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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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in der Bildhauerei.

In diesen Begriff von Vollkommenheit nahmen
sie körperliche Schönheit aus den angeführten Ursa-
chen als ein nothwendiges Ingredienz auf: sie setzten
aus den verschiedenen Erfahrungen, die sie im Ein-
zelnen gemacht hatten, ein schöneres Ganze zusammen,
und verehrten nun das vollkommenste Wesen unter
der Bildung des schönsten seiner Geschöpfe.

Anfangs war eine solche bildliche Darstellung nur
idealische Versinnlichung höherer Kräfte, nach Er-
fahrungen ähnlicher aber bekannter Tugenden. Ju-
piter war würklich Gott, der beste aller Beherrscher
nach dem Zuschnitt der guten würklichen Regierer der
Völker. Nachher verdiente der Mensch, der diesen
Begriff am mehresten in seinem irrdischen Leben aus-
füllte, der nächste nach dem höheren Wesen, der
Halbgott, der Held, eine Erhaltung seines Anden-
kens von seinen dankbaren Mitbürgern. Man idea-
lisirte seine Form, um ihn zu vergöttern, oder wenig-
stens seine Nachkommen durch den sinnlichsten aller
Eindrücke zur fernen Verehrung und Nacheiferung
anzufeuren.

So wurden Tempel, öffentliche Plätze, jedes
Privatgebäude bevölkert. Das Kind, dessen Hände
zum erstenmale von der Mutter zum Dienst der Gott-
heit gefaltet wurden, sahe in dem Bilde der höchsten
Kraft nur den schönsten der Sterblichen; und der
ältere Sohn, dem der Vater das öffentliche Monu-
ment, den Zierrath seiner Wohnung erklärte, erblickte
in dem schönsten der Menschen nur das Bild der inne-
ren Würde seiner Vorgänger. Soll ich es erst sa-
gen, wie sich Hoheit der Seele und Gefühl der Schön-
heit hier wechselseitig verstärkten, wie sich kein schöner

Körper
M 4
in der Bildhauerei.

In dieſen Begriff von Vollkommenheit nahmen
ſie koͤrperliche Schoͤnheit aus den angefuͤhrten Urſa-
chen als ein nothwendiges Ingredienz auf: ſie ſetzten
aus den verſchiedenen Erfahrungen, die ſie im Ein-
zelnen gemacht hatten, ein ſchoͤneres Ganze zuſammen,
und verehrten nun das vollkommenſte Weſen unter
der Bildung des ſchoͤnſten ſeiner Geſchoͤpfe.

Anfangs war eine ſolche bildliche Darſtellung nur
idealiſche Verſinnlichung hoͤherer Kraͤfte, nach Er-
fahrungen aͤhnlicher aber bekannter Tugenden. Ju-
piter war wuͤrklich Gott, der beſte aller Beherrſcher
nach dem Zuſchnitt der guten wuͤrklichen Regierer der
Voͤlker. Nachher verdiente der Menſch, der dieſen
Begriff am mehreſten in ſeinem irrdiſchen Leben aus-
fuͤllte, der naͤchſte nach dem hoͤheren Weſen, der
Halbgott, der Held, eine Erhaltung ſeines Anden-
kens von ſeinen dankbaren Mitbuͤrgern. Man idea-
liſirte ſeine Form, um ihn zu vergoͤttern, oder wenig-
ſtens ſeine Nachkommen durch den ſinnlichſten aller
Eindruͤcke zur fernen Verehrung und Nacheiferung
anzufeuren.

So wurden Tempel, oͤffentliche Plaͤtze, jedes
Privatgebaͤude bevoͤlkert. Das Kind, deſſen Haͤnde
zum erſtenmale von der Mutter zum Dienſt der Gott-
heit gefaltet wurden, ſahe in dem Bilde der hoͤchſten
Kraft nur den ſchoͤnſten der Sterblichen; und der
aͤltere Sohn, dem der Vater das oͤffentliche Monu-
ment, den Zierrath ſeiner Wohnung erklaͤrte, erblickte
in dem ſchoͤnſten der Menſchen nur das Bild der inne-
ren Wuͤrde ſeiner Vorgaͤnger. Soll ich es erſt ſa-
gen, wie ſich Hoheit der Seele und Gefuͤhl der Schoͤn-
heit hier wechſelſeitig verſtaͤrkten, wie ſich kein ſchoͤner

Koͤrper
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[183/0207] in der Bildhauerei. In dieſen Begriff von Vollkommenheit nahmen ſie koͤrperliche Schoͤnheit aus den angefuͤhrten Urſa- chen als ein nothwendiges Ingredienz auf: ſie ſetzten aus den verſchiedenen Erfahrungen, die ſie im Ein- zelnen gemacht hatten, ein ſchoͤneres Ganze zuſammen, und verehrten nun das vollkommenſte Weſen unter der Bildung des ſchoͤnſten ſeiner Geſchoͤpfe. Anfangs war eine ſolche bildliche Darſtellung nur idealiſche Verſinnlichung hoͤherer Kraͤfte, nach Er- fahrungen aͤhnlicher aber bekannter Tugenden. Ju- piter war wuͤrklich Gott, der beſte aller Beherrſcher nach dem Zuſchnitt der guten wuͤrklichen Regierer der Voͤlker. Nachher verdiente der Menſch, der dieſen Begriff am mehreſten in ſeinem irrdiſchen Leben aus- fuͤllte, der naͤchſte nach dem hoͤheren Weſen, der Halbgott, der Held, eine Erhaltung ſeines Anden- kens von ſeinen dankbaren Mitbuͤrgern. Man idea- liſirte ſeine Form, um ihn zu vergoͤttern, oder wenig- ſtens ſeine Nachkommen durch den ſinnlichſten aller Eindruͤcke zur fernen Verehrung und Nacheiferung anzufeuren. So wurden Tempel, oͤffentliche Plaͤtze, jedes Privatgebaͤude bevoͤlkert. Das Kind, deſſen Haͤnde zum erſtenmale von der Mutter zum Dienſt der Gott- heit gefaltet wurden, ſahe in dem Bilde der hoͤchſten Kraft nur den ſchoͤnſten der Sterblichen; und der aͤltere Sohn, dem der Vater das oͤffentliche Monu- ment, den Zierrath ſeiner Wohnung erklaͤrte, erblickte in dem ſchoͤnſten der Menſchen nur das Bild der inne- ren Wuͤrde ſeiner Vorgaͤnger. Soll ich es erſt ſa- gen, wie ſich Hoheit der Seele und Gefuͤhl der Schoͤn- heit hier wechſelſeitig verſtaͤrkten, wie ſich kein ſchoͤner Koͤrper M 4

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/207>, abgerufen am 27.11.2024.