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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
"es nicht besser in dem Hause ihrer Aeltern, wo
"der Vater alle diejenigen, mit denen er zu thun
"hat, die Mutter den Vater betrügt, und wo es
"bey einer so verderbten Zucht die Kinder so weit
"bringen, daß sie im Stande sind, Vater und
"Mutter zu betrügen! Herr Panßa, ach lieber
"Herr Panßa, was für eine Nachwelt; was für
"Zeiten werden daraus werden! O wie glücklich
"ist derjenige, welcher sie nicht erlebt! Und wie
"glücklich sind wir beide, die wir nach dem or-
"dentlichen Laufe der Natur den größten Theil
"unserer Jahre in dieser falschen betrügerischen
"Welt schon durchgelebt haben! Wie blind ist
"die Welt! Wie wenig versteht sie ihr wahres
"Glück! Wir suchen tausend Abwege, dasjenige
"Glück zu erlangen, welches unsere Zufriedenheit
"befördern soll. Wir arbeiten uns durch eine
"nicht zu übersehende Menge von Widerwärtig-
"keiten durch; wir ertragen Frost und Hitze; wir
"stellen uns der größten Beschimpfung, den em-
"pfindlichsten Vorwürfen unsers eignen Gewissens
"bloß, und warum dieses alles? Damit nach
"unserm Tode, oder wohl gar noch bey unserm
"Leben, die Welt sagen möge: Das war ein
"Schelm!
Mit welcher Gemüthsruhe, mit was
"für Zufriedenheit würden unsere Tage vorbey
"fließen, wenn wir um nichts besorgt wären, als
"den Namen eines ehrlichen Mannes, eines recht-
"schaffenen Patrioten zu erlangen! Dazu gehört
"die Unruhe, die Mühe, die Gefahr bey weitem
"nicht, welche erfodert wird, ein Betrüger zu

"heißen.
E 3

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
„es nicht beſſer in dem Hauſe ihrer Aeltern, wo
„der Vater alle diejenigen, mit denen er zu thun
„hat, die Mutter den Vater betruͤgt, und wo es
„bey einer ſo verderbten Zucht die Kinder ſo weit
„bringen, daß ſie im Stande ſind, Vater und
„Mutter zu betruͤgen! Herr Panßa, ach lieber
„Herr Panßa, was fuͤr eine Nachwelt; was fuͤr
„Zeiten werden daraus werden! O wie gluͤcklich
„iſt derjenige, welcher ſie nicht erlebt! Und wie
„gluͤcklich ſind wir beide, die wir nach dem or-
„dentlichen Laufe der Natur den groͤßten Theil
„unſerer Jahre in dieſer falſchen betruͤgeriſchen
„Welt ſchon durchgelebt haben! Wie blind iſt
„die Welt! Wie wenig verſteht ſie ihr wahres
„Gluͤck! Wir ſuchen tauſend Abwege, dasjenige
„Gluͤck zu erlangen, welches unſere Zufriedenheit
„befoͤrdern ſoll. Wir arbeiten uns durch eine
„nicht zu uͤberſehende Menge von Widerwaͤrtig-
„keiten durch; wir ertragen Froſt und Hitze; wir
„ſtellen uns der groͤßten Beſchimpfung, den em-
„pfindlichſten Vorwuͤrfen unſers eignen Gewiſſens
„bloß, und warum dieſes alles? Damit nach
„unſerm Tode, oder wohl gar noch bey unſerm
„Leben, die Welt ſagen moͤge: Das war ein
„Schelm!
Mit welcher Gemuͤthsruhe, mit was
„fuͤr Zufriedenheit wuͤrden unſere Tage vorbey
„fließen, wenn wir um nichts beſorgt waͤren, als
„den Namen eines ehrlichen Mannes, eines recht-
„ſchaffenen Patrioten zu erlangen! Dazu gehoͤrt
„die Unruhe, die Muͤhe, die Gefahr bey weitem
„nicht, welche erfodert wird, ein Betruͤger zu

„heißen.
E 3
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[69/0091] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. „es nicht beſſer in dem Hauſe ihrer Aeltern, wo „der Vater alle diejenigen, mit denen er zu thun „hat, die Mutter den Vater betruͤgt, und wo es „bey einer ſo verderbten Zucht die Kinder ſo weit „bringen, daß ſie im Stande ſind, Vater und „Mutter zu betruͤgen! Herr Panßa, ach lieber „Herr Panßa, was fuͤr eine Nachwelt; was fuͤr „Zeiten werden daraus werden! O wie gluͤcklich „iſt derjenige, welcher ſie nicht erlebt! Und wie „gluͤcklich ſind wir beide, die wir nach dem or- „dentlichen Laufe der Natur den groͤßten Theil „unſerer Jahre in dieſer falſchen betruͤgeriſchen „Welt ſchon durchgelebt haben! Wie blind iſt „die Welt! Wie wenig verſteht ſie ihr wahres „Gluͤck! Wir ſuchen tauſend Abwege, dasjenige „Gluͤck zu erlangen, welches unſere Zufriedenheit „befoͤrdern ſoll. Wir arbeiten uns durch eine „nicht zu uͤberſehende Menge von Widerwaͤrtig- „keiten durch; wir ertragen Froſt und Hitze; wir „ſtellen uns der groͤßten Beſchimpfung, den em- „pfindlichſten Vorwuͤrfen unſers eignen Gewiſſens „bloß, und warum dieſes alles? Damit nach „unſerm Tode, oder wohl gar noch bey unſerm „Leben, die Welt ſagen moͤge: Das war ein „Schelm! Mit welcher Gemuͤthsruhe, mit was „fuͤr Zufriedenheit wuͤrden unſere Tage vorbey „fließen, wenn wir um nichts beſorgt waͤren, als „den Namen eines ehrlichen Mannes, eines recht- „ſchaffenen Patrioten zu erlangen! Dazu gehoͤrt „die Unruhe, die Muͤhe, die Gefahr bey weitem „nicht, welche erfodert wird, ein Betruͤger zu „heißen. E 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/91>, abgerufen am 22.11.2024.