genügsameres Geschöpf als ein Künstler, aber auch kein stolzeres! Trocken Brod, ein aufgespanntes Tuch und das Gefühl öffentlicher allgemeiner Achtung, das ist sein Bedürfniß, sein Leben und sein Himmel!
Ein sehr wichtiger Grund, warum unsere gegen- wärtige Künstler ihren Vorgängern nicht mehr gleich kommen, liegt darin, -- daß sie ihre Nachfolger sind. In den ernsthafteren Wissenschaften ist die Grundlage der Kenntnisse, durch welche wir zur Entdeckung neuer Wahrheiten geführt werden, immer das leichteste. Der Schüler steht nach ein Paar Jahren anhaltenden Fleißes immer da, wo der Meister aufhört und fährt nun fort zu bauen. Das Werk geht von Genera- tion zu Generation: Wer vermag dessen Höhe und Umfang zu bestimmen? Oft reißt man wieder ein, oft flickt man an: der letzte hat immer den größten Anspruch auf unsere dankbare Bewunderung, wenn er seinen Zeitgenossen als Erfinder erscheint. Besitzt er die Kenntnisse seiner Vorgänger neben seinen eige- nen: gut! wo nicht, er ist darum nicht der minder große Mann, weil er der kleinere Gelehrte ist.
Ganz anders verhält es sich mit den schönen Kün- sten. In ein Paar Menschenaltern kömmt man über die rohen Versuche der Nachahmung weg, und hier gewinnt der Nachfolger jener Meister, die durch zeit- spillige Irrungen die Handgriffe der mechanischen Be- handlung, die Regeln der Symmetrie, der Propor- tionen, des Knochenbaues, der Perspektive u. s. w. erst ausfinden mußten. Aber nun ist auch alles ge- schehen, was das frühere Jahrhundert für die folgen- den thun konnte, das heißt: Das Wenige blos Wis- senschaftliche, was dabei zur Anwendung kommen
kann,
Pallaſt
genuͤgſameres Geſchoͤpf als ein Kuͤnſtler, aber auch kein ſtolzeres! Trocken Brod, ein aufgeſpanntes Tuch und das Gefuͤhl oͤffentlicher allgemeiner Achtung, das iſt ſein Beduͤrfniß, ſein Leben und ſein Himmel!
Ein ſehr wichtiger Grund, warum unſere gegen- waͤrtige Kuͤnſtler ihren Vorgaͤngern nicht mehr gleich kommen, liegt darin, — daß ſie ihre Nachfolger ſind. In den ernſthafteren Wiſſenſchaften iſt die Grundlage der Kenntniſſe, durch welche wir zur Entdeckung neuer Wahrheiten gefuͤhrt werden, immer das leichteſte. Der Schuͤler ſteht nach ein Paar Jahren anhaltenden Fleißes immer da, wo der Meiſter aufhoͤrt und faͤhrt nun fort zu bauen. Das Werk geht von Genera- tion zu Generation: Wer vermag deſſen Hoͤhe und Umfang zu beſtimmen? Oft reißt man wieder ein, oft flickt man an: der letzte hat immer den groͤßten Anſpruch auf unſere dankbare Bewunderung, wenn er ſeinen Zeitgenoſſen als Erfinder erſcheint. Beſitzt er die Kenntniſſe ſeiner Vorgaͤnger neben ſeinen eige- nen: gut! wo nicht, er iſt darum nicht der minder große Mann, weil er der kleinere Gelehrte iſt.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit den ſchoͤnen Kuͤn- ſten. In ein Paar Menſchenaltern koͤmmt man uͤber die rohen Verſuche der Nachahmung weg, und hier gewinnt der Nachfolger jener Meiſter, die durch zeit- ſpillige Irrungen die Handgriffe der mechaniſchen Be- handlung, die Regeln der Symmetrie, der Propor- tionen, des Knochenbaues, der Perſpektive u. ſ. w. erſt ausfinden mußten. Aber nun iſt auch alles ge- ſchehen, was das fruͤhere Jahrhundert fuͤr die folgen- den thun konnte, das heißt: Das Wenige blos Wiſ- ſenſchaftliche, was dabei zur Anwendung kommen
kann,
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Pallaſt
genuͤgſameres Geſchoͤpf als ein Kuͤnſtler, aber auch
kein ſtolzeres! Trocken Brod, ein aufgeſpanntes Tuch
und das Gefuͤhl oͤffentlicher allgemeiner Achtung, das
iſt ſein Beduͤrfniß, ſein Leben und ſein Himmel!
Ein ſehr wichtiger Grund, warum unſere gegen-
waͤrtige Kuͤnſtler ihren Vorgaͤngern nicht mehr gleich
kommen, liegt darin, — daß ſie ihre Nachfolger ſind.
In den ernſthafteren Wiſſenſchaften iſt die Grundlage
der Kenntniſſe, durch welche wir zur Entdeckung neuer
Wahrheiten gefuͤhrt werden, immer das leichteſte.
Der Schuͤler ſteht nach ein Paar Jahren anhaltenden
Fleißes immer da, wo der Meiſter aufhoͤrt und faͤhrt
nun fort zu bauen. Das Werk geht von Genera-
tion zu Generation: Wer vermag deſſen Hoͤhe und
Umfang zu beſtimmen? Oft reißt man wieder ein,
oft flickt man an: der letzte hat immer den groͤßten
Anſpruch auf unſere dankbare Bewunderung, wenn er
ſeinen Zeitgenoſſen als Erfinder erſcheint. Beſitzt er
die Kenntniſſe ſeiner Vorgaͤnger neben ſeinen eige-
nen: gut! wo nicht, er iſt darum nicht der minder
große Mann, weil er der kleinere Gelehrte iſt.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit den ſchoͤnen Kuͤn-
ſten. In ein Paar Menſchenaltern koͤmmt man uͤber
die rohen Verſuche der Nachahmung weg, und hier
gewinnt der Nachfolger jener Meiſter, die durch zeit-
ſpillige Irrungen die Handgriffe der mechaniſchen Be-
handlung, die Regeln der Symmetrie, der Propor-
tionen, des Knochenbaues, der Perſpektive u. ſ. w.
erſt ausfinden mußten. Aber nun iſt auch alles ge-
ſchehen, was das fruͤhere Jahrhundert fuͤr die folgen-
den thun konnte, das heißt: Das Wenige blos Wiſ-
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/162>, abgerufen am 28.07.2024.
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