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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
aus Nichts hervor springen, so, wie das erste Roß
an dem Ufer muthig hervor sprang, als Neptun
mit seinem gewaltigen Dreyzack in den Sand stach.

Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und
fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei-
chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Männer
und Gnaden schuf. Er schnitt eben einen Dom-
herrn zu, und war sehr unzufrieden, daß der Sam-
met nicht zureichen wollte, den hochwürdigen
Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen
zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer seiner Ge-
sellen arbeitete an einem gestrengen Junker, wel-
cher sich von seinem Pachter zwey Quartale hatte
vorschiessen lassen, um seine hochadlichen Ver-
dienste in der bevorstehenden Messe kenntlich zu
machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze
Menge junge Stutzer, liebenswürdige junge Herr-
chen, und seufzende Liebhaber, welche mit Unge-
duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih-
res Wesens zu warten schienen. Unter der Bank
stack ein großes Packt schlechter Tücher und Zeuge
für Gelehrte, Kaufleute, Künstler, und andre
niedere Geschöpfe. Zwey Jungen, welche noch
nicht geschickt genug waren, saßen an der Thüre,
und übten sich an dem Kleide eines Poeten. Jch
stund bey dem Meister, hielt den Hut unterm Ar-
me, und blieb länger, als eine Stunde, in eben
der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh-
me, wenn ich in Gesellschaft vornehmer und gros-
ser Männer bin. Mein Schneider ist in derglei-

chen
D 4

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
aus Nichts hervor ſpringen, ſo, wie das erſte Roß
an dem Ufer muthig hervor ſprang, als Neptun
mit ſeinem gewaltigen Dreyzack in den Sand ſtach.

Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und
fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei-
chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Maͤnner
und Gnaden ſchuf. Er ſchnitt eben einen Dom-
herrn zu, und war ſehr unzufrieden, daß der Sam-
met nicht zureichen wollte, den hochwuͤrdigen
Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen
zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer ſeiner Ge-
ſellen arbeitete an einem geſtrengen Junker, wel-
cher ſich von ſeinem Pachter zwey Quartale hatte
vorſchieſſen laſſen, um ſeine hochadlichen Ver-
dienſte in der bevorſtehenden Meſſe kenntlich zu
machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze
Menge junge Stutzer, liebenswuͤrdige junge Herr-
chen, und ſeufzende Liebhaber, welche mit Unge-
duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih-
res Weſens zu warten ſchienen. Unter der Bank
ſtack ein großes Packt ſchlechter Tuͤcher und Zeuge
fuͤr Gelehrte, Kaufleute, Kuͤnſtler, und andre
niedere Geſchoͤpfe. Zwey Jungen, welche noch
nicht geſchickt genug waren, ſaßen an der Thuͤre,
und uͤbten ſich an dem Kleide eines Poeten. Jch
ſtund bey dem Meiſter, hielt den Hut unterm Ar-
me, und blieb laͤnger, als eine Stunde, in eben
der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh-
me, wenn ich in Geſellſchaft vornehmer und groſ-
ſer Maͤnner bin. Mein Schneider iſt in derglei-

chen
D 4
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[55/0077] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. aus Nichts hervor ſpringen, ſo, wie das erſte Roß an dem Ufer muthig hervor ſprang, als Neptun mit ſeinem gewaltigen Dreyzack in den Sand ſtach. Vor etlichen Wochen gieng ich zu ihm, und fand ihn in einem Chaos von Sammet und rei- chen Stoffen, aus welchen er erlauchte Maͤnner und Gnaden ſchuf. Er ſchnitt eben einen Dom- herrn zu, und war ſehr unzufrieden, daß der Sam- met nicht zureichen wollte, den hochwuͤrdigen Bauch auszubilden. Ueber dem Stuhle hiengen zwo Excellenzen ohne Aermel. Einer ſeiner Ge- ſellen arbeitete an einem geſtrengen Junker, wel- cher ſich von ſeinem Pachter zwey Quartale hatte vorſchieſſen laſſen, um ſeine hochadlichen Ver- dienſte in der bevorſtehenden Meſſe kenntlich zu machen. Auf der Bank lagen noch eine ganze Menge junge Stutzer, liebenswuͤrdige junge Herr- chen, und ſeufzende Liebhaber, welche mit Unge- duld auf ihre Bildung, und die Entwickelung ih- res Weſens zu warten ſchienen. Unter der Bank ſtack ein großes Packt ſchlechter Tuͤcher und Zeuge fuͤr Gelehrte, Kaufleute, Kuͤnſtler, und andre niedere Geſchoͤpfe. Zwey Jungen, welche noch nicht geſchickt genug waren, ſaßen an der Thuͤre, und uͤbten ſich an dem Kleide eines Poeten. Jch ſtund bey dem Meiſter, hielt den Hut unterm Ar- me, und blieb laͤnger, als eine Stunde, in eben der ehrfurchtsvollen Stellung, welche ich anneh- me, wenn ich in Geſellſchaft vornehmer und groſ- ſer Maͤnner bin. Mein Schneider iſt in derglei- chen D 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/77>, abgerufen am 25.11.2024.