Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Kennz. des Kirchenstils
Nutzens im Kriege und der Annehmlichkeit im Frie-
den wegen, ein eben so allgemein geschätzter Vorzug
war, so erhielt natürlicher Weise jener Geschmack die
Richtung, die Darstellung der schönen körperlichen
Form als die höchste Stufe der Kunst zu betrachten.

Vieles muß auch daraus erklärt werden, daß die
schöne Gestalt des Menschen bei den Griechen das
Symbol der Wesen war, denen sie ihre religiöse Ver-
ehrung widmeten.

Der rohe Mensch, der den Stein oder Klotz,
bei dem ihm die höchste Kraft ein besonderes Glück
oder Unglück hatte wiederfahren lassen, erst als das
Wiedererkennungszeichen seiner Hoffnung oder seiner
Furcht geliebt und gescheuet, bald als Ursach von bei-
den angebetet hatte, gerieth bei stufenweiser Verfeine-
rung auf den Gedanken, erst diesen Klotz in Kopf,
Arme und Beine zu spalten, dann als treue Abbil-
dung des Menschen, endlich als Ideal seiner Gestalt
in seinem Tempel aufzustellen.

Denn als die lebhafte Thätigkeit der Griechen,
welche durch die Unabhängigkeit und durch die Wett-
eiferung so vieler nahe an einander liegenden Staaten
immer unterhalten wurde, ihnen hohe Ideen von
thätiger Tugend, Freiheit, Ehre, Vaterlandsliebe,
und zu gleicher Zeit ein starkes Gefühl ihrer eigenen
Würde gegeben hatte; so wurden sie durch den En-
thusiasmus zur Vergötterung ihres Gleichen getrieben
und legten jenen rohen Ahndungen einer höheren
Kraft erst den Begriff des Menschen überhaupt, bald
aber von menschlicher Vollkommenheit in dem höchsten
Grade, den sie sich denken konnten, bei.

In

Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Nutzens im Kriege und der Annehmlichkeit im Frie-
den wegen, ein eben ſo allgemein geſchaͤtzter Vorzug
war, ſo erhielt natuͤrlicher Weiſe jener Geſchmack die
Richtung, die Darſtellung der ſchoͤnen koͤrperlichen
Form als die hoͤchſte Stufe der Kunſt zu betrachten.

Vieles muß auch daraus erklaͤrt werden, daß die
ſchoͤne Geſtalt des Menſchen bei den Griechen das
Symbol der Weſen war, denen ſie ihre religioͤſe Ver-
ehrung widmeten.

Der rohe Menſch, der den Stein oder Klotz,
bei dem ihm die hoͤchſte Kraft ein beſonderes Gluͤck
oder Ungluͤck hatte wiederfahren laſſen, erſt als das
Wiedererkennungszeichen ſeiner Hoffnung oder ſeiner
Furcht geliebt und geſcheuet, bald als Urſach von bei-
den angebetet hatte, gerieth bei ſtufenweiſer Verfeine-
rung auf den Gedanken, erſt dieſen Klotz in Kopf,
Arme und Beine zu ſpalten, dann als treue Abbil-
dung des Menſchen, endlich als Ideal ſeiner Geſtalt
in ſeinem Tempel aufzuſtellen.

Denn als die lebhafte Thaͤtigkeit der Griechen,
welche durch die Unabhaͤngigkeit und durch die Wett-
eiferung ſo vieler nahe an einander liegenden Staaten
immer unterhalten wurde, ihnen hohe Ideen von
thaͤtiger Tugend, Freiheit, Ehre, Vaterlandsliebe,
und zu gleicher Zeit ein ſtarkes Gefuͤhl ihrer eigenen
Wuͤrde gegeben hatte; ſo wurden ſie durch den En-
thuſiasmus zur Vergoͤtterung ihres Gleichen getrieben
und legten jenen rohen Ahndungen einer hoͤheren
Kraft erſt den Begriff des Menſchen uͤberhaupt, bald
aber von menſchlicher Vollkommenheit in dem hoͤchſten
Grade, den ſie ſich denken konnten, bei.

In
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Kennz. des Kirchen&#x017F;tils</hi></fw><lb/>
Nutzens im Kriege und der Annehmlichkeit im Frie-<lb/>
den wegen, ein eben &#x017F;o allgemein ge&#x017F;cha&#x0364;tzter Vorzug<lb/>
war, &#x017F;o erhielt natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e jener Ge&#x017F;chmack die<lb/>
Richtung, die Dar&#x017F;tellung der &#x017F;cho&#x0364;nen ko&#x0364;rperlichen<lb/>
Form als die ho&#x0364;ch&#x017F;te Stufe der Kun&#x017F;t zu betrachten.</p><lb/>
          <p>Vieles muß auch daraus erkla&#x0364;rt werden, daß die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ne Ge&#x017F;talt des Men&#x017F;chen bei den Griechen das<lb/>
Symbol der We&#x017F;en war, denen &#x017F;ie ihre religio&#x0364;&#x017F;e Ver-<lb/>
ehrung widmeten.</p><lb/>
          <p>Der rohe Men&#x017F;ch, der den Stein oder Klotz,<lb/>
bei dem ihm die ho&#x0364;ch&#x017F;te Kraft ein be&#x017F;onderes Glu&#x0364;ck<lb/>
oder Unglu&#x0364;ck hatte wiederfahren la&#x017F;&#x017F;en, er&#x017F;t als das<lb/>
Wiedererkennungszeichen &#x017F;einer Hoffnung oder &#x017F;einer<lb/>
Furcht geliebt und ge&#x017F;cheuet, bald als Ur&#x017F;ach von bei-<lb/>
den angebetet hatte, gerieth bei &#x017F;tufenwei&#x017F;er Verfeine-<lb/>
rung auf den Gedanken, er&#x017F;t die&#x017F;en Klotz in Kopf,<lb/>
Arme und Beine zu &#x017F;palten, dann als treue Abbil-<lb/>
dung des Men&#x017F;chen, endlich als Ideal &#x017F;einer Ge&#x017F;talt<lb/>
in &#x017F;einem Tempel aufzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
          <p>Denn als die lebhafte Tha&#x0364;tigkeit der Griechen,<lb/>
welche durch die Unabha&#x0364;ngigkeit und durch die Wett-<lb/>
eiferung &#x017F;o vieler nahe an einander liegenden Staaten<lb/>
immer unterhalten wurde, ihnen hohe Ideen von<lb/>
tha&#x0364;tiger Tugend, Freiheit, Ehre, Vaterlandsliebe,<lb/>
und zu gleicher Zeit ein &#x017F;tarkes Gefu&#x0364;hl ihrer eigenen<lb/>
Wu&#x0364;rde gegeben hatte; &#x017F;o wurden &#x017F;ie durch den En-<lb/>
thu&#x017F;iasmus zur Vergo&#x0364;tterung ihres Gleichen getrieben<lb/>
und legten jenen rohen Ahndungen einer ho&#x0364;heren<lb/>
Kraft er&#x017F;t den Begriff des Men&#x017F;chen u&#x0364;berhaupt, bald<lb/>
aber von men&#x017F;chlicher Vollkommenheit in dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
Grade, den &#x017F;ie &#x017F;ich denken konnten, bei.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">In</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0206] Ueber die Kennz. des Kirchenſtils Nutzens im Kriege und der Annehmlichkeit im Frie- den wegen, ein eben ſo allgemein geſchaͤtzter Vorzug war, ſo erhielt natuͤrlicher Weiſe jener Geſchmack die Richtung, die Darſtellung der ſchoͤnen koͤrperlichen Form als die hoͤchſte Stufe der Kunſt zu betrachten. Vieles muß auch daraus erklaͤrt werden, daß die ſchoͤne Geſtalt des Menſchen bei den Griechen das Symbol der Weſen war, denen ſie ihre religioͤſe Ver- ehrung widmeten. Der rohe Menſch, der den Stein oder Klotz, bei dem ihm die hoͤchſte Kraft ein beſonderes Gluͤck oder Ungluͤck hatte wiederfahren laſſen, erſt als das Wiedererkennungszeichen ſeiner Hoffnung oder ſeiner Furcht geliebt und geſcheuet, bald als Urſach von bei- den angebetet hatte, gerieth bei ſtufenweiſer Verfeine- rung auf den Gedanken, erſt dieſen Klotz in Kopf, Arme und Beine zu ſpalten, dann als treue Abbil- dung des Menſchen, endlich als Ideal ſeiner Geſtalt in ſeinem Tempel aufzuſtellen. Denn als die lebhafte Thaͤtigkeit der Griechen, welche durch die Unabhaͤngigkeit und durch die Wett- eiferung ſo vieler nahe an einander liegenden Staaten immer unterhalten wurde, ihnen hohe Ideen von thaͤtiger Tugend, Freiheit, Ehre, Vaterlandsliebe, und zu gleicher Zeit ein ſtarkes Gefuͤhl ihrer eigenen Wuͤrde gegeben hatte; ſo wurden ſie durch den En- thuſiasmus zur Vergoͤtterung ihres Gleichen getrieben und legten jenen rohen Ahndungen einer hoͤheren Kraft erſt den Begriff des Menſchen uͤberhaupt, bald aber von menſchlicher Vollkommenheit in dem hoͤchſten Grade, den ſie ſich denken konnten, bei. In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/206
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/206>, abgerufen am 04.05.2024.