Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.Hieraus folgt, daß kein Gegenstand gedacht werden mag, bey dessen Erkenntniß wir nicht zwey Wesen in uns geschäftig fühlen könnten, von denen wir, beyde gegen einander gestellt, das eine zu dem andern im Verhältnisse des höheren zu dem niederen antreffen sollten. Wir denken uns nicht die Gottheit ohne Erscheinungen ihrer Vollkommenheit, die ein Wesen in uns auffaßt, das im Verhältnisse zu demjenigen, welches die Substanz der Gottheit selbst auszuahnden sucht, das niedere ist. Wir betrachten keine Pflanze, keinen Stein, ohne das Wesen in uns, das diese Körper nach Gattung und Art einem Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterwirft, von demjenigen zu unterscheiden, das ihre körperlichen Eigenschaften wahrnimmt, und über ihre Höhe, Härte, u. s. w. urtheilt. Genug! Alle Gegenstände haben eine Form, und haben einen innern Gehalt: bey aller Erkenntniß eines Gegenstandes ist ein höheres und ein niederes Vermögen in uns geschäftig. Wenn die Form eines Gegenstandes unser niederes Wesen zur Wollust und Wonne der Beschauung einladet, so nennen wir das Bild und die Empfindung Schön, zur Unterscheidung von derjenigen Beschauungswonne, die wir mit dem Nahmen des Edeln bezeichnen. Wenn wir sehr bestimmt reden wollen, so dürfen wir das Wort schön, das von Scheinen, Glänzen, herkommt, nur von der sichtbaren Form der Körper gebrauchen, die unmittelbar unsre Sehkraft, unser Auge, zu wollüstigen Gefühlen reitzt, ohne unsern substanziellern Körper, unsern Leib, zu berühren. Allein alle unsere Organe sind Agenten unsers niedern Wesens und des damit verbundenen Beschauungshanges; und Hieraus folgt, daß kein Gegenstand gedacht werden mag, bey dessen Erkenntniß wir nicht zwey Wesen in uns geschäftig fühlen könnten, von denen wir, beyde gegen einander gestellt, das eine zu dem andern im Verhältnisse des höheren zu dem niederen antreffen sollten. Wir denken uns nicht die Gottheit ohne Erscheinungen ihrer Vollkommenheit, die ein Wesen in uns auffaßt, das im Verhältnisse zu demjenigen, welches die Substanz der Gottheit selbst auszuahnden sucht, das niedere ist. Wir betrachten keine Pflanze, keinen Stein, ohne das Wesen in uns, das diese Körper nach Gattung und Art einem Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterwirft, von demjenigen zu unterscheiden, das ihre körperlichen Eigenschaften wahrnimmt, und über ihre Höhe, Härte, u. s. w. urtheilt. Genug! Alle Gegenstände haben eine Form, und haben einen innern Gehalt: bey aller Erkenntniß eines Gegenstandes ist ein höheres und ein niederes Vermögen in uns geschäftig. Wenn die Form eines Gegenstandes unser niederes Wesen zur Wollust und Wonne der Beschauung einladet, so nennen wir das Bild und die Empfindung Schön, zur Unterscheidung von derjenigen Beschauungswonne, die wir mit dem Nahmen des Edeln bezeichnen. Wenn wir sehr bestimmt reden wollen, so dürfen wir das Wort schön, das von Scheinen, Glänzen, herkommt, nur von der sichtbaren Form der Körper gebrauchen, die unmittelbar unsre Sehkraft, unser Auge, zu wollüstigen Gefühlen reitzt, ohne unsern substanziellern Körper, unsern Leib, zu berühren. 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Hieraus folgt, daß kein Gegenstand gedacht werden mag, bey dessen Erkenntniß wir nicht zwey Wesen in uns geschäftig fühlen könnten, von denen wir, beyde gegen einander gestellt, das eine zu dem andern im Verhältnisse des höheren zu dem niederen antreffen sollten. Wir denken uns nicht die Gottheit ohne Erscheinungen ihrer Vollkommenheit, die ein Wesen in uns auffaßt, das im Verhältnisse zu demjenigen, welches die Substanz der Gottheit selbst auszuahnden sucht, das niedere ist. Wir betrachten keine Pflanze, keinen Stein, ohne das Wesen in uns, das diese Körper nach Gattung und Art einem Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterwirft, von demjenigen zu unterscheiden, das ihre körperlichen Eigenschaften wahrnimmt, und über ihre Höhe, Härte, u. s. w. urtheilt.
Genug! Alle Gegenstände haben eine Form, und haben einen innern Gehalt: bey aller Erkenntniß eines Gegenstandes ist ein höheres und ein niederes Vermögen in uns geschäftig. Wenn die Form eines Gegenstandes unser niederes Wesen zur Wollust und Wonne der Beschauung einladet, so nennen wir das Bild und die Empfindung Schön, zur Unterscheidung von derjenigen Beschauungswonne, die wir mit dem Nahmen des Edeln bezeichnen.
Wenn wir sehr bestimmt reden wollen, so dürfen wir das Wort schön, das von Scheinen, Glänzen, herkommt, nur von der sichtbaren Form der Körper gebrauchen, die unmittelbar unsre Sehkraft, unser Auge, zu wollüstigen Gefühlen reitzt, ohne unsern substanziellern Körper, unsern Leib, zu berühren. Allein alle unsere Organe sind Agenten unsers niedern Wesens und des damit verbundenen Beschauungshanges; und
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/31>, abgerufen am 16.02.2025. |