Warum ist Leonore,(15) die Tochter des reichen Kaufmanns, so aufgeräumt? Noch vor einer Stunde saß sie ganz tiefsinnig und unzufrieden, und war gegen alle, die sie zum Tanze auffoderten, frostig und beleidigend, nur gegen den Baron von N - - (16) nicht. Der ver- goldete Baron, der eben itzo mit ihr tanzt, hat ihr, oder vielmehr ihrem Gelde, vor einigen Minu- ten eine förmliche Liebeserklärung gethan. Leo- nore ist ein hochmüthiges Bürgermädchen, welches nichts so sehr wünscht, als einen hohen Rang, und den Titel einer Excellenz: Der Baron hat beides, aber auch viele Schulden. Sind wohl in der Welt zwo Personen, die sich besser für ein- ander schicken? Die Liebeserklärung von diesem Abende ist der Grund zu einer Vermählung, mit welcher der Baron so geschwind, als möglich eilen wird, um eine ruhige Messe zu haben. Nun ist der Baron Herr von ihrem Vermögen, und nun läßt er es die unglückliche Leonore empfinden, daß ihre Person, ohne dieses Vermögen, gar keinen Werth hat. Er schämt sich, sie an den Hof zu bringen, an welchen doch zu kommen die eitle Leonore so sehr gewünscht hat. Sie fühlt die Spötterey seiner Familie, und darüber würde sie sich allenfalls trösten lassen: Aber das ist für sie eine schreckliche Sache, daß sie sich auf ein entfern-
tes
(15) Die unglückliche T - - -.
(16) Zu deutsch, der Herr Baron von D - -.
Das Maͤrchen vom erſten April.
15.
Warum iſt Leonore,(15) die Tochter des reichen Kaufmanns, ſo aufgeraͤumt? Noch vor einer Stunde ſaß ſie ganz tiefſinnig und unzufrieden, und war gegen alle, die ſie zum Tanze auffoderten, froſtig und beleidigend, nur gegen den Baron von N ‒ ‒ (16) nicht. Der ver- goldete Baron, der eben itzo mit ihr tanzt, hat ihr, oder vielmehr ihrem Gelde, vor einigen Minu- ten eine foͤrmliche Liebeserklaͤrung gethan. Leo- nore iſt ein hochmuͤthiges Buͤrgermaͤdchen, welches nichts ſo ſehr wuͤnſcht, als einen hohen Rang, und den Titel einer Excellenz: Der Baron hat beides, aber auch viele Schulden. Sind wohl in der Welt zwo Perſonen, die ſich beſſer fuͤr ein- ander ſchicken? Die Liebeserklaͤrung von dieſem Abende iſt der Grund zu einer Vermaͤhlung, mit welcher der Baron ſo geſchwind, als moͤglich eilen wird, um eine ruhige Meſſe zu haben. Nun iſt der Baron Herr von ihrem Vermoͤgen, und nun laͤßt er es die ungluͤckliche Leonore empfinden, daß ihre Perſon, ohne dieſes Vermoͤgen, gar keinen Werth hat. Er ſchaͤmt ſich, ſie an den Hof zu bringen, an welchen doch zu kommen die eitle Leonore ſo ſehr gewuͤnſcht hat. Sie fuͤhlt die Spoͤtterey ſeiner Familie, und daruͤber wuͤrde ſie ſich allenfalls troͤſten laſſen: Aber das iſt fuͤr ſie eine ſchreckliche Sache, daß ſie ſich auf ein entfern-
tes
(15) Die ungluͤckliche T ‒ ‒ ‒.
(16) Zu deutſch, der Herr Baron von D ‒ ‒.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0536"n="514[512]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Maͤrchen vom erſten April.</hi></fw><lb/><divn="4"><head>15.</head><lb/><p>Warum iſt <hirendition="#fr">Leonore,</hi><noteplace="foot"n="(15)">Die ungluͤckliche <hirendition="#aq"><hirendition="#i">T</hi></hi>‒‒‒.</note> die Tochter des<lb/>
reichen Kaufmanns, ſo aufgeraͤumt? Noch<lb/>
vor einer Stunde ſaß ſie ganz tiefſinnig und<lb/>
unzufrieden, und war gegen alle, die ſie zum<lb/>
Tanze auffoderten, froſtig und beleidigend, nur<lb/>
gegen den Baron von <hirendition="#fr">N</hi>‒‒<noteplace="foot"n="(16)">Zu deutſch, der Herr Baron von <hirendition="#aq"><hirendition="#i">D</hi></hi>‒‒.</note> nicht. Der ver-<lb/>
goldete Baron, der eben itzo mit ihr tanzt, hat<lb/>
ihr, oder vielmehr ihrem Gelde, vor einigen Minu-<lb/>
ten eine foͤrmliche Liebeserklaͤrung gethan. Leo-<lb/>
nore iſt ein hochmuͤthiges Buͤrgermaͤdchen, welches<lb/>
nichts ſo ſehr wuͤnſcht, als einen hohen Rang,<lb/>
und den Titel einer Excellenz: Der Baron hat<lb/>
beides, aber auch viele Schulden. Sind wohl<lb/>
in der Welt zwo Perſonen, die ſich beſſer fuͤr ein-<lb/>
ander ſchicken? Die Liebeserklaͤrung von dieſem<lb/>
Abende iſt der Grund zu einer Vermaͤhlung, mit<lb/>
welcher der Baron ſo geſchwind, als moͤglich eilen<lb/>
wird, um eine ruhige Meſſe zu haben. Nun iſt<lb/>
der Baron Herr von ihrem Vermoͤgen, und nun<lb/>
laͤßt er es die ungluͤckliche Leonore empfinden, daß<lb/>
ihre Perſon, ohne dieſes Vermoͤgen, gar keinen<lb/>
Werth hat. Er ſchaͤmt ſich, ſie an den Hof zu<lb/>
bringen, an welchen doch zu kommen die eitle<lb/>
Leonore ſo ſehr gewuͤnſcht hat. Sie fuͤhlt die<lb/>
Spoͤtterey ſeiner Familie, und daruͤber wuͤrde ſie<lb/>ſich allenfalls troͤſten laſſen: Aber das iſt fuͤr ſie<lb/>
eine ſchreckliche Sache, daß ſie ſich auf ein entfern-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tes</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[514[512]/0536]
Das Maͤrchen vom erſten April.
15.
Warum iſt Leonore, (15) die Tochter des
reichen Kaufmanns, ſo aufgeraͤumt? Noch
vor einer Stunde ſaß ſie ganz tiefſinnig und
unzufrieden, und war gegen alle, die ſie zum
Tanze auffoderten, froſtig und beleidigend, nur
gegen den Baron von N ‒ ‒ (16) nicht. Der ver-
goldete Baron, der eben itzo mit ihr tanzt, hat
ihr, oder vielmehr ihrem Gelde, vor einigen Minu-
ten eine foͤrmliche Liebeserklaͤrung gethan. Leo-
nore iſt ein hochmuͤthiges Buͤrgermaͤdchen, welches
nichts ſo ſehr wuͤnſcht, als einen hohen Rang,
und den Titel einer Excellenz: Der Baron hat
beides, aber auch viele Schulden. Sind wohl
in der Welt zwo Perſonen, die ſich beſſer fuͤr ein-
ander ſchicken? Die Liebeserklaͤrung von dieſem
Abende iſt der Grund zu einer Vermaͤhlung, mit
welcher der Baron ſo geſchwind, als moͤglich eilen
wird, um eine ruhige Meſſe zu haben. Nun iſt
der Baron Herr von ihrem Vermoͤgen, und nun
laͤßt er es die ungluͤckliche Leonore empfinden, daß
ihre Perſon, ohne dieſes Vermoͤgen, gar keinen
Werth hat. Er ſchaͤmt ſich, ſie an den Hof zu
bringen, an welchen doch zu kommen die eitle
Leonore ſo ſehr gewuͤnſcht hat. Sie fuͤhlt die
Spoͤtterey ſeiner Familie, und daruͤber wuͤrde ſie
ſich allenfalls troͤſten laſſen: Aber das iſt fuͤr ſie
eine ſchreckliche Sache, daß ſie ſich auf ein entfern-
tes
(15) Die ungluͤckliche T ‒ ‒ ‒.
(16) Zu deutſch, der Herr Baron von D ‒ ‒.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 514[512]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/536>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.