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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
Der Schöpfer hat beständig den Ausdruck eines gräm-
lichen Alten, und seine Stellung hat oft etwas con-
vulsivisch Gedrehtes.

In dem Gemählde, welches das Ordnen des
Chaos
vorstellt, hat Raphael dem Schöpfer den
Ausdruck eines rüstigen Alten gegeben, der mit ge-
waltsamer Anstrengung und ausgespreiteten Armen
und Beinen die Elemente aus einander treibt. Wie
sehr verliert diese Vorstellung, wenn man sie mit der
Idee vergleicht, welche die Worte: "Gott sprach, es
werde Licht, und es ward Licht!" hervorbringen.
Das Erhabene dieser Begebenheit beruht auf dem Ge-
fühl des geringen Aufwandes von Kräften, wodurch
eine so große Würkung hervorgebracht ist, und ich
halte es für unmöglich, daß die Kunst dies jemahls
durch sichtbare Darstellung errege.

Mit eben so wenigem Glücke hat uns Raphael
die Begebenheit der Schöpfung der Thiere sinn-
lich machen wollen. Hier breitet der Schöpfer die
Hände über eine Menge von Thieren verschiedener
Gattung aus, und gleichet einem Hausvater, der
seine Menagerie besieht. Um inzwischen die Idee des
Werdens, des Entstehens einiger Maaßen zu versinn-
lichen, läßt er verschiedene Thiere zur Hälfte aus der
Erde hervorragen, mit der völligen Ansicht, als wä-
ren sie halb vergraben.

Die Mahlerei hat keine zulängliche Mittel, Be-
gebenheiten, die sich ohne unaufhaltsame Progression
nicht denken lassen, dem Auge deutlich zu machen.

Aus
J 5

Der Vaticaniſche Pallaſt.
Der Schoͤpfer hat beſtaͤndig den Ausdruck eines graͤm-
lichen Alten, und ſeine Stellung hat oft etwas con-
vulſiviſch Gedrehtes.

In dem Gemaͤhlde, welches das Ordnen des
Chaos
vorſtellt, hat Raphael dem Schoͤpfer den
Ausdruck eines ruͤſtigen Alten gegeben, der mit ge-
waltſamer Anſtrengung und ausgeſpreiteten Armen
und Beinen die Elemente aus einander treibt. Wie
ſehr verliert dieſe Vorſtellung, wenn man ſie mit der
Idee vergleicht, welche die Worte: „Gott ſprach, es
werde Licht, und es ward Licht!“ hervorbringen.
Das Erhabene dieſer Begebenheit beruht auf dem Ge-
fuͤhl des geringen Aufwandes von Kraͤften, wodurch
eine ſo große Wuͤrkung hervorgebracht iſt, und ich
halte es fuͤr unmoͤglich, daß die Kunſt dies jemahls
durch ſichtbare Darſtellung errege.

Mit eben ſo wenigem Gluͤcke hat uns Raphael
die Begebenheit der Schoͤpfung der Thiere ſinn-
lich machen wollen. Hier breitet der Schoͤpfer die
Haͤnde uͤber eine Menge von Thieren verſchiedener
Gattung aus, und gleichet einem Hausvater, der
ſeine Menagerie beſieht. Um inzwiſchen die Idee des
Werdens, des Entſtehens einiger Maaßen zu verſinn-
lichen, laͤßt er verſchiedene Thiere zur Haͤlfte aus der
Erde hervorragen, mit der voͤlligen Anſicht, als waͤ-
ren ſie halb vergraben.

Die Mahlerei hat keine zulaͤngliche Mittel, Be-
gebenheiten, die ſich ohne unaufhaltſame Progreſſion
nicht denken laſſen, dem Auge deutlich zu machen.

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J 5
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[137/0159] Der Vaticaniſche Pallaſt. Der Schoͤpfer hat beſtaͤndig den Ausdruck eines graͤm- lichen Alten, und ſeine Stellung hat oft etwas con- vulſiviſch Gedrehtes. In dem Gemaͤhlde, welches das Ordnen des Chaos vorſtellt, hat Raphael dem Schoͤpfer den Ausdruck eines ruͤſtigen Alten gegeben, der mit ge- waltſamer Anſtrengung und ausgeſpreiteten Armen und Beinen die Elemente aus einander treibt. Wie ſehr verliert dieſe Vorſtellung, wenn man ſie mit der Idee vergleicht, welche die Worte: „Gott ſprach, es werde Licht, und es ward Licht!“ hervorbringen. Das Erhabene dieſer Begebenheit beruht auf dem Ge- fuͤhl des geringen Aufwandes von Kraͤften, wodurch eine ſo große Wuͤrkung hervorgebracht iſt, und ich halte es fuͤr unmoͤglich, daß die Kunſt dies jemahls durch ſichtbare Darſtellung errege. Mit eben ſo wenigem Gluͤcke hat uns Raphael die Begebenheit der Schoͤpfung der Thiere ſinn- lich machen wollen. Hier breitet der Schoͤpfer die Haͤnde uͤber eine Menge von Thieren verſchiedener Gattung aus, und gleichet einem Hausvater, der ſeine Menagerie beſieht. Um inzwiſchen die Idee des Werdens, des Entſtehens einiger Maaßen zu verſinn- lichen, laͤßt er verſchiedene Thiere zur Haͤlfte aus der Erde hervorragen, mit der voͤlligen Anſicht, als waͤ- ren ſie halb vergraben. Die Mahlerei hat keine zulaͤngliche Mittel, Be- gebenheiten, die ſich ohne unaufhaltſame Progreſſion nicht denken laſſen, dem Auge deutlich zu machen. Aus J 5

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/159>, abgerufen am 23.11.2024.