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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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in der Bildhauerei.
Sinn des Schönen in ihnen zu entwickeln? Das istschiedenen
Gange, den
die Künste
bei ihrer
Ausbildung
genommen
haben, ent-
wickelt.

gewiß.

Jedes Individuum eines so freien, und in so viele
kleine Staaten getheilten Volkes als die Griechen
waren, sahe sich als ein wesentliches Stück des Gan-
zen an, welches zur völligen Ausbildung seiner Kräfte
durch Patriotismus, Ehrgeitz und Selbstgefühl auf-
gefordert wurde. Der Antheil an der Administra-
tion des Staats, der Dienst im Kriege, nahmen nur
einen Theil derselben hin, und mit dem Ueberrest wu-
cherten sie zum Besten der Künste: es sey durch den
unmittelbaren Antheil, den sie an ihrer Ausübung
nahmen, es sey durch den Fleiß, den sie auf solche
Talente wandten, die mit jenen in Verbindung stan-
den, oder doch das Gefühl für sichtbare Schönheit
mittelbar entwickelten.

Denn das Denken um zu denken, das Wissen
um zu wissen, war bei den Griechen, zur Zeit wie
die Künste aufblüheten, weniger gewöhnlich. Sie
speculirten gemeiniglich mit unmittelbarer Beziehung
aufs handelnde Leben, und Kenntnisse, welche den
Affekt des Wissens, des Erkennens spannen, waren zu
schwer zu erlangen, um die bloße Neugierde nicht ab-
zuschrecken. Nichts natürlicher also, als daß sie ihre
Muße auf solche Gegenstände wandten, die, ohne ei-
nen großen Umfang von Vorerkenntnissen vorauszu-
setzen, dennoch eine solche Unterhaltung geben, welche
die Thätigkeit in ernsthafteren Geschäfften nicht hin-
dert, vielmehr in manchen Fällen unterstützt: Dies
sind die schönen Künste. Der Geschmack an densel-
ben war also viel ausgebreiteter, viel allgemeiner,
und da die Schönheit der menschlichen Gestalt des

Nutzens
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in der Bildhauerei.
Sinn des Schoͤnen in ihnen zu entwickeln? Das iſtſchiedenen
Gange, den
die Kuͤnſte
bei ihrer
Ausbildung
genommen
haben, ent-
wickelt.

gewiß.

Jedes Individuum eines ſo freien, und in ſo viele
kleine Staaten getheilten Volkes als die Griechen
waren, ſahe ſich als ein weſentliches Stuͤck des Gan-
zen an, welches zur voͤlligen Ausbildung ſeiner Kraͤfte
durch Patriotismus, Ehrgeitz und Selbſtgefuͤhl auf-
gefordert wurde. Der Antheil an der Adminiſtra-
tion des Staats, der Dienſt im Kriege, nahmen nur
einen Theil derſelben hin, und mit dem Ueberreſt wu-
cherten ſie zum Beſten der Kuͤnſte: es ſey durch den
unmittelbaren Antheil, den ſie an ihrer Ausuͤbung
nahmen, es ſey durch den Fleiß, den ſie auf ſolche
Talente wandten, die mit jenen in Verbindung ſtan-
den, oder doch das Gefuͤhl fuͤr ſichtbare Schoͤnheit
mittelbar entwickelten.

Denn das Denken um zu denken, das Wiſſen
um zu wiſſen, war bei den Griechen, zur Zeit wie
die Kuͤnſte aufbluͤheten, weniger gewoͤhnlich. Sie
ſpeculirten gemeiniglich mit unmittelbarer Beziehung
aufs handelnde Leben, und Kenntniſſe, welche den
Affekt des Wiſſens, des Erkennens ſpannen, waren zu
ſchwer zu erlangen, um die bloße Neugierde nicht ab-
zuſchrecken. Nichts natuͤrlicher alſo, als daß ſie ihre
Muße auf ſolche Gegenſtaͤnde wandten, die, ohne ei-
nen großen Umfang von Vorerkenntniſſen vorauszu-
ſetzen, dennoch eine ſolche Unterhaltung geben, welche
die Thaͤtigkeit in ernſthafteren Geſchaͤfften nicht hin-
dert, vielmehr in manchen Faͤllen unterſtuͤtzt: Dies
ſind die ſchoͤnen Kuͤnſte. Der Geſchmack an denſel-
ben war alſo viel ausgebreiteter, viel allgemeiner,
und da die Schoͤnheit der menſchlichen Geſtalt des

Nutzens
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[181/0205] in der Bildhauerei. Sinn des Schoͤnen in ihnen zu entwickeln? Das iſt gewiß. ſchiedenen Gange, den die Kuͤnſte bei ihrer Ausbildung genommen haben, ent- wickelt. Jedes Individuum eines ſo freien, und in ſo viele kleine Staaten getheilten Volkes als die Griechen waren, ſahe ſich als ein weſentliches Stuͤck des Gan- zen an, welches zur voͤlligen Ausbildung ſeiner Kraͤfte durch Patriotismus, Ehrgeitz und Selbſtgefuͤhl auf- gefordert wurde. Der Antheil an der Adminiſtra- tion des Staats, der Dienſt im Kriege, nahmen nur einen Theil derſelben hin, und mit dem Ueberreſt wu- cherten ſie zum Beſten der Kuͤnſte: es ſey durch den unmittelbaren Antheil, den ſie an ihrer Ausuͤbung nahmen, es ſey durch den Fleiß, den ſie auf ſolche Talente wandten, die mit jenen in Verbindung ſtan- den, oder doch das Gefuͤhl fuͤr ſichtbare Schoͤnheit mittelbar entwickelten. Denn das Denken um zu denken, das Wiſſen um zu wiſſen, war bei den Griechen, zur Zeit wie die Kuͤnſte aufbluͤheten, weniger gewoͤhnlich. Sie ſpeculirten gemeiniglich mit unmittelbarer Beziehung aufs handelnde Leben, und Kenntniſſe, welche den Affekt des Wiſſens, des Erkennens ſpannen, waren zu ſchwer zu erlangen, um die bloße Neugierde nicht ab- zuſchrecken. Nichts natuͤrlicher alſo, als daß ſie ihre Muße auf ſolche Gegenſtaͤnde wandten, die, ohne ei- nen großen Umfang von Vorerkenntniſſen vorauszu- ſetzen, dennoch eine ſolche Unterhaltung geben, welche die Thaͤtigkeit in ernſthafteren Geſchaͤfften nicht hin- dert, vielmehr in manchen Faͤllen unterſtuͤtzt: Dies ſind die ſchoͤnen Kuͤnſte. Der Geſchmack an denſel- ben war alſo viel ausgebreiteter, viel allgemeiner, und da die Schoͤnheit der menſchlichen Geſtalt des Nutzens M 3

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/205>, abgerufen am 04.05.2024.