Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

und Ehrenerklärung.
Ursache gewesen seyn: Aber itzt denkt unsre auf-
geklärte Welt schon anders, und man weis bes-
ser, als damals, zu welchem Ende die Religion er-
dacht ist. Man bewundert ja diejenigen, als star-
ke Geister, die mit der Religion spotten: Jst es
wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke
der Natur verabscheut, die mit der Religion heu-
cheln?



Unglückliche Leute noch mehr zu kränken, ist
gewiß eine der grausamsten Ungerechtigkeiten, die
ein Mensch begehen kann. Und doch - - ich schä-
me mich es zu gestehn! - - und doch habe ich die-
se Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich sie
an den erbarmenswürdigen, unglücklichen, und
elenden Menschen begangen, die man Freygei-
ster
nennt. Diese sind die mitleidenswürdigen
Menschen, welche, um zwanzig Jahre lang von
wenigen wegen ihres scharfen Verstandes bewun-
dert zu werden, von den übrigen verabscheuet, und
ewig unglücklich werden wollen. Sie wenden
viele Mühe an, sich eine Hoffnung auszureden,
von welcher sich ein vernünftiger Mann, ich will
gar nicht sagen, ein Christ, mit so vieler Mühe zu
überzeugen sucht. Sie haben beständig mit den
innerlichen Widersprüchen ihres eignen Gewis-
sens zu kämpfen, welches sie zu ihrem großen Ver-
drusse immer daran erinnert, daß sie vernünftige
Geschöpfe sind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der

Welt

und Ehrenerklaͤrung.
Urſache geweſen ſeyn: Aber itzt denkt unſre auf-
geklaͤrte Welt ſchon anders, und man weis beſ-
ſer, als damals, zu welchem Ende die Religion er-
dacht iſt. Man bewundert ja diejenigen, als ſtar-
ke Geiſter, die mit der Religion ſpotten: Jſt es
wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke
der Natur verabſcheut, die mit der Religion heu-
cheln?



Ungluͤckliche Leute noch mehr zu kraͤnken, iſt
gewiß eine der grauſamſten Ungerechtigkeiten, die
ein Menſch begehen kann. Und doch ‒ ‒ ich ſchaͤ-
me mich es zu geſtehn! ‒ ‒ und doch habe ich die-
ſe Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich ſie
an den erbarmenswuͤrdigen, ungluͤcklichen, und
elenden Menſchen begangen, die man Freygei-
ſter
nennt. Dieſe ſind die mitleidenswuͤrdigen
Menſchen, welche, um zwanzig Jahre lang von
wenigen wegen ihres ſcharfen Verſtandes bewun-
dert zu werden, von den uͤbrigen verabſcheuet, und
ewig ungluͤcklich werden wollen. Sie wenden
viele Muͤhe an, ſich eine Hoffnung auszureden,
von welcher ſich ein vernuͤnftiger Mann, ich will
gar nicht ſagen, ein Chriſt, mit ſo vieler Muͤhe zu
uͤberzeugen ſucht. Sie haben beſtaͤndig mit den
innerlichen Widerſpruͤchen ihres eignen Gewiſ-
ſens zu kaͤmpfen, welches ſie zu ihrem großen Ver-
druſſe immer daran erinnert, daß ſie vernuͤnftige
Geſchoͤpfe ſind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der

Welt
<TEI>
  <text>
    <back>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0627" n="605[603]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Ehrenerkla&#x0364;rung.</hi></fw><lb/>
Ur&#x017F;ache gewe&#x017F;en &#x017F;eyn: Aber itzt denkt un&#x017F;re auf-<lb/>
gekla&#x0364;rte Welt &#x017F;chon anders, und man weis be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er, als damals, zu welchem Ende die Religion er-<lb/>
dacht i&#x017F;t. Man bewundert ja diejenigen, als &#x017F;tar-<lb/>
ke Gei&#x017F;ter, die mit der Religion &#x017F;potten: J&#x017F;t es<lb/>
wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke<lb/>
der Natur verab&#x017F;cheut, die mit der Religion heu-<lb/>
cheln?</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Unglu&#x0364;ckliche Leute noch mehr zu kra&#x0364;nken, i&#x017F;t<lb/>
gewiß eine der grau&#x017F;am&#x017F;ten Ungerechtigkeiten, die<lb/>
ein Men&#x017F;ch begehen kann. Und doch &#x2012; &#x2012; ich &#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
me mich es zu ge&#x017F;tehn! &#x2012; &#x2012; und doch habe ich die-<lb/>
&#x017F;e Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich &#x017F;ie<lb/>
an den erbarmenswu&#x0364;rdigen, unglu&#x0364;cklichen, und<lb/>
elenden Men&#x017F;chen begangen, die man <hi rendition="#fr">Freygei-<lb/>
&#x017F;ter</hi> nennt. Die&#x017F;e &#x017F;ind die mitleidenswu&#x0364;rdigen<lb/>
Men&#x017F;chen, welche, um zwanzig Jahre lang von<lb/>
wenigen wegen ihres &#x017F;charfen Ver&#x017F;tandes bewun-<lb/>
dert zu werden, von den u&#x0364;brigen verab&#x017F;cheuet, und<lb/>
ewig unglu&#x0364;cklich werden wollen. Sie wenden<lb/>
viele Mu&#x0364;he an, &#x017F;ich eine Hoffnung auszureden,<lb/>
von welcher &#x017F;ich ein vernu&#x0364;nftiger Mann, ich will<lb/>
gar nicht &#x017F;agen, ein Chri&#x017F;t, mit &#x017F;o vieler Mu&#x0364;he zu<lb/>
u&#x0364;berzeugen &#x017F;ucht. Sie haben be&#x017F;ta&#x0364;ndig mit den<lb/>
innerlichen Wider&#x017F;pru&#x0364;chen ihres eignen Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ens zu ka&#x0364;mpfen, welches &#x017F;ie zu ihrem großen Ver-<lb/>
dru&#x017F;&#x017F;e immer daran erinnert, daß &#x017F;ie vernu&#x0364;nftige<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe &#x017F;ind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Welt</fw><lb/></p>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[605[603]/0627] und Ehrenerklaͤrung. Urſache geweſen ſeyn: Aber itzt denkt unſre auf- geklaͤrte Welt ſchon anders, und man weis beſ- ſer, als damals, zu welchem Ende die Religion er- dacht iſt. Man bewundert ja diejenigen, als ſtar- ke Geiſter, die mit der Religion ſpotten: Jſt es wohl billig, daß man diejenigen, als Schandflecke der Natur verabſcheut, die mit der Religion heu- cheln? Ungluͤckliche Leute noch mehr zu kraͤnken, iſt gewiß eine der grauſamſten Ungerechtigkeiten, die ein Menſch begehen kann. Und doch ‒ ‒ ich ſchaͤ- me mich es zu geſtehn! ‒ ‒ und doch habe ich die- ſe Ungerechtigkeit begangen, und zwar habe ich ſie an den erbarmenswuͤrdigen, ungluͤcklichen, und elenden Menſchen begangen, die man Freygei- ſter nennt. Dieſe ſind die mitleidenswuͤrdigen Menſchen, welche, um zwanzig Jahre lang von wenigen wegen ihres ſcharfen Verſtandes bewun- dert zu werden, von den uͤbrigen verabſcheuet, und ewig ungluͤcklich werden wollen. Sie wenden viele Muͤhe an, ſich eine Hoffnung auszureden, von welcher ſich ein vernuͤnftiger Mann, ich will gar nicht ſagen, ein Chriſt, mit ſo vieler Muͤhe zu uͤberzeugen ſucht. Sie haben beſtaͤndig mit den innerlichen Widerſpruͤchen ihres eignen Gewiſ- ſens zu kaͤmpfen, welches ſie zu ihrem großen Ver- druſſe immer daran erinnert, daß ſie vernuͤnftige Geſchoͤpfe ſind. Sie haben Ehrgeiz genug, in der Welt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/627
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 605[603]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/627>, abgerufen am 03.05.2024.