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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
um desto nöthiger, hievon etwas umständlicher
zu reden, je leichter es nunmehr zu begreifen seyn
wird, wie es komme, daß man bey der Besetzung
andrer Aemter, welche nicht die Seele, sondern
nur den Leib, oder den Beutel der Unterthanen
betreffen, so sorglos seyn, und nach allen eher,
als nach dem Verstande und der Geschicklichkeit
des Candidaten, fragen kann. Alle Stände sind
voll von Beweisen meines Satzes. Jch habe
nicht den Vorsatz, mein itztlebendes Vaterland zu
schreiben, sonst würde ich mit leichter Mühe noch
hundert Exempel anführen können.

Es ist noch übrig, daß ich von der zwoten
Gattung der Menschen ein paar Worte sage, de-
nen unser Sprüchwort bey allen möglichen Fällen
zum kräftigen Troste gereichet. Es sind dieses
diejenigen, welche Aemter suchen. Sie sind so
vorsichtig, daß sie keine mühsame Untersuchung an-
stellen, ob sie auch den nöthigen Verstand haben,
der zu den Aemtern erfodert wird. Eine solche
Untersuchung verriethe ein Mistrauen, welches ih-
rer männlichen und gesetzten Religion zuwider,
dem geliebten Vaterlande aber sehr schädlich wäre.
Denn dem Vaterlande liegt sehr viel daran, daß
diese Herren Aemter kriegen; und wenn sie sich
nicht eher darum bewerben sollten, als bis sie von
ihrem Verstande und ihrer Fähigkeit innerlich
überzeugt wären, so würde, ungeachtet unsers
sehr bevölkerten Landes, eine große Menge Aem-
ter unbesetzt bleiben müssen. Und was wäre dem
Vaterlande wohl nachtheiliger, als dieses? Sie

ängsti-
C 4

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
um deſto noͤthiger, hievon etwas umſtaͤndlicher
zu reden, je leichter es nunmehr zu begreifen ſeyn
wird, wie es komme, daß man bey der Beſetzung
andrer Aemter, welche nicht die Seele, ſondern
nur den Leib, oder den Beutel der Unterthanen
betreffen, ſo ſorglos ſeyn, und nach allen eher,
als nach dem Verſtande und der Geſchicklichkeit
des Candidaten, fragen kann. Alle Staͤnde ſind
voll von Beweiſen meines Satzes. Jch habe
nicht den Vorſatz, mein itztlebendes Vaterland zu
ſchreiben, ſonſt wuͤrde ich mit leichter Muͤhe noch
hundert Exempel anfuͤhren koͤnnen.

Es iſt noch uͤbrig, daß ich von der zwoten
Gattung der Menſchen ein paar Worte ſage, de-
nen unſer Spruͤchwort bey allen moͤglichen Faͤllen
zum kraͤftigen Troſte gereichet. Es ſind dieſes
diejenigen, welche Aemter ſuchen. Sie ſind ſo
vorſichtig, daß ſie keine muͤhſame Unterſuchung an-
ſtellen, ob ſie auch den noͤthigen Verſtand haben,
der zu den Aemtern erfodert wird. Eine ſolche
Unterſuchung verriethe ein Mistrauen, welches ih-
rer maͤnnlichen und geſetzten Religion zuwider,
dem geliebten Vaterlande aber ſehr ſchaͤdlich waͤre.
Denn dem Vaterlande liegt ſehr viel daran, daß
dieſe Herren Aemter kriegen; und wenn ſie ſich
nicht eher darum bewerben ſollten, als bis ſie von
ihrem Verſtande und ihrer Faͤhigkeit innerlich
uͤberzeugt waͤren, ſo wuͤrde, ungeachtet unſers
ſehr bevoͤlkerten Landes, eine große Menge Aem-
ter unbeſetzt bleiben muͤſſen. Und was waͤre dem
Vaterlande wohl nachtheiliger, als dieſes? Sie

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[39/0061] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. um deſto noͤthiger, hievon etwas umſtaͤndlicher zu reden, je leichter es nunmehr zu begreifen ſeyn wird, wie es komme, daß man bey der Beſetzung andrer Aemter, welche nicht die Seele, ſondern nur den Leib, oder den Beutel der Unterthanen betreffen, ſo ſorglos ſeyn, und nach allen eher, als nach dem Verſtande und der Geſchicklichkeit des Candidaten, fragen kann. Alle Staͤnde ſind voll von Beweiſen meines Satzes. Jch habe nicht den Vorſatz, mein itztlebendes Vaterland zu ſchreiben, ſonſt wuͤrde ich mit leichter Muͤhe noch hundert Exempel anfuͤhren koͤnnen. Es iſt noch uͤbrig, daß ich von der zwoten Gattung der Menſchen ein paar Worte ſage, de- nen unſer Spruͤchwort bey allen moͤglichen Faͤllen zum kraͤftigen Troſte gereichet. Es ſind dieſes diejenigen, welche Aemter ſuchen. Sie ſind ſo vorſichtig, daß ſie keine muͤhſame Unterſuchung an- ſtellen, ob ſie auch den noͤthigen Verſtand haben, der zu den Aemtern erfodert wird. Eine ſolche Unterſuchung verriethe ein Mistrauen, welches ih- rer maͤnnlichen und geſetzten Religion zuwider, dem geliebten Vaterlande aber ſehr ſchaͤdlich waͤre. Denn dem Vaterlande liegt ſehr viel daran, daß dieſe Herren Aemter kriegen; und wenn ſie ſich nicht eher darum bewerben ſollten, als bis ſie von ihrem Verſtande und ihrer Faͤhigkeit innerlich uͤberzeugt waͤren, ſo wuͤrde, ungeachtet unſers ſehr bevoͤlkerten Landes, eine große Menge Aem- ter unbeſetzt bleiben muͤſſen. Und was waͤre dem Vaterlande wohl nachtheiliger, als dieſes? Sie aͤngſti- C 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/61>, abgerufen am 25.11.2024.