In diesem Augenblicke schenke ich meinen Mit- bürgern eine unendliche Menge rechtschaffner Maenner, die sie bisher entweder für Thoren oder für Boesewichter hielten. Die Laster flie- hen, die Welt wird tugendhaft! Die Welt, über welche der Fromme seufzet, und die der Weise verachtet; diese mache ich itzt dem Frommen und dem Weisen zur besten Welt.
Da ich gegenwaertig die Rolle eines Autors übernommen habe; so ist man schuldig, mir ei- nen gewissen Hochmuth zu verzeihen, der den Autoren, und vornehmlich jungen Autoren so wohl ansteht. Ich glaube, dass ich itzt an mei- nem Pulte, in einer Minute, eben die Thaten ruhig verrichte, welche zu verrichten Hercules so viel Iahre lang den groessten Theil der Welt durchirren musste. Er reinigte die Welt von Ungeheuern; die Fabel sagt es: Ist der Dienst, den ich der Welt leiste, weniger wichtig? Aber ich glaube auch, dass man die Fabel ganz unrecht versteht. Haette Hercules wirklich gethan, was die Poeten von ihm erzaehlen; so würde er mehr ein gewaltthaetiger Raeuber, oder wenigstens mehr ein Don Qvixote des Alterthums, als ein Held gewesen seyn. Eine Heerde Ochsen zu plündern, und einen Stall auszumisten; verdient dieses, vergoettert zu werden? Die Weisheit der Fabel hat unter diesen Erzaehlungen etwas viel wichtigers verborgen. Hercules war ein Welt- weiser, der seine Schüler lehrte: Dass die Hand- lungen der Menschen im Grunde tugendhaft,
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In dieſem Augenblicke ſchenke ich meinen Mit- bürgern eine unendliche Menge rechtſchaffner Maenner, die ſie bisher entweder für Thoren oder für Boeſewichter hielten. Die Laſter flie- hen, die Welt wird tugendhaft! Die Welt, über welche der Fromme ſeufzet, und die der Weiſe verachtet; dieſe mache ich itzt dem Frommen und dem Weiſen zur beſten Welt.
Da ich gegenwaertig die Rolle eines Autors übernommen habe; ſo iſt man ſchuldig, mir ei- nen gewiſſen Hochmuth zu verzeihen, der den Autoren, und vornehmlich jungen Autoren ſo wohl anſteht. Ich glaube, daſs ich itzt an mei- nem Pulte, in einer Minute, eben die Thaten ruhig verrichte, welche zu verrichten Hercules ſo viel Iahre lang den groeſsten Theil der Welt durchirren muſste. Er reinigte die Welt von Ungeheuern; die Fabel ſagt es: Iſt der Dienſt, den ich der Welt leiſte, weniger wichtig? Aber ich glaube auch, daſs man die Fabel ganz unrecht verſteht. Haette Hercules wirklich gethan, was die Poeten von ihm erzaehlen; ſo würde er mehr ein gewaltthaetiger Raeuber, oder wenigſtens mehr ein Don Qvixote des Alterthums, als ein Held geweſen ſeyn. Eine Heerde Ochſen zu plündern, und einen Stall auszumiſten; verdient dieſes, vergoettert zu werden? Die Weisheit der Fabel hat unter dieſen Erzaehlungen etwas viel wichtigers verborgen. Hercules war ein Welt- weiſer, der ſeine Schüler lehrte: Daſs die Hand- lungen der Menſchen im Grunde tugendhaft,
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In dieſem Augenblicke ſchenke ich meinen Mit-
bürgern eine unendliche Menge rechtſchaffner
Maenner, die ſie bisher entweder für Thoren
oder für Boeſewichter hielten. Die Laſter flie-
hen, die Welt wird tugendhaft! Die Welt, über
welche der Fromme ſeufzet, und die der Weiſe
verachtet; dieſe mache ich itzt dem Frommen
und dem Weiſen zur beſten Welt.
Da ich gegenwaertig die Rolle eines Autors
übernommen habe; ſo iſt man ſchuldig, mir ei-
nen gewiſſen Hochmuth zu verzeihen, der den
Autoren, und vornehmlich jungen Autoren ſo
wohl anſteht. Ich glaube, daſs ich itzt an mei-
nem Pulte, in einer Minute, eben die Thaten
ruhig verrichte, welche zu verrichten Hercules
ſo viel Iahre lang den groeſsten Theil der Welt
durchirren muſste. Er reinigte die Welt von
Ungeheuern; die Fabel ſagt es: Iſt der Dienſt,
den ich der Welt leiſte, weniger wichtig? Aber
ich glaube auch, daſs man die Fabel ganz unrecht
verſteht. Haette Hercules wirklich gethan, was
die Poeten von ihm erzaehlen; ſo würde er mehr
ein gewaltthaetiger Raeuber, oder wenigſtens
mehr ein Don Qvixote des Alterthums, als ein
Held geweſen ſeyn. Eine Heerde Ochſen zu
plündern, und einen Stall auszumiſten; verdient
dieſes, vergoettert zu werden? Die Weisheit der
Fabel hat unter dieſen Erzaehlungen etwas viel
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/423>, abgerufen am 22.11.2024.
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