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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abbitte
chen einander eine Freundschaft, dergleichen man
seit den Zeiten des Orest nicht gehört hat; sie wer-
den diesen Mittag mit einander trinken, und sich
küssen, und ewige Treue schwören: Und morgen
wird einer von ihnen den andern stürzen. Thut
ein Heuchler mehr, als diese thun? Der Mann,
der nur von Tonnen Goldes spricht, dessen fürst-
liche Pracht der Pöbel bewundert, und sein Gläu-
biger beseufzet; dieser Mann hat die große Absicht,
noch mehrere zu betrügen, und alsdenn mit einer
guten Art Bankerutt zu machen: Hat man wohl
viel Exempel von Heuchlern, die ihre Gläubiger
auf diese Art betrügen? Und was soll ich von der
Verstellung dererjenigen Gelehrten sagen, die ihre
Dummheit unter einer weisen Miene verbergen?
Soll ich von den Großsprechern etwas gedenken,
die den Hut trotzig in die Augen drücken, und zit-
tern? Wie gefährlich heuchelt ein Geliebter! Wie
verführend ist die Heucheley einer ungetreuen Frau,
die ihren Mann mit zärtlichen Liebkosungen ein-
schläfern will! Und alle diese Laster, alle diese
Thorheiten entschuldigt man, oder belacht sie wohl
gar: Aber unerbittlich verdammt man den from-
men Heuchler, der Almosen giebt, mit bußferti-
ger Miene durch die Gassen schleicht, knieend und
mit Thränen vor dem Angesichte der Gemeine be-
tet, und ein Schelm ist. Macht ihn vielleicht nur
das vor andern so verhaßt, daß er mit der Reli-
gion spottet? Das will ich doch nimmermehr hof-
fen! Vielleicht möchte es vor hundert Jahren die

Ursache

Abbitte
chen einander eine Freundſchaft, dergleichen man
ſeit den Zeiten des Oreſt nicht gehoͤrt hat; ſie wer-
den dieſen Mittag mit einander trinken, und ſich
kuͤſſen, und ewige Treue ſchwoͤren: Und morgen
wird einer von ihnen den andern ſtuͤrzen. Thut
ein Heuchler mehr, als dieſe thun? Der Mann,
der nur von Tonnen Goldes ſpricht, deſſen fuͤrſt-
liche Pracht der Poͤbel bewundert, und ſein Glaͤu-
biger beſeufzet; dieſer Mann hat die große Abſicht,
noch mehrere zu betruͤgen, und alsdenn mit einer
guten Art Bankerutt zu machen: Hat man wohl
viel Exempel von Heuchlern, die ihre Glaͤubiger
auf dieſe Art betruͤgen? Und was ſoll ich von der
Verſtellung dererjenigen Gelehrten ſagen, die ihre
Dummheit unter einer weiſen Miene verbergen?
Soll ich von den Großſprechern etwas gedenken,
die den Hut trotzig in die Augen druͤcken, und zit-
tern? Wie gefaͤhrlich heuchelt ein Geliebter! Wie
verfuͤhrend iſt die Heucheley einer ungetreuen Frau,
die ihren Mann mit zaͤrtlichen Liebkoſungen ein-
ſchlaͤfern will! Und alle dieſe Laſter, alle dieſe
Thorheiten entſchuldigt man, oder belacht ſie wohl
gar: Aber unerbittlich verdammt man den from-
men Heuchler, der Almoſen giebt, mit bußferti-
ger Miene durch die Gaſſen ſchleicht, knieend und
mit Thraͤnen vor dem Angeſichte der Gemeine be-
tet, und ein Schelm iſt. Macht ihn vielleicht nur
das vor andern ſo verhaßt, daß er mit der Reli-
gion ſpottet? Das will ich doch nimmermehr hof-
fen! Vielleicht moͤchte es vor hundert Jahren die

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[604[602]/0626] Abbitte chen einander eine Freundſchaft, dergleichen man ſeit den Zeiten des Oreſt nicht gehoͤrt hat; ſie wer- den dieſen Mittag mit einander trinken, und ſich kuͤſſen, und ewige Treue ſchwoͤren: Und morgen wird einer von ihnen den andern ſtuͤrzen. Thut ein Heuchler mehr, als dieſe thun? Der Mann, der nur von Tonnen Goldes ſpricht, deſſen fuͤrſt- liche Pracht der Poͤbel bewundert, und ſein Glaͤu- biger beſeufzet; dieſer Mann hat die große Abſicht, noch mehrere zu betruͤgen, und alsdenn mit einer guten Art Bankerutt zu machen: Hat man wohl viel Exempel von Heuchlern, die ihre Glaͤubiger auf dieſe Art betruͤgen? Und was ſoll ich von der Verſtellung dererjenigen Gelehrten ſagen, die ihre Dummheit unter einer weiſen Miene verbergen? Soll ich von den Großſprechern etwas gedenken, die den Hut trotzig in die Augen druͤcken, und zit- tern? Wie gefaͤhrlich heuchelt ein Geliebter! Wie verfuͤhrend iſt die Heucheley einer ungetreuen Frau, die ihren Mann mit zaͤrtlichen Liebkoſungen ein- ſchlaͤfern will! Und alle dieſe Laſter, alle dieſe Thorheiten entſchuldigt man, oder belacht ſie wohl gar: Aber unerbittlich verdammt man den from- men Heuchler, der Almoſen giebt, mit bußferti- ger Miene durch die Gaſſen ſchleicht, knieend und mit Thraͤnen vor dem Angeſichte der Gemeine be- tet, und ein Schelm iſt. Macht ihn vielleicht nur das vor andern ſo verhaßt, daß er mit der Reli- gion ſpottet? Das will ich doch nimmermehr hof- fen! Vielleicht moͤchte es vor hundert Jahren die Urſache

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 604[602]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/626>, abgerufen am 27.11.2024.