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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
lichkeit zu erwerben, die man von ihrer flüchtigen
und unerfahrnen Jugend nicht verlangte. Aber
gemeiniglich verstehen diese wohlweisen Knaben
die Absicht der Obern ganz unrecht. Sie strotzen
von dem Ueberflusse einer übelverdauten Schul-
weisheit. Sie sehen ihre Collegen für Zuhörer,
und ihren Stuhl für die Katheder an, auf wel-
cher sie gewohnt gewesen sind, einige aufgegebne
Sätze gegen Mitschüler hartnäckig zu vertheidigen.
Sie vergessen, daß sie nur die Anfangsgründe der
Rechtsgelehrsamkeit erlernet haben, welche aller-
erst die Erfahrung brauchbar machen muß. Es
ist sehr zu besorgen, daß ihnen diese eitlen Vor-
urtheile eine beständige Hinderung bleiben müssen,
sich durch eine bescheidne Lehrbegierde zu geschick-
ten, und dem Vaterlande nützlichen Männern zu
machen, da sie das Unglück haben, zu glauben,
daß sie es bereits sind. Man hat zwar Exempel,
daß ein junger Richter, der in den ersten zwey
Jahren voll von seiner neuen Weisheit, braust,
im dritten Jahre zu verstummen anfängt, weil er
seine Unwissenheit fühlt: Allein diese Exempel
sind so gar häufig nicht, daß ich wegen der schäd-
lichen Folgen ihrer unreifen Gelehrsamkeit und
pedantischen Eigenliebe außer Sorgen seyn sollte.
Jch werde mir also künftig, bey völliger Einrich-
tung meiner Gedankensteuer Mühe geben, sie in
Contribution zu setzen, daß sie es fühlen. Für
meinen Reisegefährten aber hatte ich ungefähr die-
sen Ansatz gemacht.

Für

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
lichkeit zu erwerben, die man von ihrer fluͤchtigen
und unerfahrnen Jugend nicht verlangte. Aber
gemeiniglich verſtehen dieſe wohlweiſen Knaben
die Abſicht der Obern ganz unrecht. Sie ſtrotzen
von dem Ueberfluſſe einer uͤbelverdauten Schul-
weisheit. Sie ſehen ihre Collegen fuͤr Zuhoͤrer,
und ihren Stuhl fuͤr die Katheder an, auf wel-
cher ſie gewohnt geweſen ſind, einige aufgegebne
Saͤtze gegen Mitſchuͤler hartnaͤckig zu vertheidigen.
Sie vergeſſen, daß ſie nur die Anfangsgruͤnde der
Rechtsgelehrſamkeit erlernet haben, welche aller-
erſt die Erfahrung brauchbar machen muß. Es
iſt ſehr zu beſorgen, daß ihnen dieſe eitlen Vor-
urtheile eine beſtaͤndige Hinderung bleiben muͤſſen,
ſich durch eine beſcheidne Lehrbegierde zu geſchick-
ten, und dem Vaterlande nuͤtzlichen Maͤnnern zu
machen, da ſie das Ungluͤck haben, zu glauben,
daß ſie es bereits ſind. Man hat zwar Exempel,
daß ein junger Richter, der in den erſten zwey
Jahren voll von ſeiner neuen Weisheit, brauſt,
im dritten Jahre zu verſtummen anfaͤngt, weil er
ſeine Unwiſſenheit fuͤhlt: Allein dieſe Exempel
ſind ſo gar haͤufig nicht, daß ich wegen der ſchaͤd-
lichen Folgen ihrer unreifen Gelehrſamkeit und
pedantiſchen Eigenliebe außer Sorgen ſeyn ſollte.
Jch werde mir alſo kuͤnftig, bey voͤlliger Einrich-
tung meiner Gedankenſteuer Muͤhe geben, ſie in
Contribution zu ſetzen, daß ſie es fuͤhlen. Fuͤr
meinen Reiſegefaͤhrten aber hatte ich ungefaͤhr die-
ſen Anſatz gemacht.

Fuͤr
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[363/0385] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. lichkeit zu erwerben, die man von ihrer fluͤchtigen und unerfahrnen Jugend nicht verlangte. Aber gemeiniglich verſtehen dieſe wohlweiſen Knaben die Abſicht der Obern ganz unrecht. Sie ſtrotzen von dem Ueberfluſſe einer uͤbelverdauten Schul- weisheit. Sie ſehen ihre Collegen fuͤr Zuhoͤrer, und ihren Stuhl fuͤr die Katheder an, auf wel- cher ſie gewohnt geweſen ſind, einige aufgegebne Saͤtze gegen Mitſchuͤler hartnaͤckig zu vertheidigen. Sie vergeſſen, daß ſie nur die Anfangsgruͤnde der Rechtsgelehrſamkeit erlernet haben, welche aller- erſt die Erfahrung brauchbar machen muß. Es iſt ſehr zu beſorgen, daß ihnen dieſe eitlen Vor- urtheile eine beſtaͤndige Hinderung bleiben muͤſſen, ſich durch eine beſcheidne Lehrbegierde zu geſchick- ten, und dem Vaterlande nuͤtzlichen Maͤnnern zu machen, da ſie das Ungluͤck haben, zu glauben, daß ſie es bereits ſind. Man hat zwar Exempel, daß ein junger Richter, der in den erſten zwey Jahren voll von ſeiner neuen Weisheit, brauſt, im dritten Jahre zu verſtummen anfaͤngt, weil er ſeine Unwiſſenheit fuͤhlt: Allein dieſe Exempel ſind ſo gar haͤufig nicht, daß ich wegen der ſchaͤd- lichen Folgen ihrer unreifen Gelehrſamkeit und pedantiſchen Eigenliebe außer Sorgen ſeyn ſollte. Jch werde mir alſo kuͤnftig, bey voͤlliger Einrich- tung meiner Gedankenſteuer Muͤhe geben, ſie in Contribution zu ſetzen, daß ſie es fuͤhlen. Fuͤr meinen Reiſegefaͤhrten aber hatte ich ungefaͤhr die- ſen Anſatz gemacht. Fuͤr

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/385>, abgerufen am 22.11.2024.