Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.Pallast Barberini. Man sieht ein Gemählde als einen erläuterndenKupferstich an, der einem Buche beigefügt worden; und für jeden Beschauer der nicht die Stelle des Ge- schichtschreibers oder Dichters gegenwärtig hat, wor- aus das Süjet des Bildes genommen ist, bleibt es alsdann ein quälendes Fragment, das weder Herz noch Geist befriedigt. Ein solcher Misbrauch ist dem Gange zuwider, Der Liebhaber der in eine Gallerie tritt, sagt wieder T 4
Pallaſt Barberini. Man ſieht ein Gemaͤhlde als einen erlaͤuterndenKupferſtich an, der einem Buche beigefuͤgt worden; und fuͤr jeden Beſchauer der nicht die Stelle des Ge- ſchichtſchreibers oder Dichters gegenwaͤrtig hat, wor- aus das Suͤjet des Bildes genommen iſt, bleibt es alsdann ein quaͤlendes Fragment, das weder Herz noch Geiſt befriedigt. Ein ſolcher Misbrauch iſt dem Gange zuwider, Der Liebhaber der in eine Gallerie tritt, ſagt wieder T 4
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Pallaſt Barberini.
Man ſieht ein Gemaͤhlde als einen erlaͤuternden
Kupferſtich an, der einem Buche beigefuͤgt worden;
und fuͤr jeden Beſchauer der nicht die Stelle des Ge-
ſchichtſchreibers oder Dichters gegenwaͤrtig hat, wor-
aus das Suͤjet des Bildes genommen iſt, bleibt es
alsdann ein quaͤlendes Fragment, das weder Herz
noch Geiſt befriedigt.
Ein ſolcher Misbrauch iſt dem Gange zuwider,
den unſere Erfahrungen uͤber das Intereſſe eines Bil-
des zu nehmen pflegen; dem Anſpruch, den auch un-
gelehrte, aber von Herz und Auge gebildete, Ge-
nießer der ſchoͤnen Kuͤnſte auf aͤſthetiſche Wuͤrkung
von einem Gemaͤhlde zu machen berechtiget ſind; und
dem Begriff von Vollkommenheit eines Werks, die
von Selbſtſtaͤndigkeit unzertrennlich iſt. Endlich zieht
dieſer Misbrauch auch den Verluſt einer großen und
der Mahlerei eigenthuͤmlichen Schoͤnheit nach ſich.
Der Liebhaber der in eine Gallerie tritt, ſagt
ſich nicht: ich habe den Tacitus geleſen, ich bin doch
neugierig, wie Pouſſin den ſterbenden Germanicus
wird vorgeſtellet haben! Nein, er ſieht einen Kran-
ken, der mit einer Hand auf ſein weinendes Weib,
auf ſeine jammernden Kinder zeigt, und die andere
gegen Maͤnner ausſtreckt, die ſein Lager umringen,
auf ihn zu eilen, Antheil an ihm nehmen, etwas ver-
heißen. Warum ſind ſie ſo thaͤtig? Warum wei-
chen ihre Koͤrper auf dieſe beſtimmte Art von der Lage
eines Koͤrpers in Ruhe ab? Dies ſind die erſten
Fragen, die die Neugierde thut. Sie entdeckt das
Motiv: den Sterbenden, der ſeine Freunde um
Beiſtand fuͤr ſeine Familie anruft; nun geht ſie
wieder
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