Form des menschlichen Körpers weniger als diese, und entzieht sie nie dem Auge ganz.
Unvermerkt und gleichsam von selbst, komme ichDem alten Künstler war Gewand Be- kleidung des Körpers: dem neuern ist sie Haupt- sache, von deren will- kührlichen Bildung er für sich be- stehenden Reiz erwar- tet. hier auf ein zweites charakteristisches Unterscheidungs- zeichen. Die Alten, wenn sie ja bekleideten, thaten es immer auf eine Art, bei der die nackte Form eher gewinnen als verlieren mußte. Man verfolgt deren Umrisse noch immer unter dem Gewande, und es scheint nur darum ihr angelegt zu seyn, um die stets sich schlängelnden Linien des fleischigten und muscu- lösen Körpers, durch einige eckigter und gerader lau- fende zu unterbrechen, und contrastiren zu lassen. Hingegen nach unserm Kirchenstile ist ein Gewand ein Laken oder Teppich, den der Künstler nach Art des Tuchhändlers vor den Augen des Kauflustigen aus- breitet, oder einem Seegel gleich dem Spiel der Winde überläßt. Er verfährt mit der Bildung der Falten so willkührlich, als der Arabesken- oder Car- touchenmahler mit seinem Laub- und Muschelwerk. Es sind nicht Gewänder mehr, es sind Felsklumpen, Marmorblöcke taillirt en Facettes, auf denen das Licht buntscheckig spielt, und die man nie für dasjenige er- kennen würde, was sie seyn sollen, wenn nicht Kopf und Beine an den Ecken hervorragten. Gewand ist also in unserer neuen Bildhauerkunst eine für sich ste- hende Hauptsache geworden: eine Schadloshaltung für die entzogene nackte Gestalt: oder, wenn man lie- ber will, ein Werkzeug der Rache des beleidigten Ehr- geitzes, indem man durch die neue Erfindung selbst der Andeutung des Versagten entbehren zu können ge- glaubt hat.
Aber
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in der Bildhauerei.
Form des menſchlichen Koͤrpers weniger als dieſe, und entzieht ſie nie dem Auge ganz.
Unvermerkt und gleichſam von ſelbſt, komme ichDem alten Kuͤnſtler war Gewand Be- kleidung des Koͤrpers: dem neuern iſt ſie Haupt- ſache, von deren will- kuͤhrlichen Bildung er fuͤr ſich be- ſtehenden Reiz erwar- tet. hier auf ein zweites charakteriſtiſches Unterſcheidungs- zeichen. Die Alten, wenn ſie ja bekleideten, thaten es immer auf eine Art, bei der die nackte Form eher gewinnen als verlieren mußte. Man verfolgt deren Umriſſe noch immer unter dem Gewande, und es ſcheint nur darum ihr angelegt zu ſeyn, um die ſtets ſich ſchlaͤngelnden Linien des fleiſchigten und muſcu- loͤſen Koͤrpers, durch einige eckigter und gerader lau- fende zu unterbrechen, und contraſtiren zu laſſen. Hingegen nach unſerm Kirchenſtile iſt ein Gewand ein Laken oder Teppich, den der Kuͤnſtler nach Art des Tuchhaͤndlers vor den Augen des Kaufluſtigen aus- breitet, oder einem Seegel gleich dem Spiel der Winde uͤberlaͤßt. Er verfaͤhrt mit der Bildung der Falten ſo willkuͤhrlich, als der Arabeſken- oder Car- touchenmahler mit ſeinem Laub- und Muſchelwerk. Es ſind nicht Gewaͤnder mehr, es ſind Felsklumpen, Marmorbloͤcke taillirt en Facettes, auf denen das Licht buntſcheckig ſpielt, und die man nie fuͤr dasjenige er- kennen wuͤrde, was ſie ſeyn ſollen, wenn nicht Kopf und Beine an den Ecken hervorragten. Gewand iſt alſo in unſerer neuen Bildhauerkunſt eine fuͤr ſich ſte- hende Hauptſache geworden: eine Schadloshaltung fuͤr die entzogene nackte Geſtalt: oder, wenn man lie- ber will, ein Werkzeug der Rache des beleidigten Ehr- geitzes, indem man durch die neue Erfindung ſelbſt der Andeutung des Verſagten entbehren zu koͤnnen ge- glaubt hat.
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in der Bildhauerei.
Form des menſchlichen Koͤrpers weniger als dieſe,
und entzieht ſie nie dem Auge ganz.
Unvermerkt und gleichſam von ſelbſt, komme ich
hier auf ein zweites charakteriſtiſches Unterſcheidungs-
zeichen. Die Alten, wenn ſie ja bekleideten, thaten
es immer auf eine Art, bei der die nackte Form eher
gewinnen als verlieren mußte. Man verfolgt deren
Umriſſe noch immer unter dem Gewande, und es
ſcheint nur darum ihr angelegt zu ſeyn, um die ſtets
ſich ſchlaͤngelnden Linien des fleiſchigten und muſcu-
loͤſen Koͤrpers, durch einige eckigter und gerader lau-
fende zu unterbrechen, und contraſtiren zu laſſen.
Hingegen nach unſerm Kirchenſtile iſt ein Gewand
ein Laken oder Teppich, den der Kuͤnſtler nach Art des
Tuchhaͤndlers vor den Augen des Kaufluſtigen aus-
breitet, oder einem Seegel gleich dem Spiel der
Winde uͤberlaͤßt. Er verfaͤhrt mit der Bildung der
Falten ſo willkuͤhrlich, als der Arabeſken- oder Car-
touchenmahler mit ſeinem Laub- und Muſchelwerk.
Es ſind nicht Gewaͤnder mehr, es ſind Felsklumpen,
Marmorbloͤcke taillirt en Facettes, auf denen das Licht
buntſcheckig ſpielt, und die man nie fuͤr dasjenige er-
kennen wuͤrde, was ſie ſeyn ſollen, wenn nicht Kopf
und Beine an den Ecken hervorragten. Gewand iſt
alſo in unſerer neuen Bildhauerkunſt eine fuͤr ſich ſte-
hende Hauptſache geworden: eine Schadloshaltung
fuͤr die entzogene nackte Geſtalt: oder, wenn man lie-
ber will, ein Werkzeug der Rache des beleidigten Ehr-
geitzes, indem man durch die neue Erfindung ſelbſt der
Andeutung des Verſagten entbehren zu koͤnnen ge-
glaubt hat.
Dem alten
Kuͤnſtler war
Gewand Be-
kleidung des
Koͤrpers:
dem neuern
iſt ſie Haupt-
ſache, von
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/203>, abgerufen am 22.11.2024.
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