Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.aus: "O Lycon! Der Besitz dieses Sohnes macht dich zum reichsten Manne. Du würdest ihn für keine Krone weggeben!" Wenn man an die Stelle des Sohns eine sittsame Tochter ihrem edeln Liebhaber gegenüber setzte, würde sich noch heut zu Tage ein reitzenderes und durch seine sittliche Einfalt rührenderes Gemählde denken lassen? Autolicus ist schätzbarer durch seine innern als äußern Vorzüge, und Kallias liebt ihn, ganz gegen die Gewohnheit anderer Liebhaber aus der Ursache, weil er so sehr an seinem Vater hängt. Man sieht deutlich, daß Xenophon für dieß liebende Paar, das er auch in der Folge als Muster aufstellt, hat interessieren wollen. Darum hebt er es nun noch durch den Kontrast. Critobulus, eben derjenige, der sich vorher seiner Schönheit wegen gepriesen hatte, sucht die Gewalt, welche diese über die Menschen ausübt, darzustellen. Er schlägt sie nach dem Eindrucke an, den sie auf ihn selbst in andern macht. "Meinen Geliebten, Clinias, zu sehen," sagt er, "ist mein höchster Wunsch, und mein größter Genuß! Ich zürne auf die Nacht, die mich seines Anblicks beraubt, und der Tag wird mir theuer, der mir ihn wieder giebt. Der schöne Mensch braucht nicht so wie der starke, der muthige, der weise, durch Arbeit, Bestehung von Gefahren, oder Reden, Güter zu erlangen. Er kann ruhen, und dennoch steht ihm alles zu Gebote. Ich," fährt Critobulus fort, "ich weiß den Werth der Glücksgüter wohl zu schätzen, und dennoch würde ich mein ganzes Vermögen dem Clinias lieber hingeben, als etwas von Andern annehmen. Ich würde gern sein Sklave seyn, mich keine Arbeit verdrießen lassen, und aus: „O Lycon! Der Besitz dieses Sohnes macht dich zum reichsten Manne. Du würdest ihn für keine Krone weggeben!“ Wenn man an die Stelle des Sohns eine sittsame Tochter ihrem edeln Liebhaber gegenüber setzte, würde sich noch heut zu Tage ein reitzenderes und durch seine sittliche Einfalt rührenderes Gemählde denken lassen? Autolicus ist schätzbarer durch seine innern als äußern Vorzüge, und Kallias liebt ihn, ganz gegen die Gewohnheit anderer Liebhaber aus der Ursache, weil er so sehr an seinem Vater hängt. Man sieht deutlich, daß Xenophon für dieß liebende Paar, das er auch in der Folge als Muster aufstellt, hat interessieren wollen. Darum hebt er es nun noch durch den Kontrast. Critobulus, eben derjenige, der sich vorher seiner Schönheit wegen gepriesen hatte, sucht die Gewalt, welche diese über die Menschen ausübt, darzustellen. Er schlägt sie nach dem Eindrucke an, den sie auf ihn selbst in andern macht. „Meinen Geliebten, Clinias, zu sehen,“ sagt er, „ist mein höchster Wunsch, und mein größter Genuß! Ich zürne auf die Nacht, die mich seines Anblicks beraubt, und der Tag wird mir theuer, der mir ihn wieder giebt. Der schöne Mensch braucht nicht so wie der starke, der muthige, der weise, durch Arbeit, Bestehung von Gefahren, oder Reden, Güter zu erlangen. Er kann ruhen, und dennoch steht ihm alles zu Gebote. Ich,“ fährt Critobulus fort, „ich weiß den Werth der Glücksgüter wohl zu schätzen, und dennoch würde ich mein ganzes Vermögen dem Clinias lieber hingeben, als etwas von Andern annehmen. Ich würde gern sein Sklave seyn, mich keine Arbeit verdrießen lassen, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0158" n="158"/> aus: „O Lycon! Der Besitz dieses Sohnes macht dich zum reichsten Manne. Du würdest ihn für keine Krone weggeben!“</p> <p>Wenn man an die Stelle des Sohns eine sittsame Tochter ihrem edeln Liebhaber gegenüber setzte, würde sich noch heut zu Tage ein reitzenderes und durch seine sittliche Einfalt rührenderes Gemählde denken lassen?</p> <p>Autolicus ist schätzbarer durch seine innern als äußern Vorzüge, und Kallias liebt ihn, ganz gegen die Gewohnheit anderer Liebhaber aus der Ursache, weil er so sehr an seinem Vater hängt.</p> <p>Man sieht deutlich, daß Xenophon für dieß liebende Paar, das er auch in der Folge als Muster aufstellt, hat interessieren wollen. Darum hebt er es nun noch durch den Kontrast. Critobulus, eben derjenige, der sich vorher seiner Schönheit wegen gepriesen hatte, sucht die Gewalt, welche diese über die Menschen ausübt, darzustellen. Er schlägt sie nach dem Eindrucke an, den sie auf ihn selbst in andern macht. „Meinen Geliebten, Clinias, zu sehen,“ sagt er, „ist mein höchster Wunsch, und mein größter Genuß! Ich zürne auf die Nacht, die mich seines Anblicks beraubt, und der Tag wird mir theuer, der mir ihn wieder giebt. Der schöne Mensch braucht nicht so wie der starke, der muthige, der weise, durch Arbeit, Bestehung von Gefahren, oder Reden, Güter zu erlangen. Er kann ruhen, und dennoch steht ihm alles zu Gebote. Ich,“ fährt Critobulus fort, „ich weiß den Werth der Glücksgüter wohl zu schätzen, und dennoch würde ich mein ganzes Vermögen dem Clinias lieber hingeben, als etwas von Andern annehmen. Ich würde gern sein Sklave seyn, mich keine Arbeit verdrießen lassen, und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [158/0158]
aus: „O Lycon! Der Besitz dieses Sohnes macht dich zum reichsten Manne. Du würdest ihn für keine Krone weggeben!“
Wenn man an die Stelle des Sohns eine sittsame Tochter ihrem edeln Liebhaber gegenüber setzte, würde sich noch heut zu Tage ein reitzenderes und durch seine sittliche Einfalt rührenderes Gemählde denken lassen?
Autolicus ist schätzbarer durch seine innern als äußern Vorzüge, und Kallias liebt ihn, ganz gegen die Gewohnheit anderer Liebhaber aus der Ursache, weil er so sehr an seinem Vater hängt.
Man sieht deutlich, daß Xenophon für dieß liebende Paar, das er auch in der Folge als Muster aufstellt, hat interessieren wollen. Darum hebt er es nun noch durch den Kontrast. Critobulus, eben derjenige, der sich vorher seiner Schönheit wegen gepriesen hatte, sucht die Gewalt, welche diese über die Menschen ausübt, darzustellen. Er schlägt sie nach dem Eindrucke an, den sie auf ihn selbst in andern macht. „Meinen Geliebten, Clinias, zu sehen,“ sagt er, „ist mein höchster Wunsch, und mein größter Genuß! Ich zürne auf die Nacht, die mich seines Anblicks beraubt, und der Tag wird mir theuer, der mir ihn wieder giebt. Der schöne Mensch braucht nicht so wie der starke, der muthige, der weise, durch Arbeit, Bestehung von Gefahren, oder Reden, Güter zu erlangen. Er kann ruhen, und dennoch steht ihm alles zu Gebote. Ich,“ fährt Critobulus fort, „ich weiß den Werth der Glücksgüter wohl zu schätzen, und dennoch würde ich mein ganzes Vermögen dem Clinias lieber hingeben, als etwas von Andern annehmen. Ich würde gern sein Sklave seyn, mich keine Arbeit verdrießen lassen, und
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