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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
gelassen, etwas zu lernen, und ich kann es ihm ohne
Ruhm nachsagen, daß er itzo, da er zwanzig Jahr
alt ist, seinen Namen nicht zu schreiben weis, noch
das geringste von Rechnungssachen versteht. Die-
ses hat seinen Papa ganz natürlicher Weise auf
die Gedanken gebracht, daß es sehr wohl gethan
seyn würde, sich den lieben Sohn adjungiren zu
lassen. Und ich sehe nicht die geringste Schwierig-
keit, welche diese väterliche Absicht hindern sollte.
Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den
Verstand; und da der Herr Vater so lange Zeit
sein Amt hat verwalten können, ohne ehrlich zu
seyn: so hoffe ich gewiß, der Herr Adjunctus wird
es mit der Zeit noch höher bringen.

Der Pachter von einem benachbarten Landgute
hat einen Sohn, welcher so dumm ist, als man es
nur verlangen kann. Sein Vater hat viel Ein-
sicht, und ist daher im Stande gewesen, sich mit
einer Menge gelehrter Männer bekannt zu machen,
welche, so viel er hat wahrnehmen können, in ih-
rer Jugend wenigstens so dumm gewesen sind, als
sein Sohn, und noch itzo dem Verstande eines
Pachters nicht gleich kommen. Da sich sein Sohn
zu gar nichts schickt: so hat er dem gnädigen Herrn
sein Anliegen erzählt; und beide sind einmüthig
darauf gefallen, der Junge solle ein Doctor wer-
den. Und er fängt auch nunmehr an, ein Doctor
zu werden. Der Vater schmeichelt sich, daß ihm
Gott gewiß mit der Zeit eine Professur, und so-
dann wenigstens so viel Verstand geben werde,
als, seiner Meynung nach, zu einem Canonicat

erfo-

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
gelaſſen, etwas zu lernen, und ich kann es ihm ohne
Ruhm nachſagen, daß er itzo, da er zwanzig Jahr
alt iſt, ſeinen Namen nicht zu ſchreiben weis, noch
das geringſte von Rechnungsſachen verſteht. Die-
ſes hat ſeinen Papa ganz natuͤrlicher Weiſe auf
die Gedanken gebracht, daß es ſehr wohl gethan
ſeyn wuͤrde, ſich den lieben Sohn adjungiren zu
laſſen. Und ich ſehe nicht die geringſte Schwierig-
keit, welche dieſe vaͤterliche Abſicht hindern ſollte.
Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den
Verſtand; und da der Herr Vater ſo lange Zeit
ſein Amt hat verwalten koͤnnen, ohne ehrlich zu
ſeyn: ſo hoffe ich gewiß, der Herr Adjunctus wird
es mit der Zeit noch hoͤher bringen.

Der Pachter von einem benachbarten Landgute
hat einen Sohn, welcher ſo dumm iſt, als man es
nur verlangen kann. Sein Vater hat viel Ein-
ſicht, und iſt daher im Stande geweſen, ſich mit
einer Menge gelehrter Maͤnner bekannt zu machen,
welche, ſo viel er hat wahrnehmen koͤnnen, in ih-
rer Jugend wenigſtens ſo dumm geweſen ſind, als
ſein Sohn, und noch itzo dem Verſtande eines
Pachters nicht gleich kommen. Da ſich ſein Sohn
zu gar nichts ſchickt: ſo hat er dem gnaͤdigen Herrn
ſein Anliegen erzaͤhlt; und beide ſind einmuͤthig
darauf gefallen, der Junge ſolle ein Doctor wer-
den. Und er faͤngt auch nunmehr an, ein Doctor
zu werden. Der Vater ſchmeichelt ſich, daß ihm
Gott gewiß mit der Zeit eine Profeſſur, und ſo-
dann wenigſtens ſo viel Verſtand geben werde,
als, ſeiner Meynung nach, zu einem Canonicat

erfo-
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[45/0067] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. gelaſſen, etwas zu lernen, und ich kann es ihm ohne Ruhm nachſagen, daß er itzo, da er zwanzig Jahr alt iſt, ſeinen Namen nicht zu ſchreiben weis, noch das geringſte von Rechnungsſachen verſteht. Die- ſes hat ſeinen Papa ganz natuͤrlicher Weiſe auf die Gedanken gebracht, daß es ſehr wohl gethan ſeyn wuͤrde, ſich den lieben Sohn adjungiren zu laſſen. Und ich ſehe nicht die geringſte Schwierig- keit, welche dieſe vaͤterliche Abſicht hindern ſollte. Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verſtand; und da der Herr Vater ſo lange Zeit ſein Amt hat verwalten koͤnnen, ohne ehrlich zu ſeyn: ſo hoffe ich gewiß, der Herr Adjunctus wird es mit der Zeit noch hoͤher bringen. Der Pachter von einem benachbarten Landgute hat einen Sohn, welcher ſo dumm iſt, als man es nur verlangen kann. Sein Vater hat viel Ein- ſicht, und iſt daher im Stande geweſen, ſich mit einer Menge gelehrter Maͤnner bekannt zu machen, welche, ſo viel er hat wahrnehmen koͤnnen, in ih- rer Jugend wenigſtens ſo dumm geweſen ſind, als ſein Sohn, und noch itzo dem Verſtande eines Pachters nicht gleich kommen. Da ſich ſein Sohn zu gar nichts ſchickt: ſo hat er dem gnaͤdigen Herrn ſein Anliegen erzaͤhlt; und beide ſind einmuͤthig darauf gefallen, der Junge ſolle ein Doctor wer- den. Und er faͤngt auch nunmehr an, ein Doctor zu werden. Der Vater ſchmeichelt ſich, daß ihm Gott gewiß mit der Zeit eine Profeſſur, und ſo- dann wenigſtens ſo viel Verſtand geben werde, als, ſeiner Meynung nach, zu einem Canonicat erfo-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/67>, abgerufen am 02.05.2024.