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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
Begleiter, contrastirt sehr glücklich mit dem wilden
Schrecken unter den Barbaren.

Raphael hat auch hier wieder mehrere Köpfe sei-
ner Zeitgenossen angebracht; und auch hier thut es die
gewünschte Würkung: Es verbreitet Leben und
Wahrheit.

Bei den Figuren der Apostel, die in einer an-
sehnlichen Höhe über die untern Figuren schweben sol-
len, scheint Raphael die Regel der Perspektiv, nach
welcher sich das Entfernte verkleinert, nicht beobachtet
zu haben. Er that es vielleicht, um das Ueber-
menschliche fühlbarer zu machen; allein das Auge
schmiegt sich nicht so leicht in das Resultat der Ueberle-
gung; die Figuren scheinen ungeheuer und schwerfäl-
lig, so schön sie gezeichnet sind, so natürlich sie schwe-
ben. Dies bestätigt Lessings scharfsinnige Bemer-
kung, 44) daß eine anschauliche Unwahrscheinlichkeit
durch eine kalte Ueberlegung nicht gehoben wird.
Hingegen dürfte ich aus eben diesem Bilde einen Ein-
wurf hernehmen gegen jene Behauptung, die er an
eben dieser Stelle wagt: Die Mahlerei sey ungeschickt,
uns zu verstehen zu geben, daß in ihren Compositio-
nen dies oder jenes als unsichtbar betrachtet werden
müsse. Es gibt dazu ein sichereres Mittel, als die
dünne Wolke, so er angibt, nämlich der Ausdruck
desjenigen, der nicht sieht, da er sehen könnte und
sollte, weil andere neben ihm sehen. Mich dünkt,
Raphael hat durch den verschiedenen Ausdruck in den
Figuren des Attila und seiner Begleiter es anschaulich

genung
44) S. Laocoon, zwölfter Abschnitt.
K 5

Der Vaticaniſche Pallaſt.
Begleiter, contraſtirt ſehr gluͤcklich mit dem wilden
Schrecken unter den Barbaren.

Raphael hat auch hier wieder mehrere Koͤpfe ſei-
ner Zeitgenoſſen angebracht; und auch hier thut es die
gewuͤnſchte Wuͤrkung: Es verbreitet Leben und
Wahrheit.

Bei den Figuren der Apoſtel, die in einer an-
ſehnlichen Hoͤhe uͤber die untern Figuren ſchweben ſol-
len, ſcheint Raphael die Regel der Perſpektiv, nach
welcher ſich das Entfernte verkleinert, nicht beobachtet
zu haben. Er that es vielleicht, um das Ueber-
menſchliche fuͤhlbarer zu machen; allein das Auge
ſchmiegt ſich nicht ſo leicht in das Reſultat der Ueberle-
gung; die Figuren ſcheinen ungeheuer und ſchwerfaͤl-
lig, ſo ſchoͤn ſie gezeichnet ſind, ſo natuͤrlich ſie ſchwe-
ben. Dies beſtaͤtigt Leſſings ſcharfſinnige Bemer-
kung, 44) daß eine anſchauliche Unwahrſcheinlichkeit
durch eine kalte Ueberlegung nicht gehoben wird.
Hingegen duͤrfte ich aus eben dieſem Bilde einen Ein-
wurf hernehmen gegen jene Behauptung, die er an
eben dieſer Stelle wagt: Die Mahlerei ſey ungeſchickt,
uns zu verſtehen zu geben, daß in ihren Compoſitio-
nen dies oder jenes als unſichtbar betrachtet werden
muͤſſe. Es gibt dazu ein ſichereres Mittel, als die
duͤnne Wolke, ſo er angibt, naͤmlich der Ausdruck
desjenigen, der nicht ſieht, da er ſehen koͤnnte und
ſollte, weil andere neben ihm ſehen. Mich duͤnkt,
Raphael hat durch den verſchiedenen Ausdruck in den
Figuren des Attila und ſeiner Begleiter es anſchaulich

genung
44) S. Laocoon, zwoͤlfter Abſchnitt.
K 5
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[153/0175] Der Vaticaniſche Pallaſt. Begleiter, contraſtirt ſehr gluͤcklich mit dem wilden Schrecken unter den Barbaren. Raphael hat auch hier wieder mehrere Koͤpfe ſei- ner Zeitgenoſſen angebracht; und auch hier thut es die gewuͤnſchte Wuͤrkung: Es verbreitet Leben und Wahrheit. Bei den Figuren der Apoſtel, die in einer an- ſehnlichen Hoͤhe uͤber die untern Figuren ſchweben ſol- len, ſcheint Raphael die Regel der Perſpektiv, nach welcher ſich das Entfernte verkleinert, nicht beobachtet zu haben. Er that es vielleicht, um das Ueber- menſchliche fuͤhlbarer zu machen; allein das Auge ſchmiegt ſich nicht ſo leicht in das Reſultat der Ueberle- gung; die Figuren ſcheinen ungeheuer und ſchwerfaͤl- lig, ſo ſchoͤn ſie gezeichnet ſind, ſo natuͤrlich ſie ſchwe- ben. Dies beſtaͤtigt Leſſings ſcharfſinnige Bemer- kung, 44) daß eine anſchauliche Unwahrſcheinlichkeit durch eine kalte Ueberlegung nicht gehoben wird. Hingegen duͤrfte ich aus eben dieſem Bilde einen Ein- wurf hernehmen gegen jene Behauptung, die er an eben dieſer Stelle wagt: Die Mahlerei ſey ungeſchickt, uns zu verſtehen zu geben, daß in ihren Compoſitio- nen dies oder jenes als unſichtbar betrachtet werden muͤſſe. Es gibt dazu ein ſichereres Mittel, als die duͤnne Wolke, ſo er angibt, naͤmlich der Ausdruck desjenigen, der nicht ſieht, da er ſehen koͤnnte und ſollte, weil andere neben ihm ſehen. Mich duͤnkt, Raphael hat durch den verſchiedenen Ausdruck in den Figuren des Attila und ſeiner Begleiter es anſchaulich genung 44) S. Laocoon, zwoͤlfter Abſchnitt. K 5

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/175>, abgerufen am 25.11.2024.