schliessende Philosoph seinen eignen Hochmuth demonstrire; aber was würde ich Ihnen, meine Herren, antworten koennen, wenn Sie mich fragten, ob ich diesen gelehrten Beweis aus De- muth führte? Ob ich nicht in dem Augenblicke, da ich andere richte, über mich selbst das Ur- theil spraeche? Ob ich nicht dadurch doppelt strafbar waere, da ich eben den Fehler, den ich an andern so mühsam tadelte, aus Hochmuth und Eigenliebe selbst begienge? Ein Vorwurf, bey dem nur ein Moralist nicht erroethen darf!
Ich ersuche Sie also, meine Herren, dass Sie dasjenige, was ich hier gesagt habe, für nichts anders, als für eine gelehrte Aufgabe, und für eine von denen problematischen Wahrheiten an- sehen, welche eben so leicht nicht seyn koennen, als sie sind. Wenigstens wünsche ich dieses.
Da ich mich überwunden habe, diese Ehren- erklaerung zu thun: so werde ich es wagen dür- fen, oeffentlich zu gestehen, dass ich bey mir selbstüberzeugt bin, dass alle Handlungen der Men- schen, auch diejenigen unter ihnen, die den Sit- tenrichtern am meisten verdaechtig sind, aus einer guten Quelle, und, wenn ich meinen Geg- nern ja noch was einraeumen soll, aus guten, doch übelverstandnen Absichten herkommen.
Wie viel Ehre macht diese patriotische Ent- deckung dem ganzen menschlichen Geschlechte! Wie tugendhaft werden die Menschen, wie sehr werden, sie wenigstens zu entschuldigen seyn!
In
ſchlieſſende Philoſoph ſeinen eignen Hochmuth demonſtrire; aber was würde ich Ihnen, meine Herren, antworten koennen, wenn Sie mich fragten, ob ich dieſen gelehrten Beweis aus De- muth führte? Ob ich nicht in dem Augenblicke, da ich andere richte, über mich ſelbſt das Ur- theil ſpraeche? Ob ich nicht dadurch doppelt ſtrafbar waere, da ich eben den Fehler, den ich an andern ſo mühſam tadelte, aus Hochmuth und Eigenliebe ſelbſt begienge? Ein Vorwurf, bey dem nur ein Moraliſt nicht erroethen darf!
Ich erſuche Sie alſo, meine Herren, daſs Sie dasjenige, was ich hier geſagt habe, für nichts anders, als für eine gelehrte Aufgabe, und für eine von denen problematiſchen Wahrheiten an- ſehen, welche eben ſo leicht nicht ſeyn koennen, als ſie ſind. Wenigſtens wünſche ich dieſes.
Da ich mich überwunden habe, dieſe Ehren- erklaerung zu thun: ſo werde ich es wagen dür- fen, oeffentlich zu geſtehen, daſs ich bey mir ſelbſtüberzeugt bin, daſs alle Handlungen der Men- ſchen, auch diejenigen unter ihnen, die den Sit- tenrichtern am meiſten verdaechtig ſind, aus einer guten Quelle, und, wenn ich meinen Geg- nern ja noch was einraeumen ſoll, aus guten, doch übelverſtandnen Abſichten herkommen.
Wie viel Ehre macht dieſe patriotiſche Ent- deckung dem ganzen menſchlichen Geſchlechte! Wie tugendhaft werden die Menſchen, wie ſehr werden, ſie wenigſtens zu entſchuldigen ſeyn!
In
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ſchlieſſende Philoſoph ſeinen eignen Hochmuth
demonſtrire; aber was würde ich Ihnen, meine
Herren, antworten koennen, wenn Sie mich
fragten, ob ich dieſen gelehrten Beweis aus De-
muth führte? Ob ich nicht in dem Augenblicke,
da ich andere richte, über mich ſelbſt das Ur-
theil ſpraeche? Ob ich nicht dadurch doppelt
ſtrafbar waere, da ich eben den Fehler, den ich
an andern ſo mühſam tadelte, aus Hochmuth und
Eigenliebe ſelbſt begienge? Ein Vorwurf, bey dem
nur ein Moraliſt nicht erroethen darf!
Ich erſuche Sie alſo, meine Herren, daſs Sie
dasjenige, was ich hier geſagt habe, für nichts
anders, als für eine gelehrte Aufgabe, und für
eine von denen problematiſchen Wahrheiten an-
ſehen, welche eben ſo leicht nicht ſeyn koennen,
als ſie ſind. Wenigſtens wünſche ich dieſes.
Da ich mich überwunden habe, dieſe Ehren-
erklaerung zu thun: ſo werde ich es wagen dür-
fen, oeffentlich zu geſtehen, daſs ich bey mir
ſelbſtüberzeugt bin, daſs alle Handlungen der Men-
ſchen, auch diejenigen unter ihnen, die den Sit-
tenrichtern am meiſten verdaechtig ſind, aus
einer guten Quelle, und, wenn ich meinen Geg-
nern ja noch was einraeumen ſoll, aus guten,
doch übelverſtandnen Abſichten herkommen.
Wie viel Ehre macht dieſe patriotiſche Ent-
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Wie tugendhaft werden die Menſchen, wie ſehr
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/422>, abgerufen am 22.11.2024.
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