Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

in der Bildhauerei.
selten bietet sich ihm ihr Anblick dar, und wie noch sel-
tener in der Vollkommenheit, die ihn zur Nachbil-
dung anfeuern könnte!

Bei den Griechen sahe der Künstler die nackten
Formen der edelsten Jugend beider Geschlechter in
dem Grade von Vollkommenheit, wozu sie besorgte
Erziehung, die Folge des Wohlstandes, nur immer
zu bringen im Stande war. Er sahe sie täglich,
bei ihren Festen, bei ihren Spielen, überall, indem
Clima und falsche Begriffe von Anstand gänzliche
Verhüllung des Körpers nicht nothwendig machten.
Die schönsten der griechischen Mädchen und Jünglin-
ge hielten es sich zur Ehre, als eine Venus, als ein
Apollo der Gegenstand öffentlicher Verehrung zu
werden.

Hingegen bei uns wähnt sich die Buhlerin, die
ihre Reize zu jedem andern Gebrauche feil bietet,
durch den Antrag entehrt, dem Künstler zum Mo-
delle zu dienen. Rauheres Clima, andere Begriffe
von Anstand, und phantastische Mode haben eine
gänzliche Verhüllung nothwendig gemacht; und sel-
ten glückt seitdem dem Bildhauer der Anblick eines
nackten Körpers. Auge und Hand entwöhnen sich
der Bekanntschaft mit Gegenständen, deren Nach-
bildung nothwendig Sicherheit des Blicks, und Ue-
bung der Hand erfordert. Es ist eine bekannte Er-
fahrung, daß der neuere Künstler die Extremitäten
des Körpers, die er oft entblößt sieht und nachahmt,
wenn gleich nicht mit gleicher Schönheit, dennoch mit
gleicher Wahrheit als der alte bildet; nur die übri-
gen Theile des Körpers erfüllen selten die Forderungen,
zu denen uns die Werke der Alten berechtigt haben.

Der
Dritter Theil. M

in der Bildhauerei.
ſelten bietet ſich ihm ihr Anblick dar, und wie noch ſel-
tener in der Vollkommenheit, die ihn zur Nachbil-
dung anfeuern koͤnnte!

Bei den Griechen ſahe der Kuͤnſtler die nackten
Formen der edelſten Jugend beider Geſchlechter in
dem Grade von Vollkommenheit, wozu ſie beſorgte
Erziehung, die Folge des Wohlſtandes, nur immer
zu bringen im Stande war. Er ſahe ſie taͤglich,
bei ihren Feſten, bei ihren Spielen, uͤberall, indem
Clima und falſche Begriffe von Anſtand gaͤnzliche
Verhuͤllung des Koͤrpers nicht nothwendig machten.
Die ſchoͤnſten der griechiſchen Maͤdchen und Juͤnglin-
ge hielten es ſich zur Ehre, als eine Venus, als ein
Apollo der Gegenſtand oͤffentlicher Verehrung zu
werden.

Hingegen bei uns waͤhnt ſich die Buhlerin, die
ihre Reize zu jedem andern Gebrauche feil bietet,
durch den Antrag entehrt, dem Kuͤnſtler zum Mo-
delle zu dienen. Rauheres Clima, andere Begriffe
von Anſtand, und phantaſtiſche Mode haben eine
gaͤnzliche Verhuͤllung nothwendig gemacht; und ſel-
ten gluͤckt ſeitdem dem Bildhauer der Anblick eines
nackten Koͤrpers. Auge und Hand entwoͤhnen ſich
der Bekanntſchaft mit Gegenſtaͤnden, deren Nach-
bildung nothwendig Sicherheit des Blicks, und Ue-
bung der Hand erfordert. Es iſt eine bekannte Er-
fahrung, daß der neuere Kuͤnſtler die Extremitaͤten
des Koͤrpers, die er oft entbloͤßt ſieht und nachahmt,
wenn gleich nicht mit gleicher Schoͤnheit, dennoch mit
gleicher Wahrheit als der alte bildet; nur die uͤbri-
gen Theile des Koͤrpers erfuͤllen ſelten die Forderungen,
zu denen uns die Werke der Alten berechtigt haben.

Der
Dritter Theil. M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0201" n="177"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in der Bildhauerei.</hi></fw><lb/>
&#x017F;elten bietet &#x017F;ich ihm ihr Anblick dar, und wie noch &#x017F;el-<lb/>
tener in der Vollkommenheit, die ihn zur Nachbil-<lb/>
dung anfeuern ko&#x0364;nnte!</p><lb/>
          <p>Bei den Griechen &#x017F;ahe der Ku&#x0364;n&#x017F;tler die nackten<lb/>
Formen der edel&#x017F;ten Jugend beider Ge&#x017F;chlechter in<lb/>
dem Grade von Vollkommenheit, wozu &#x017F;ie be&#x017F;orgte<lb/>
Erziehung, die Folge des Wohl&#x017F;tandes, nur immer<lb/>
zu bringen im Stande war. Er &#x017F;ahe &#x017F;ie ta&#x0364;glich,<lb/>
bei ihren Fe&#x017F;ten, bei ihren Spielen, u&#x0364;berall, indem<lb/>
Clima und fal&#x017F;che Begriffe von An&#x017F;tand ga&#x0364;nzliche<lb/>
Verhu&#x0364;llung des Ko&#x0364;rpers nicht nothwendig machten.<lb/>
Die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten der griechi&#x017F;chen Ma&#x0364;dchen und Ju&#x0364;nglin-<lb/>
ge hielten es &#x017F;ich zur Ehre, als eine Venus, als ein<lb/>
Apollo der Gegen&#x017F;tand o&#x0364;ffentlicher Verehrung zu<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>Hingegen bei uns wa&#x0364;hnt &#x017F;ich die Buhlerin, die<lb/>
ihre Reize zu jedem andern Gebrauche feil bietet,<lb/>
durch den Antrag entehrt, dem Ku&#x0364;n&#x017F;tler zum Mo-<lb/>
delle zu dienen. Rauheres Clima, andere Begriffe<lb/>
von An&#x017F;tand, und phanta&#x017F;ti&#x017F;che Mode haben eine<lb/>
ga&#x0364;nzliche Verhu&#x0364;llung nothwendig gemacht; und &#x017F;el-<lb/>
ten glu&#x0364;ckt &#x017F;eitdem dem Bildhauer der Anblick eines<lb/>
nackten Ko&#x0364;rpers. Auge und Hand entwo&#x0364;hnen &#x017F;ich<lb/>
der Bekannt&#x017F;chaft mit Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden, deren Nach-<lb/>
bildung nothwendig Sicherheit des Blicks, und Ue-<lb/>
bung der Hand erfordert. Es i&#x017F;t eine bekannte Er-<lb/>
fahrung, daß der neuere Ku&#x0364;n&#x017F;tler die Extremita&#x0364;ten<lb/>
des Ko&#x0364;rpers, die er oft entblo&#x0364;ßt &#x017F;ieht und nachahmt,<lb/>
wenn gleich nicht mit gleicher Scho&#x0364;nheit, dennoch mit<lb/>
gleicher Wahrheit als der alte bildet; nur die u&#x0364;bri-<lb/>
gen Theile des Ko&#x0364;rpers erfu&#x0364;llen &#x017F;elten die Forderungen,<lb/>
zu denen uns die Werke der Alten berechtigt haben.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Dritter Theil.</hi> M</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0201] in der Bildhauerei. ſelten bietet ſich ihm ihr Anblick dar, und wie noch ſel- tener in der Vollkommenheit, die ihn zur Nachbil- dung anfeuern koͤnnte! Bei den Griechen ſahe der Kuͤnſtler die nackten Formen der edelſten Jugend beider Geſchlechter in dem Grade von Vollkommenheit, wozu ſie beſorgte Erziehung, die Folge des Wohlſtandes, nur immer zu bringen im Stande war. Er ſahe ſie taͤglich, bei ihren Feſten, bei ihren Spielen, uͤberall, indem Clima und falſche Begriffe von Anſtand gaͤnzliche Verhuͤllung des Koͤrpers nicht nothwendig machten. Die ſchoͤnſten der griechiſchen Maͤdchen und Juͤnglin- ge hielten es ſich zur Ehre, als eine Venus, als ein Apollo der Gegenſtand oͤffentlicher Verehrung zu werden. Hingegen bei uns waͤhnt ſich die Buhlerin, die ihre Reize zu jedem andern Gebrauche feil bietet, durch den Antrag entehrt, dem Kuͤnſtler zum Mo- delle zu dienen. Rauheres Clima, andere Begriffe von Anſtand, und phantaſtiſche Mode haben eine gaͤnzliche Verhuͤllung nothwendig gemacht; und ſel- ten gluͤckt ſeitdem dem Bildhauer der Anblick eines nackten Koͤrpers. Auge und Hand entwoͤhnen ſich der Bekanntſchaft mit Gegenſtaͤnden, deren Nach- bildung nothwendig Sicherheit des Blicks, und Ue- bung der Hand erfordert. Es iſt eine bekannte Er- fahrung, daß der neuere Kuͤnſtler die Extremitaͤten des Koͤrpers, die er oft entbloͤßt ſieht und nachahmt, wenn gleich nicht mit gleicher Schoͤnheit, dennoch mit gleicher Wahrheit als der alte bildet; nur die uͤbri- gen Theile des Koͤrpers erfuͤllen ſelten die Forderungen, zu denen uns die Werke der Alten berechtigt haben. Der Dritter Theil. M

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/201
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/201>, abgerufen am 22.11.2024.