Ursache gewesen seyn: Aber itzt denkt unsre auf- geklärte Welt schon anders, und man weis bes- ser, als damals, zu welchem Ende die Religion er- dacht ist. Man bewundert ja diejenigen, als star- ke Geister, die mit der Religion spotten: Jst es wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke der Natur verabscheut, die mit der Religion heu- cheln?
Unglückliche Leute noch mehr zu kränken, ist gewiß eine der grausamsten Ungerechtigkeiten, die ein Mensch begehen kann. Und doch - - ich schä- me mich es zu gestehn! - - und doch habe ich die- se Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich sie an den erbarmenswürdigen, unglücklichen, und elenden Menschen begangen, die man Freygei- ster nennt. Diese sind die mitleidenswürdigen Menschen, welche, um zwanzig Jahre lang von wenigen wegen ihres scharfen Verstandes bewun- dert zu werden, von den übrigen verabscheuet, und ewig unglücklich werden wollen. Sie wenden viele Mühe an, sich eine Hoffnung auszureden, von welcher sich ein vernünftiger Mann, ich will gar nicht sagen, ein Christ, mit so vieler Mühe zu überzeugen sucht. Sie haben beständig mit den innerlichen Widersprüchen ihres eignen Gewis- sens zu kämpfen, welches sie zu ihrem großen Ver- drusse immer daran erinnert, daß sie vernünftige Geschöpfe sind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der
Welt
und Ehrenerklaͤrung.
Urſache geweſen ſeyn: Aber itzt denkt unſre auf- geklaͤrte Welt ſchon anders, und man weis beſ- ſer, als damals, zu welchem Ende die Religion er- dacht iſt. Man bewundert ja diejenigen, als ſtar- ke Geiſter, die mit der Religion ſpotten: Jſt es wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke der Natur verabſcheut, die mit der Religion heu- cheln?
Ungluͤckliche Leute noch mehr zu kraͤnken, iſt gewiß eine der grauſamſten Ungerechtigkeiten, die ein Menſch begehen kann. Und doch ‒ ‒ ich ſchaͤ- me mich es zu geſtehn! ‒ ‒ und doch habe ich die- ſe Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich ſie an den erbarmenswuͤrdigen, ungluͤcklichen, und elenden Menſchen begangen, die man Freygei- ſter nennt. Dieſe ſind die mitleidenswuͤrdigen Menſchen, welche, um zwanzig Jahre lang von wenigen wegen ihres ſcharfen Verſtandes bewun- dert zu werden, von den uͤbrigen verabſcheuet, und ewig ungluͤcklich werden wollen. Sie wenden viele Muͤhe an, ſich eine Hoffnung auszureden, von welcher ſich ein vernuͤnftiger Mann, ich will gar nicht ſagen, ein Chriſt, mit ſo vieler Muͤhe zu uͤberzeugen ſucht. Sie haben beſtaͤndig mit den innerlichen Widerſpruͤchen ihres eignen Gewiſ- ſens zu kaͤmpfen, welches ſie zu ihrem großen Ver- druſſe immer daran erinnert, daß ſie vernuͤnftige Geſchoͤpfe ſind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der
Welt
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[605[603]/0627]
und Ehrenerklaͤrung.
Urſache geweſen ſeyn: Aber itzt denkt unſre auf-
geklaͤrte Welt ſchon anders, und man weis beſ-
ſer, als damals, zu welchem Ende die Religion er-
dacht iſt. Man bewundert ja diejenigen, als ſtar-
ke Geiſter, die mit der Religion ſpotten: Jſt es
wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke
der Natur verabſcheut, die mit der Religion heu-
cheln?
Ungluͤckliche Leute noch mehr zu kraͤnken, iſt
gewiß eine der grauſamſten Ungerechtigkeiten, die
ein Menſch begehen kann. Und doch ‒ ‒ ich ſchaͤ-
me mich es zu geſtehn! ‒ ‒ und doch habe ich die-
ſe Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich ſie
an den erbarmenswuͤrdigen, ungluͤcklichen, und
elenden Menſchen begangen, die man Freygei-
ſter nennt. Dieſe ſind die mitleidenswuͤrdigen
Menſchen, welche, um zwanzig Jahre lang von
wenigen wegen ihres ſcharfen Verſtandes bewun-
dert zu werden, von den uͤbrigen verabſcheuet, und
ewig ungluͤcklich werden wollen. Sie wenden
viele Muͤhe an, ſich eine Hoffnung auszureden,
von welcher ſich ein vernuͤnftiger Mann, ich will
gar nicht ſagen, ein Chriſt, mit ſo vieler Muͤhe zu
uͤberzeugen ſucht. Sie haben beſtaͤndig mit den
innerlichen Widerſpruͤchen ihres eignen Gewiſ-
ſens zu kaͤmpfen, welches ſie zu ihrem großen Ver-
druſſe immer daran erinnert, daß ſie vernuͤnftige
Geſchoͤpfe ſind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 605[603]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/627>, abgerufen am 24.11.2024.
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