unschuldigen Umarmung, nach der Unterredung mit ihr, auf eine so leidenschaftliche Art, daß selbst sein Körper aufs Höchste dadurch angegriffen wurde. Und dennoch liebte Madame d’Houvetot einen Andern, und er war es zufrieden. Er verlangte nichts von ihr, als daß sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/307
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/307>, abgerufen am 10.05.2024.