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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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an uns, die mit dem Instinkte der Thiere in näherem Verhältnisse stehen, als mit der Natur vernünftiger Wesen. Als da sind unsere Sinnen: da ist unser thierisches Wahrnehmungsvermögen, das Erinnerungen eines vergangenen, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes an gegenwärtige sinnliche Eindrücke knüpft, darnach wieder erkennt, und Merkmahle für's Künftige aufnimmt; da ist besonders diejenige Phantasie, die das Unkörperliche verkörpert, das abwesende Sinnliche mit der Lebhaftigkeit eines gegenwärtigen sinnlichen Eindrucks empfindet; dahin gehören endlich alle diejenigen Triebe und Neigungen, welche zu ihrer Befriedigung körperliche Gegenwart, oder wenigstens Unterhaltung und Genuß für den Augenblick verlangen, das Neue und Abwechselnde dem Dauernden und Bestehenden, das Allmählige dem Anstrengenden, und das Niedliche und Feine dem Großen und Starken vorziehen. -

Inzwischen modificiert sich der Begriff von diesem unserm niedern Wesen ins Unendliche, bey jeder verschiedenen Wirksamkeit, worin wir unsre Kräfte bey der Wahrnehmung und Erkenntniß eines Gegenstandes antreffen. Dasjenige Vermögen in uns, das den Geist der Gottheit fühlt, ist das höhere Wesen, in Vergleichung mit demjenigen, das nur den Geist in der Statue Jupiters empfindet. Immer aber ist das für den Adel in dieser Statue empfindliche Wesen ein höheres, als dasjenige, das nur für den Liebreitz einer Venus Sinn hat: dieß wieder höher, als dasjenige, was bloß von der todten Gestalt gereitzt wird; und dieß ist dennoch wieder höher, als dasjenige, das in der Göttin nur das Werkzeug niedriger Begierden ahndet.

an uns, die mit dem Instinkte der Thiere in näherem Verhältnisse stehen, als mit der Natur vernünftiger Wesen. Als da sind unsere Sinnen: da ist unser thierisches Wahrnehmungsvermögen, das Erinnerungen eines vergangenen, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes an gegenwärtige sinnliche Eindrücke knüpft, darnach wieder erkennt, und Merkmahle für’s Künftige aufnimmt; da ist besonders diejenige Phantasie, die das Unkörperliche verkörpert, das abwesende Sinnliche mit der Lebhaftigkeit eines gegenwärtigen sinnlichen Eindrucks empfindet; dahin gehören endlich alle diejenigen Triebe und Neigungen, welche zu ihrer Befriedigung körperliche Gegenwart, oder wenigstens Unterhaltung und Genuß für den Augenblick verlangen, das Neue und Abwechselnde dem Dauernden und Bestehenden, das Allmählige dem Anstrengenden, und das Niedliche und Feine dem Großen und Starken vorziehen. –

Inzwischen modificiert sich der Begriff von diesem unserm niedern Wesen ins Unendliche, bey jeder verschiedenen Wirksamkeit, worin wir unsre Kräfte bey der Wahrnehmung und Erkenntniß eines Gegenstandes antreffen. Dasjenige Vermögen in uns, das den Geist der Gottheit fühlt, ist das höhere Wesen, in Vergleichung mit demjenigen, das nur den Geist in der Statue Jupiters empfindet. Immer aber ist das für den Adel in dieser Statue empfindliche Wesen ein höheres, als dasjenige, das nur für den Liebreitz einer Venus Sinn hat: dieß wieder höher, als dasjenige, was bloß von der todten Gestalt gereitzt wird; und dieß ist dennoch wieder höher, als dasjenige, das in der Göttin nur das Werkzeug niedriger Begierden ahndet.

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[30/0030] an uns, die mit dem Instinkte der Thiere in näherem Verhältnisse stehen, als mit der Natur vernünftiger Wesen. Als da sind unsere Sinnen: da ist unser thierisches Wahrnehmungsvermögen, das Erinnerungen eines vergangenen, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes an gegenwärtige sinnliche Eindrücke knüpft, darnach wieder erkennt, und Merkmahle für’s Künftige aufnimmt; da ist besonders diejenige Phantasie, die das Unkörperliche verkörpert, das abwesende Sinnliche mit der Lebhaftigkeit eines gegenwärtigen sinnlichen Eindrucks empfindet; dahin gehören endlich alle diejenigen Triebe und Neigungen, welche zu ihrer Befriedigung körperliche Gegenwart, oder wenigstens Unterhaltung und Genuß für den Augenblick verlangen, das Neue und Abwechselnde dem Dauernden und Bestehenden, das Allmählige dem Anstrengenden, und das Niedliche und Feine dem Großen und Starken vorziehen. – Inzwischen modificiert sich der Begriff von diesem unserm niedern Wesen ins Unendliche, bey jeder verschiedenen Wirksamkeit, worin wir unsre Kräfte bey der Wahrnehmung und Erkenntniß eines Gegenstandes antreffen. Dasjenige Vermögen in uns, das den Geist der Gottheit fühlt, ist das höhere Wesen, in Vergleichung mit demjenigen, das nur den Geist in der Statue Jupiters empfindet. Immer aber ist das für den Adel in dieser Statue empfindliche Wesen ein höheres, als dasjenige, das nur für den Liebreitz einer Venus Sinn hat: dieß wieder höher, als dasjenige, was bloß von der todten Gestalt gereitzt wird; und dieß ist dennoch wieder höher, als dasjenige, das in der Göttin nur das Werkzeug niedriger Begierden ahndet.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/30>, abgerufen am 19.04.2024.