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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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der Französtschen Academie.
kann, ist ausgefunden. Nach dieser Zeit fängt nun
jeder angehende Künstler in denselben Jahren seines
Lebens wieder da an, wo sein Vorgänger nicht auf-
hörte, sondern anfieng. Er muß so wie jener seine
Hand und sein Auge an Richtigkeit gewöhnen: er muß
so wie jener Handwerker werden, ehe er Künstler
werden kann: er muß alle Vorzüge des ersten in sich
vereinigen, und was schlimmer ist, er muß noch solche
hinzufügen, die ihm einen besondern Grad der Auf-
merksamkeit von seinen Zeitgenoßen sichern können.
Hier aber häufen sich die Schwierigkeiten mit jedem
Jahre.

Der Umfang der Vorwürfe, durch deren Dar-
stellung Herz und Einbildungskraft interessiret werden,
kömmt in keine Vergleichung mit dem Umfange von
Kenntnissen, die unserm Kopfe Beschäfftigung ge-
währen. Der erste der wählt, sucht das Prägnan-
teste heraus: der nächstfolgende nimmt den Ueberrest,
und die darauf folgenden stellen dasjenige vor, was
schon gewählt ist, oder stellen dieselben Süjets, im-
mer den Menschen mit seinen Leidenschaften, immer
die Natur mit ihren Grundmodifikationen, unter den
zufälligen Abwechselungen des Costume vor. Die er-
sten sind eigentlich nur Schöpfer, Erfinder des Sü-
jets; die Nachfolger nur Bekleider, Ueberlieferer in
einem andern Vortrage: und wehe diesen letzten,
wenn sie Erfinder seyn wollen! Sie werden witzig an-
statt wahr zu seyn, und endlich gar nur gelehrt.

So viel schwerer ist der Stand des neuen Mei-
sters gegen den des alten in Rücksicht auf die Erfindung:
sehen wir auf die Schwierigkeiten der Ausführung,
wir finden sie nicht vermindert.

Das

der Franzoͤſtſchen Academie.
kann, iſt ausgefunden. Nach dieſer Zeit faͤngt nun
jeder angehende Kuͤnſtler in denſelben Jahren ſeines
Lebens wieder da an, wo ſein Vorgaͤnger nicht auf-
hoͤrte, ſondern anfieng. Er muß ſo wie jener ſeine
Hand und ſein Auge an Richtigkeit gewoͤhnen: er muß
ſo wie jener Handwerker werden, ehe er Kuͤnſtler
werden kann: er muß alle Vorzuͤge des erſten in ſich
vereinigen, und was ſchlimmer iſt, er muß noch ſolche
hinzufuͤgen, die ihm einen beſondern Grad der Auf-
merkſamkeit von ſeinen Zeitgenoßen ſichern koͤnnen.
Hier aber haͤufen ſich die Schwierigkeiten mit jedem
Jahre.

Der Umfang der Vorwuͤrfe, durch deren Dar-
ſtellung Herz und Einbildungskraft intereſſiret werden,
koͤmmt in keine Vergleichung mit dem Umfange von
Kenntniſſen, die unſerm Kopfe Beſchaͤfftigung ge-
waͤhren. Der erſte der waͤhlt, ſucht das Praͤgnan-
teſte heraus: der naͤchſtfolgende nimmt den Ueberreſt,
und die darauf folgenden ſtellen dasjenige vor, was
ſchon gewaͤhlt iſt, oder ſtellen dieſelben Suͤjets, im-
mer den Menſchen mit ſeinen Leidenſchaften, immer
die Natur mit ihren Grundmodifikationen, unter den
zufaͤlligen Abwechſelungen des Coſtume vor. Die er-
ſten ſind eigentlich nur Schoͤpfer, Erfinder des Suͤ-
jets; die Nachfolger nur Bekleider, Ueberlieferer in
einem andern Vortrage: und wehe dieſen letzten,
wenn ſie Erfinder ſeyn wollen! Sie werden witzig an-
ſtatt wahr zu ſeyn, und endlich gar nur gelehrt.

So viel ſchwerer iſt der Stand des neuen Mei-
ſters gegen den des alten in Ruͤckſicht auf die Erfindung:
ſehen wir auf die Schwierigkeiten der Ausfuͤhrung,
wir finden ſie nicht vermindert.

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[139/0163] der Franzoͤſtſchen Academie. kann, iſt ausgefunden. Nach dieſer Zeit faͤngt nun jeder angehende Kuͤnſtler in denſelben Jahren ſeines Lebens wieder da an, wo ſein Vorgaͤnger nicht auf- hoͤrte, ſondern anfieng. Er muß ſo wie jener ſeine Hand und ſein Auge an Richtigkeit gewoͤhnen: er muß ſo wie jener Handwerker werden, ehe er Kuͤnſtler werden kann: er muß alle Vorzuͤge des erſten in ſich vereinigen, und was ſchlimmer iſt, er muß noch ſolche hinzufuͤgen, die ihm einen beſondern Grad der Auf- merkſamkeit von ſeinen Zeitgenoßen ſichern koͤnnen. Hier aber haͤufen ſich die Schwierigkeiten mit jedem Jahre. Der Umfang der Vorwuͤrfe, durch deren Dar- ſtellung Herz und Einbildungskraft intereſſiret werden, koͤmmt in keine Vergleichung mit dem Umfange von Kenntniſſen, die unſerm Kopfe Beſchaͤfftigung ge- waͤhren. Der erſte der waͤhlt, ſucht das Praͤgnan- teſte heraus: der naͤchſtfolgende nimmt den Ueberreſt, und die darauf folgenden ſtellen dasjenige vor, was ſchon gewaͤhlt iſt, oder ſtellen dieſelben Suͤjets, im- mer den Menſchen mit ſeinen Leidenſchaften, immer die Natur mit ihren Grundmodifikationen, unter den zufaͤlligen Abwechſelungen des Coſtume vor. Die er- ſten ſind eigentlich nur Schoͤpfer, Erfinder des Suͤ- jets; die Nachfolger nur Bekleider, Ueberlieferer in einem andern Vortrage: und wehe dieſen letzten, wenn ſie Erfinder ſeyn wollen! Sie werden witzig an- ſtatt wahr zu ſeyn, und endlich gar nur gelehrt. So viel ſchwerer iſt der Stand des neuen Mei- ſters gegen den des alten in Ruͤckſicht auf die Erfindung: ſehen wir auf die Schwierigkeiten der Ausfuͤhrung, wir finden ſie nicht vermindert. Das

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/163>, abgerufen am 06.05.2024.