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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Antons Panßa von Mancha
mit, und sein Urtheil findet Beyfall. Die Sän-
ger werden gelobt, er lobt sie mit Geschmacke;
man redet vom Hofe, er kennt die Welt; man
redet von Staatssachen, man findet seine Gedan-
ken sehr fein; man redet Böses von den übrigen
Logen, er schweigt, und auch sein Stillschweigen
wird gebilligt, weil man ihn für einen Fremden
hält, welcher noch ganz unbekannt, oder zu be-
scheiden ist, in einer fremden Gesellschaft auf eine
boshafte Art witzig zu seyn. Die Oper ist zu
Ende. Er hat die Gnade, seine Nachbarinn an
die Kutsche zu führen. Er thut es mit einer un-
gezwungenen Wohlanständigkeit. Er darf die
Hand küssen, und Jhro Excellenz wünschen, in-
dem sie fortfahren, daß der gnädige Herr wohl
ruhen möge. Glückselige Veränderung! Der
gnädige Herr! der, welcher nur vor wenig Stun-
den noch beschämt am Camin stand, und allen
Bedienten lächerlich war, ist itzo die Bewunde-
rung der ganzen Gesellschaft! Man erkennt seine
Verdienste, denn man sieht seine prächtigen Kleider.

Da wir bloß den Kleidern den entscheidenden
Werth unsrer Verdienste zu danken haben: so
scheue ich mich nicht zu gestehen, daß ich wenig
Personen mit so viel Ehrfurcht ansehe, als mei-
nen Schneider. Jch besuche seine Werkstatt oft,
und niemals ohne einen heiligen Schauer, wenn
ich sehe, wie Verdienste, Tugenden und Vernunft
unter seinen schaffenden Händen hervorwachsen,
und theure Männer durch den Stich seiner Nadel

aus

Antons Panßa von Mancha
mit, und ſein Urtheil findet Beyfall. Die Saͤn-
ger werden gelobt, er lobt ſie mit Geſchmacke;
man redet vom Hofe, er kennt die Welt; man
redet von Staatsſachen, man findet ſeine Gedan-
ken ſehr fein; man redet Boͤſes von den uͤbrigen
Logen, er ſchweigt, und auch ſein Stillſchweigen
wird gebilligt, weil man ihn fuͤr einen Fremden
haͤlt, welcher noch ganz unbekannt, oder zu be-
ſcheiden iſt, in einer fremden Geſellſchaft auf eine
boshafte Art witzig zu ſeyn. Die Oper iſt zu
Ende. Er hat die Gnade, ſeine Nachbarinn an
die Kutſche zu fuͤhren. Er thut es mit einer un-
gezwungenen Wohlanſtaͤndigkeit. Er darf die
Hand kuͤſſen, und Jhro Excellenz wuͤnſchen, in-
dem ſie fortfahren, daß der gnaͤdige Herr wohl
ruhen moͤge. Gluͤckſelige Veraͤnderung! Der
gnaͤdige Herr! der, welcher nur vor wenig Stun-
den noch beſchaͤmt am Camin ſtand, und allen
Bedienten laͤcherlich war, iſt itzo die Bewunde-
rung der ganzen Geſellſchaft! Man erkennt ſeine
Verdienſte, denn man ſieht ſeine praͤchtigen Kleider.

Da wir bloß den Kleidern den entſcheidenden
Werth unſrer Verdienſte zu danken haben: ſo
ſcheue ich mich nicht zu geſtehen, daß ich wenig
Perſonen mit ſo viel Ehrfurcht anſehe, als mei-
nen Schneider. Jch beſuche ſeine Werkſtatt oft,
und niemals ohne einen heiligen Schauer, wenn
ich ſehe, wie Verdienſte, Tugenden und Vernunft
unter ſeinen ſchaffenden Haͤnden hervorwachſen,
und theure Maͤnner durch den Stich ſeiner Nadel

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[54/0076] Antons Panßa von Mancha mit, und ſein Urtheil findet Beyfall. Die Saͤn- ger werden gelobt, er lobt ſie mit Geſchmacke; man redet vom Hofe, er kennt die Welt; man redet von Staatsſachen, man findet ſeine Gedan- ken ſehr fein; man redet Boͤſes von den uͤbrigen Logen, er ſchweigt, und auch ſein Stillſchweigen wird gebilligt, weil man ihn fuͤr einen Fremden haͤlt, welcher noch ganz unbekannt, oder zu be- ſcheiden iſt, in einer fremden Geſellſchaft auf eine boshafte Art witzig zu ſeyn. Die Oper iſt zu Ende. Er hat die Gnade, ſeine Nachbarinn an die Kutſche zu fuͤhren. Er thut es mit einer un- gezwungenen Wohlanſtaͤndigkeit. Er darf die Hand kuͤſſen, und Jhro Excellenz wuͤnſchen, in- dem ſie fortfahren, daß der gnaͤdige Herr wohl ruhen moͤge. Gluͤckſelige Veraͤnderung! Der gnaͤdige Herr! der, welcher nur vor wenig Stun- den noch beſchaͤmt am Camin ſtand, und allen Bedienten laͤcherlich war, iſt itzo die Bewunde- rung der ganzen Geſellſchaft! Man erkennt ſeine Verdienſte, denn man ſieht ſeine praͤchtigen Kleider. Da wir bloß den Kleidern den entſcheidenden Werth unſrer Verdienſte zu danken haben: ſo ſcheue ich mich nicht zu geſtehen, daß ich wenig Perſonen mit ſo viel Ehrfurcht anſehe, als mei- nen Schneider. Jch beſuche ſeine Werkſtatt oft, und niemals ohne einen heiligen Schauer, wenn ich ſehe, wie Verdienſte, Tugenden und Vernunft unter ſeinen ſchaffenden Haͤnden hervorwachſen, und theure Maͤnner durch den Stich ſeiner Nadel aus

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/76>, abgerufen am 02.05.2024.