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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
die Loge; in eben diejenige Loge, in welcher er so
vielmal der artige Herr, der allerliebste artige
Herr, der schalkhafte Baron gewesen. Er kömmt.
Er macht seine Verbeugung noch immer so gut,
und ungezwungen als sonst. Man lacht darüber.
Er will die Hand küssen; man stößt ihn fort. Die
Damen murmeln unter einander, und ärgern sich
über die Unverschämtheit dieses gemeinen Men-
schen. Man hält ihn für einen Jnformator, wel-
cher bey seiner gnädigen Herrschaft nicht gut thun,
und etwas mehr seyn wollen, als ein gemeiner
Bedienter. Er fängt an zu reden. Wie abge-
schmackt, wie pedantisch redet er! Er wird unge-
duldig, und flucht ein sacre bleu! Man lacht über
den Narrn, und läßt ihn durch die Heyducken als
einen wahnwitzigen Kerl hinausstoßen.

Nunmehr erscheint der redliche und verdienst-
volle Mann in der Loge, welcher die prächtigen
Kleider des entlarvten Barons angezogen hat.
Er erscheint das erste mal darinnen, und thut ein
wenig blöde. Man findet seine Blödigkeit ange-
nehm, und hält ihn für einen Fremden, dessen
Sittsamkeit bewundert wird. Die Damen dan-
ken ihm auf eine gnädige Art, und die Fächer rau-
schen ihm mit Beyfall entgegen. Man bietet ihm
einen Stuhl an, und er setzt sich mit Anstand nie-
der. Eine jede fragt ihre Nachbarinn, wer dieser
Herr seyn müsse; es kennt ihn keine. Sie lassen
sich in ein Gespräch mit ihm ein; er redet beschei-
den. Man beurtheilt die Oper; er beurtheilt sie

mit,
D 3

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
die Loge; in eben diejenige Loge, in welcher er ſo
vielmal der artige Herr, der allerliebſte artige
Herr, der ſchalkhafte Baron geweſen. Er koͤmmt.
Er macht ſeine Verbeugung noch immer ſo gut,
und ungezwungen als ſonſt. Man lacht daruͤber.
Er will die Hand kuͤſſen; man ſtoͤßt ihn fort. Die
Damen murmeln unter einander, und aͤrgern ſich
uͤber die Unverſchaͤmtheit dieſes gemeinen Men-
ſchen. Man haͤlt ihn fuͤr einen Jnformator, wel-
cher bey ſeiner gnaͤdigen Herrſchaft nicht gut thun,
und etwas mehr ſeyn wollen, als ein gemeiner
Bedienter. Er faͤngt an zu reden. Wie abge-
ſchmackt, wie pedantiſch redet er! Er wird unge-
duldig, und flucht ein ſacre bleu! Man lacht uͤber
den Narrn, und laͤßt ihn durch die Heyducken als
einen wahnwitzigen Kerl hinausſtoßen.

Nunmehr erſcheint der redliche und verdienſt-
volle Mann in der Loge, welcher die praͤchtigen
Kleider des entlarvten Barons angezogen hat.
Er erſcheint das erſte mal darinnen, und thut ein
wenig bloͤde. Man findet ſeine Bloͤdigkeit ange-
nehm, und haͤlt ihn fuͤr einen Fremden, deſſen
Sittſamkeit bewundert wird. Die Damen dan-
ken ihm auf eine gnaͤdige Art, und die Faͤcher rau-
ſchen ihm mit Beyfall entgegen. Man bietet ihm
einen Stuhl an, und er ſetzt ſich mit Anſtand nie-
der. Eine jede fragt ihre Nachbarinn, wer dieſer
Herr ſeyn muͤſſe; es kennt ihn keine. Sie laſſen
ſich in ein Geſpraͤch mit ihm ein; er redet beſchei-
den. Man beurtheilt die Oper; er beurtheilt ſie

mit,
D 3
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[53/0075] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. die Loge; in eben diejenige Loge, in welcher er ſo vielmal der artige Herr, der allerliebſte artige Herr, der ſchalkhafte Baron geweſen. Er koͤmmt. Er macht ſeine Verbeugung noch immer ſo gut, und ungezwungen als ſonſt. Man lacht daruͤber. Er will die Hand kuͤſſen; man ſtoͤßt ihn fort. Die Damen murmeln unter einander, und aͤrgern ſich uͤber die Unverſchaͤmtheit dieſes gemeinen Men- ſchen. Man haͤlt ihn fuͤr einen Jnformator, wel- cher bey ſeiner gnaͤdigen Herrſchaft nicht gut thun, und etwas mehr ſeyn wollen, als ein gemeiner Bedienter. Er faͤngt an zu reden. Wie abge- ſchmackt, wie pedantiſch redet er! Er wird unge- duldig, und flucht ein ſacre bleu! Man lacht uͤber den Narrn, und laͤßt ihn durch die Heyducken als einen wahnwitzigen Kerl hinausſtoßen. Nunmehr erſcheint der redliche und verdienſt- volle Mann in der Loge, welcher die praͤchtigen Kleider des entlarvten Barons angezogen hat. Er erſcheint das erſte mal darinnen, und thut ein wenig bloͤde. Man findet ſeine Bloͤdigkeit ange- nehm, und haͤlt ihn fuͤr einen Fremden, deſſen Sittſamkeit bewundert wird. Die Damen dan- ken ihm auf eine gnaͤdige Art, und die Faͤcher rau- ſchen ihm mit Beyfall entgegen. Man bietet ihm einen Stuhl an, und er ſetzt ſich mit Anſtand nie- der. Eine jede fragt ihre Nachbarinn, wer dieſer Herr ſeyn muͤſſe; es kennt ihn keine. Sie laſſen ſich in ein Geſpraͤch mit ihm ein; er redet beſchei- den. Man beurtheilt die Oper; er beurtheilt ſie mit, D 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/75>, abgerufen am 02.05.2024.