Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.gern jede Gefahr für ihn übernehmen. Durch die Liebe, welche die Schönheit einflößt, werden diejenigen, welche sie empfinden, freygebiger, muthiger, standhafter, edler, bescheidener. Man sollte lauter schöne Feldherrn wählen. Für den Clinias würde ich durchs Feuer gehen, und gewiß Alle, die ihn kennen, würden mich begleiten!" Critobulus bleibt der gemeinen Denkungsart treu, die in der Macht der Schönheit einen Antrieb zur Bürgertugend fand, aber zugleich die ganze Gewalt, die sie über die Sinne ausübt, und den Zweck, der am Ende mit dabey zum Grunde liegt, anerkennt. Sokrates nimmt bald darauf Gelegenheit, von der Gefahr der Küsse zu reden, die sich Critobulus gegen den Clinias erlaubt hat. "Nichts," sagt er, "erweckt so leicht die Liebe als Küsse! denn sie sättigen nicht, und geben die Ahnung einer höheren Lust. Vielleicht wird diese Liebe, weil sie sich auf die bloße Umarmung beschränkt, mit der edleren Liebe, die allein in der Seele wohnt, verwechselt." Scherzhaft gesteht Sokrates selbst ein, daß ihn einst eine unvorsichtige Annäherung an den schönen Critobulus in große Bewegung gesetzt habe. Es erhebt sich ein Streit zwischen dem Critobulus und ihm über die Frage: wer von ihnen beyden der schönere sey. Sokrates behauptet, daß seine Gestalt den Vorzug verdiene, weil sie zweckmäßiger zum Dienst seiner Sinne eingerichtet sey. Auch hier liegt der Satz zum Grunde, daß die Gestalt nur in so fern Werth habe, als sie brauchbar ist, die Wirksamkeit der Seele zu unterstützen. gern jede Gefahr für ihn übernehmen. Durch die Liebe, welche die Schönheit einflößt, werden diejenigen, welche sie empfinden, freygebiger, muthiger, standhafter, edler, bescheidener. Man sollte lauter schöne Feldherrn wählen. Für den Clinias würde ich durchs Feuer gehen, und gewiß Alle, die ihn kennen, würden mich begleiten!“ Critobulus bleibt der gemeinen Denkungsart treu, die in der Macht der Schönheit einen Antrieb zur Bürgertugend fand, aber zugleich die ganze Gewalt, die sie über die Sinne ausübt, und den Zweck, der am Ende mit dabey zum Grunde liegt, anerkennt. Sokrates nimmt bald darauf Gelegenheit, von der Gefahr der Küsse zu reden, die sich Critobulus gegen den Clinias erlaubt hat. „Nichts,“ sagt er, „erweckt so leicht die Liebe als Küsse! denn sie sättigen nicht, und geben die Ahnung einer höheren Lust. Vielleicht wird diese Liebe, weil sie sich auf die bloße Umarmung beschränkt, mit der edleren Liebe, die allein in der Seele wohnt, verwechselt.“ Scherzhaft gesteht Sokrates selbst ein, daß ihn einst eine unvorsichtige Annäherung an den schönen Critobulus in große Bewegung gesetzt habe. Es erhebt sich ein Streit zwischen dem Critobulus und ihm über die Frage: wer von ihnen beyden der schönere sey. Sokrates behauptet, daß seine Gestalt den Vorzug verdiene, weil sie zweckmäßiger zum Dienst seiner Sinne eingerichtet sey. Auch hier liegt der Satz zum Grunde, daß die Gestalt nur in so fern Werth habe, als sie brauchbar ist, die Wirksamkeit der Seele zu unterstützen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0159" n="159"/> gern jede Gefahr für ihn übernehmen. Durch die Liebe, welche die Schönheit einflößt, werden diejenigen, welche sie empfinden, freygebiger, muthiger, standhafter, edler, bescheidener. Man sollte lauter schöne Feldherrn wählen. Für den Clinias würde ich durchs Feuer gehen, und gewiß Alle, die ihn kennen, würden mich begleiten!“</p> <p>Critobulus bleibt der gemeinen Denkungsart treu, die in der Macht der Schönheit einen Antrieb zur Bürgertugend fand, aber zugleich die ganze Gewalt, die sie über die Sinne ausübt, und den Zweck, der am Ende mit dabey zum Grunde liegt, anerkennt. Sokrates nimmt bald darauf Gelegenheit, von der Gefahr der Küsse zu reden, die sich Critobulus gegen den Clinias erlaubt hat. „Nichts,“ sagt er, „erweckt so leicht die Liebe als Küsse! denn sie sättigen nicht, und geben die Ahnung einer höheren Lust. Vielleicht wird diese Liebe, weil sie sich auf die bloße Umarmung beschränkt, mit der edleren Liebe, die allein in der Seele wohnt, verwechselt.“ Scherzhaft gesteht Sokrates selbst ein, daß ihn einst eine unvorsichtige Annäherung an den schönen Critobulus in große Bewegung gesetzt habe. Es erhebt sich ein Streit zwischen dem Critobulus und ihm über die Frage: wer von ihnen beyden der schönere sey. Sokrates behauptet, daß seine Gestalt den Vorzug verdiene, weil sie zweckmäßiger zum Dienst seiner Sinne eingerichtet sey. Auch hier liegt der Satz zum Grunde, daß die Gestalt nur in so fern Werth habe, als sie brauchbar ist, die Wirksamkeit der Seele zu unterstützen.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0159]
gern jede Gefahr für ihn übernehmen. Durch die Liebe, welche die Schönheit einflößt, werden diejenigen, welche sie empfinden, freygebiger, muthiger, standhafter, edler, bescheidener. Man sollte lauter schöne Feldherrn wählen. Für den Clinias würde ich durchs Feuer gehen, und gewiß Alle, die ihn kennen, würden mich begleiten!“
Critobulus bleibt der gemeinen Denkungsart treu, die in der Macht der Schönheit einen Antrieb zur Bürgertugend fand, aber zugleich die ganze Gewalt, die sie über die Sinne ausübt, und den Zweck, der am Ende mit dabey zum Grunde liegt, anerkennt. Sokrates nimmt bald darauf Gelegenheit, von der Gefahr der Küsse zu reden, die sich Critobulus gegen den Clinias erlaubt hat. „Nichts,“ sagt er, „erweckt so leicht die Liebe als Küsse! denn sie sättigen nicht, und geben die Ahnung einer höheren Lust. Vielleicht wird diese Liebe, weil sie sich auf die bloße Umarmung beschränkt, mit der edleren Liebe, die allein in der Seele wohnt, verwechselt.“ Scherzhaft gesteht Sokrates selbst ein, daß ihn einst eine unvorsichtige Annäherung an den schönen Critobulus in große Bewegung gesetzt habe. Es erhebt sich ein Streit zwischen dem Critobulus und ihm über die Frage: wer von ihnen beyden der schönere sey. Sokrates behauptet, daß seine Gestalt den Vorzug verdiene, weil sie zweckmäßiger zum Dienst seiner Sinne eingerichtet sey. Auch hier liegt der Satz zum Grunde, daß die Gestalt nur in so fern Werth habe, als sie brauchbar ist, die Wirksamkeit der Seele zu unterstützen.
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