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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Pallast Farnese.
der Kunst zu
beurtheilen.
bekannt zu seyn. Genung wenn das Publicum, für
welches das Kunstwerk bestimmt ist, den dargestellten
Gegenstand nicht erst aus der Darstellung ken-
nen lernt.

Was mahle-
rische, was
dichterische
Erfindung
in der Kunst-
sprache sey?

Die Figuren eines Gemähldes so stellen, daß sie
durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange-
nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und
zugleich eine leichte Uebersicht des Ganzen darbieten;
solche Körper auswählen, die zur Färbung und Be-
leuchtung besonders geschickt sind; heißt in der Kunst-
sprache: mahlerisch erfinden, oder auch: anordnen.
Hingegen zeigt der Künstler nach eben dieser Sprache
eine dichterische Erfindung, wenn er bei genauer
Kenntniß der Gränzen seiner Kunst solche Gegenstände
zur Darstellung wählt, die Kopf und Herzen Nah-
rung geben, und diese durch Mittel, die in dem Ge-
biete eben dieser Kunst liegen, dem Verständnisse des
Zuschauers möglichst nahe zu bringen sucht. Hieher
gehören Ausdruck, Allegorie, Hinstellung der Figu-
ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf-
merksamkeit anweiset, den ihr Antheil an der Haupt-
handlung verdient. Ja, es gehören hieher alle Mit-
tel deren sich die mahlerische Erfindung bedient, nur
daß bei ihrer Anwendung das Interesse der Bedeu-
tung die erste Rücksicht ist.

Beide müssen mit einander gehen, aber die mah-
lerische Erfindung muß der dichterischen untergeordnet
seyn. Ist sie das nicht, so wird zur natürlichen
Folge, daß man nicht die Figuren so stellt, wie sie die
Handlung am deutlichsten machen, sondern, wie sie
am besten ins Auge fallen, die mehreste Abwechselung
in die Stellungen bringen, und die Gruppen am

schick-

Pallaſt Farneſe.
der Kunſt zu
beurtheilen.
bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr
welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten
Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken-
nen lernt.

Was mahle-
riſche, was
dichteriſche
Erfindung
in der Kunſt-
ſprache ſey?

Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie
durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange-
nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und
zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten;
ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be-
leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt-
ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen.
Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache
eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer
Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde
zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah-
rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge-
biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des
Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher
gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu-
ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf-
merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt-
handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit-
tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur
daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu-
tung die erſte Ruͤckſicht iſt.

Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah-
leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet
ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen
Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die
Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie
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[14/0036] Pallaſt Farneſe. bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken- nen lernt. der Kunſt zu beurtheilen. Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange- nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten; ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be- leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt- ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen. Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah- rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge- biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu- ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf- merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt- handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit- tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu- tung die erſte Ruͤckſicht iſt. Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah- leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie am beſten ins Auge fallen, die mehreſte Abwechſelung in die Stellungen bringen, und die Gruppen am ſchick-

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/36>, abgerufen am 26.04.2024.