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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Antons Panßa von Mancha

Der andere Junge, welcher erst vor ein paar
Monaten ins vierzehnte Jahr getreten ist, scheint
mir noch weit gefährlicher zu seyn. Er hat durch
seine Schmeicheleyen das Herz meines Onkels, sei-
nes Schulmeisters, so einzunehmen gewußt, daß
er die Schule mehr regiert, als mein Onkel.
Schon itzt ist er ein vollkommner Tartüffe. Er
begeht alle Bosheiten, deren ein Knabe von seinem
Alter fähig ist, und dennoch heißt ihn der Schul-
meister beständig seinen lieben Sohn, sein bestes
Kind. Er hat ihm um deßwillen aufgetragen,
in seiner Abwesenheit auf die übrigen Knaben Acht
zu geben, und es ihm treulich zu hinterbringen,
wenn einer oder der andere nicht stille sitzt, und
kindische Ausschweifungen begeht. Dieses Amt
macht den Buben dem ganzen Haufen schrecklich,
und er misbraucht es eben so, wie mancher fürst-
liche Bediente, dem die Aufsicht über einen Theil
des Landes aufgetragen ist. Die Jungen, die
ihn vordem gerauft, oder ihm den Hut vom Kopfe
geschmissen haben, verfolgt er unbarmherzig.
Eine Rache ist ihm zu wenig; dadurch wird er noch
nicht besänftigt: er rächt sich, so oft er kann.
Merkt er, daß einer von ihnen Nüsse, oder Aepfel
im Schubsacke hat, so stellt er ihm so lange nach,
bis er ihn auf einem Versehen ertappt, und alsdenn
ist nichts möglich, diesen Unglückseligen von der
Anklage zu retten, als wenn er ihm seine Nüsse
und Aepfel aufopfert, die er gleichwohl mit der
großen Miene eines Richters annimmt, welcher sich
bestechen läßt, und doch auf den Schein einer un-

par-
Antons Panßa von Mancha

Der andere Junge, welcher erſt vor ein paar
Monaten ins vierzehnte Jahr getreten iſt, ſcheint
mir noch weit gefaͤhrlicher zu ſeyn. Er hat durch
ſeine Schmeicheleyen das Herz meines Onkels, ſei-
nes Schulmeiſters, ſo einzunehmen gewußt, daß
er die Schule mehr regiert, als mein Onkel.
Schon itzt iſt er ein vollkommner Tartuͤffe. Er
begeht alle Bosheiten, deren ein Knabe von ſeinem
Alter faͤhig iſt, und dennoch heißt ihn der Schul-
meiſter beſtaͤndig ſeinen lieben Sohn, ſein beſtes
Kind. Er hat ihm um deßwillen aufgetragen,
in ſeiner Abweſenheit auf die uͤbrigen Knaben Acht
zu geben, und es ihm treulich zu hinterbringen,
wenn einer oder der andere nicht ſtille ſitzt, und
kindiſche Ausſchweifungen begeht. Dieſes Amt
macht den Buben dem ganzen Haufen ſchrecklich,
und er misbraucht es eben ſo, wie mancher fuͤrſt-
liche Bediente, dem die Aufſicht uͤber einen Theil
des Landes aufgetragen iſt. Die Jungen, die
ihn vordem gerauft, oder ihm den Hut vom Kopfe
geſchmiſſen haben, verfolgt er unbarmherzig.
Eine Rache iſt ihm zu wenig; dadurch wird er noch
nicht beſaͤnftigt: er raͤcht ſich, ſo oft er kann.
Merkt er, daß einer von ihnen Nuͤſſe, oder Aepfel
im Schubſacke hat, ſo ſtellt er ihm ſo lange nach,
bis er ihn auf einem Verſehen ertappt, und alsdenn
iſt nichts moͤglich, dieſen Ungluͤckſeligen von der
Anklage zu retten, als wenn er ihm ſeine Nuͤſſe
und Aepfel aufopfert, die er gleichwohl mit der
großen Miene eines Richters annimmt, welcher ſich
beſtechen laͤßt, und doch auf den Schein einer un-

par-
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[186/0208] Antons Panßa von Mancha Der andere Junge, welcher erſt vor ein paar Monaten ins vierzehnte Jahr getreten iſt, ſcheint mir noch weit gefaͤhrlicher zu ſeyn. Er hat durch ſeine Schmeicheleyen das Herz meines Onkels, ſei- nes Schulmeiſters, ſo einzunehmen gewußt, daß er die Schule mehr regiert, als mein Onkel. Schon itzt iſt er ein vollkommner Tartuͤffe. Er begeht alle Bosheiten, deren ein Knabe von ſeinem Alter faͤhig iſt, und dennoch heißt ihn der Schul- meiſter beſtaͤndig ſeinen lieben Sohn, ſein beſtes Kind. Er hat ihm um deßwillen aufgetragen, in ſeiner Abweſenheit auf die uͤbrigen Knaben Acht zu geben, und es ihm treulich zu hinterbringen, wenn einer oder der andere nicht ſtille ſitzt, und kindiſche Ausſchweifungen begeht. Dieſes Amt macht den Buben dem ganzen Haufen ſchrecklich, und er misbraucht es eben ſo, wie mancher fuͤrſt- liche Bediente, dem die Aufſicht uͤber einen Theil des Landes aufgetragen iſt. Die Jungen, die ihn vordem gerauft, oder ihm den Hut vom Kopfe geſchmiſſen haben, verfolgt er unbarmherzig. Eine Rache iſt ihm zu wenig; dadurch wird er noch nicht beſaͤnftigt: er raͤcht ſich, ſo oft er kann. Merkt er, daß einer von ihnen Nuͤſſe, oder Aepfel im Schubſacke hat, ſo ſtellt er ihm ſo lange nach, bis er ihn auf einem Verſehen ertappt, und alsdenn iſt nichts moͤglich, dieſen Ungluͤckſeligen von der Anklage zu retten, als wenn er ihm ſeine Nuͤſſe und Aepfel aufopfert, die er gleichwohl mit der großen Miene eines Richters annimmt, welcher ſich beſtechen laͤßt, und doch auf den Schein einer un- par-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/208>, abgerufen am 06.05.2024.