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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
der sie umringt; das Heilige, das Hehre, das man
sich von der Gegenwart der Unsterblichen stets unge-
trennt denkt. Der Himmel ist heiter über der Gruppe
des Pabstes, aber er schwärzt sich über den Häuptern
der feindlichen Armee; ein Sturmwind rollt die Wol-
ken auf vor den Aposteln her; kaum vermögen die
Träger ihre Fahnen zu halten; die Pferde werden
scheu; man stößt mit zurückgewandtem Gesichte in die
Trommeten zum Abmarsch; man flieht; man geräth
in Unordnung; man weiß nicht wie, noch warum.

Dies ist der Gedanke dieses Gemähldes, über
den man so viele und so üble Critiken gemacht hat.

In Ansehung der Anordnung wirft man der Fi-
gur des Attila vor, daß sie sich nicht genung heraus
hebe. Dieser Fehler liegt in dem Mangel der Hal-
tung, nicht an dem Orte, wohin sie gestellet ist; denn
sie ist frei genung, um gesehen zu werden. Da aber
Raphael den Grundsatz hatte, seine entfernten Figu-
ren dadurch zurückweichend zu machen, daß er helle
Massen auf den Vorgrund stellte, so zieht der vor-
derste Reuter auf dem weißem Pferde die Augen zu
sehr an sich, um nicht den Eindruck der Figur des
Königs, den man im Halbschatten auf einem brau-
nen Pferde sieht, zu schwächen. Raphael bediente
sich selten des Mittels, durch dunkle Massen auf dem
Vorgrunde des Gemähldes lichtere Gegenstände ent-
fernter erscheinen zu lassen. Er kannte nicht die soge-
nannten Repoussoirs.

Der Ausdruck ist wieder unvergleichlich, die ru-
hige Zuversicht in der Gruppe des Pabstes und seiner

Beglei-

Der Vaticaniſche Pallaſt.
der ſie umringt; das Heilige, das Hehre, das man
ſich von der Gegenwart der Unſterblichen ſtets unge-
trennt denkt. Der Himmel iſt heiter uͤber der Gruppe
des Pabſtes, aber er ſchwaͤrzt ſich uͤber den Haͤuptern
der feindlichen Armee; ein Sturmwind rollt die Wol-
ken auf vor den Apoſteln her; kaum vermoͤgen die
Traͤger ihre Fahnen zu halten; die Pferde werden
ſcheu; man ſtoͤßt mit zuruͤckgewandtem Geſichte in die
Trommeten zum Abmarſch; man flieht; man geraͤth
in Unordnung; man weiß nicht wie, noch warum.

Dies iſt der Gedanke dieſes Gemaͤhldes, uͤber
den man ſo viele und ſo uͤble Critiken gemacht hat.

In Anſehung der Anordnung wirft man der Fi-
gur des Attila vor, daß ſie ſich nicht genung heraus
hebe. Dieſer Fehler liegt in dem Mangel der Hal-
tung, nicht an dem Orte, wohin ſie geſtellet iſt; denn
ſie iſt frei genung, um geſehen zu werden. Da aber
Raphael den Grundſatz hatte, ſeine entfernten Figu-
ren dadurch zuruͤckweichend zu machen, daß er helle
Maſſen auf den Vorgrund ſtellte, ſo zieht der vor-
derſte Reuter auf dem weißem Pferde die Augen zu
ſehr an ſich, um nicht den Eindruck der Figur des
Koͤnigs, den man im Halbſchatten auf einem brau-
nen Pferde ſieht, zu ſchwaͤchen. Raphael bediente
ſich ſelten des Mittels, durch dunkle Maſſen auf dem
Vorgrunde des Gemaͤhldes lichtere Gegenſtaͤnde ent-
fernter erſcheinen zu laſſen. Er kannte nicht die ſoge-
nannten Repouſſoirs.

Der Ausdruck iſt wieder unvergleichlich, die ru-
hige Zuverſicht in der Gruppe des Pabſtes und ſeiner

Beglei-
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[152/0174] Der Vaticaniſche Pallaſt. der ſie umringt; das Heilige, das Hehre, das man ſich von der Gegenwart der Unſterblichen ſtets unge- trennt denkt. Der Himmel iſt heiter uͤber der Gruppe des Pabſtes, aber er ſchwaͤrzt ſich uͤber den Haͤuptern der feindlichen Armee; ein Sturmwind rollt die Wol- ken auf vor den Apoſteln her; kaum vermoͤgen die Traͤger ihre Fahnen zu halten; die Pferde werden ſcheu; man ſtoͤßt mit zuruͤckgewandtem Geſichte in die Trommeten zum Abmarſch; man flieht; man geraͤth in Unordnung; man weiß nicht wie, noch warum. Dies iſt der Gedanke dieſes Gemaͤhldes, uͤber den man ſo viele und ſo uͤble Critiken gemacht hat. In Anſehung der Anordnung wirft man der Fi- gur des Attila vor, daß ſie ſich nicht genung heraus hebe. Dieſer Fehler liegt in dem Mangel der Hal- tung, nicht an dem Orte, wohin ſie geſtellet iſt; denn ſie iſt frei genung, um geſehen zu werden. Da aber Raphael den Grundſatz hatte, ſeine entfernten Figu- ren dadurch zuruͤckweichend zu machen, daß er helle Maſſen auf den Vorgrund ſtellte, ſo zieht der vor- derſte Reuter auf dem weißem Pferde die Augen zu ſehr an ſich, um nicht den Eindruck der Figur des Koͤnigs, den man im Halbſchatten auf einem brau- nen Pferde ſieht, zu ſchwaͤchen. Raphael bediente ſich ſelten des Mittels, durch dunkle Maſſen auf dem Vorgrunde des Gemaͤhldes lichtere Gegenſtaͤnde ent- fernter erſcheinen zu laſſen. Er kannte nicht die ſoge- nannten Repouſſoirs. Der Ausdruck iſt wieder unvergleichlich, die ru- hige Zuverſicht in der Gruppe des Pabſtes und ſeiner Beglei-

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/174>, abgerufen am 25.11.2024.