der Kunst zu beurtheilen.bekannt zu seyn. Genung wenn das Publicum, für welches das Kunstwerk bestimmt ist, den dargestellten Gegenstand nicht erst aus der Darstellung ken- nen lernt.
Was mahle- rische, was dichterische Erfindung in der Kunst- sprache sey?
Die Figuren eines Gemähldes so stellen, daß sie durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange- nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und zugleich eine leichte Uebersicht des Ganzen darbieten; solche Körper auswählen, die zur Färbung und Be- leuchtung besonders geschickt sind; heißt in der Kunst- sprache: mahlerisch erfinden, oder auch: anordnen. Hingegen zeigt der Künstler nach eben dieser Sprache eine dichterische Erfindung, wenn er bei genauer Kenntniß der Gränzen seiner Kunst solche Gegenstände zur Darstellung wählt, die Kopf und Herzen Nah- rung geben, und diese durch Mittel, die in dem Ge- biete eben dieser Kunst liegen, dem Verständnisse des Zuschauers möglichst nahe zu bringen sucht. Hieher gehören Ausdruck, Allegorie, Hinstellung der Figu- ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf- merksamkeit anweiset, den ihr Antheil an der Haupt- handlung verdient. Ja, es gehören hieher alle Mit- tel deren sich die mahlerische Erfindung bedient, nur daß bei ihrer Anwendung das Interesse der Bedeu- tung die erste Rücksicht ist.
Beide müssen mit einander gehen, aber die mah- lerische Erfindung muß der dichterischen untergeordnet seyn. Ist sie das nicht, so wird zur natürlichen Folge, daß man nicht die Figuren so stellt, wie sie die Handlung am deutlichsten machen, sondern, wie sie am besten ins Auge fallen, die mehreste Abwechselung in die Stellungen bringen, und die Gruppen am
schick-
Pallaſt Farneſe.
der Kunſt zu beurtheilen.bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken- nen lernt.
Was mahle- riſche, was dichteriſche Erfindung in der Kunſt- ſprache ſey?
Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange- nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten; ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be- leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt- ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen. Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah- rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge- biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu- ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf- merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt- handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit- tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu- tung die erſte Ruͤckſicht iſt.
Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah- leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie am beſten ins Auge fallen, die mehreſte Abwechſelung in die Stellungen bringen, und die Gruppen am
ſchick-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0036"n="14"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Pallaſt Farneſe.</hi></fw><lb/><noteplace="left">der Kunſt zu<lb/>
beurtheilen.</note>bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr<lb/>
welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten<lb/>
Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken-<lb/>
nen lernt.</p><lb/><noteplace="left">Was mahle-<lb/>
riſche, was<lb/>
dichteriſche<lb/>
Erfindung<lb/>
in der Kunſt-<lb/>ſprache ſey?</note><p>Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie<lb/>
durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange-<lb/>
nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und<lb/>
zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten;<lb/>ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be-<lb/>
leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt-<lb/>ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen.<lb/>
Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache<lb/>
eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer<lb/>
Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde<lb/>
zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah-<lb/>
rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge-<lb/>
biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des<lb/>
Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher<lb/>
gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu-<lb/>
ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf-<lb/>
merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt-<lb/>
handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit-<lb/>
tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur<lb/>
daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu-<lb/>
tung die erſte Ruͤckſicht iſt.</p><lb/><p>Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah-<lb/>
leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet<lb/>ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen<lb/>
Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die<lb/>
Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie<lb/>
am beſten ins Auge fallen, die mehreſte Abwechſelung<lb/>
in die Stellungen bringen, und die Gruppen am<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſchick-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[14/0036]
Pallaſt Farneſe.
bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr
welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten
Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken-
nen lernt.
der Kunſt zu
beurtheilen.
Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie
durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange-
nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und
zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten;
ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be-
leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt-
ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen.
Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache
eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer
Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde
zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah-
rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge-
biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des
Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher
gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu-
ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf-
merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt-
handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit-
tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur
daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu-
tung die erſte Ruͤckſicht iſt.
Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah-
leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet
ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen
Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die
Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie
am beſten ins Auge fallen, die mehreſte Abwechſelung
in die Stellungen bringen, und die Gruppen am
ſchick-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/36>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.