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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
ihm auf den Leib, und wollte ihn mit geballter
Faust zwingen, das Blatt zu fressen; ja er stopfte
es ihm bereits ins Maul, als ich unverhofft dazu
kam, und den unschuldigen Knaben rettete. Was
glauben meine Leser, was wird wohl aus diesem
Christoph mit der Zeit werden?

Der Herr Fiscal, mein Nachbar, hat zween
rothköpfigte Jungen, über die ich mir viel Sorge
mache. Der älteste wird ungefähr funfzehn Jahr
alt seyn. Er weis mit einer gefälligen Art sich in
allen Häusern einzuschmeicheln, und dieses thut er
nur in der Absicht, seiner neugierigen Mutter ins
Ohr zu sagen, wo frische Kuchen gebacken wer-
den, in welcher Familie Caffeebesuch erwartet
wird, ob es wahr ist, daß jener Nachbar seine
Frau prügle, und was eigentlich die Ursache seyn
müsse, warum diese oder jene Frau ihre Magd mit
Ohrfeigen aus dem Dienste gejagt hat. Alle diese
gleichgültigen Zeitungen gewinnen in dem Munde
dieses kleinen Spions ein boshaftes Ansehen; und
er hat sich von seiner horchenden Mutter bereits
alle die vielbedeutenden, und richtenden Mienen
angewöhnt, welche sie bey der Anhörung eines
neuen Märchens macht. Diese Mienen machen
seine Erzählungen doppelt gefährlich, weil man
dabey lachen muß. Kann er seiner Mutter keine
neuen Klätschereyen von andern Familien erzäh-
len, so geht er in fremde Häuser herum, und macht
seine eigne Mutter lächerlich.

Der
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ihm auf den Leib, und wollte ihn mit geballter
Fauſt zwingen, das Blatt zu freſſen; ja er ſtopfte
es ihm bereits ins Maul, als ich unverhofft dazu
kam, und den unſchuldigen Knaben rettete. Was
glauben meine Leſer, was wird wohl aus dieſem
Chriſtoph mit der Zeit werden?

Der Herr Fiſcal, mein Nachbar, hat zween
rothkoͤpfigte Jungen, uͤber die ich mir viel Sorge
mache. Der aͤlteſte wird ungefaͤhr funfzehn Jahr
alt ſeyn. Er weis mit einer gefaͤlligen Art ſich in
allen Haͤuſern einzuſchmeicheln, und dieſes thut er
nur in der Abſicht, ſeiner neugierigen Mutter ins
Ohr zu ſagen, wo friſche Kuchen gebacken wer-
den, in welcher Familie Caffeebeſuch erwartet
wird, ob es wahr iſt, daß jener Nachbar ſeine
Frau pruͤgle, und was eigentlich die Urſache ſeyn
muͤſſe, warum dieſe oder jene Frau ihre Magd mit
Ohrfeigen aus dem Dienſte gejagt hat. Alle dieſe
gleichguͤltigen Zeitungen gewinnen in dem Munde
dieſes kleinen Spions ein boshaftes Anſehen; und
er hat ſich von ſeiner horchenden Mutter bereits
alle die vielbedeutenden, und richtenden Mienen
angewoͤhnt, welche ſie bey der Anhoͤrung eines
neuen Maͤrchens macht. Dieſe Mienen machen
ſeine Erzaͤhlungen doppelt gefaͤhrlich, weil man
dabey lachen muß. Kann er ſeiner Mutter keine
neuen Klaͤtſchereyen von andern Familien erzaͤh-
len, ſo geht er in fremde Haͤuſer herum, und macht
ſeine eigne Mutter laͤcherlich.

Der
M 5
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[185/0207] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ihm auf den Leib, und wollte ihn mit geballter Fauſt zwingen, das Blatt zu freſſen; ja er ſtopfte es ihm bereits ins Maul, als ich unverhofft dazu kam, und den unſchuldigen Knaben rettete. Was glauben meine Leſer, was wird wohl aus dieſem Chriſtoph mit der Zeit werden? Der Herr Fiſcal, mein Nachbar, hat zween rothkoͤpfigte Jungen, uͤber die ich mir viel Sorge mache. Der aͤlteſte wird ungefaͤhr funfzehn Jahr alt ſeyn. Er weis mit einer gefaͤlligen Art ſich in allen Haͤuſern einzuſchmeicheln, und dieſes thut er nur in der Abſicht, ſeiner neugierigen Mutter ins Ohr zu ſagen, wo friſche Kuchen gebacken wer- den, in welcher Familie Caffeebeſuch erwartet wird, ob es wahr iſt, daß jener Nachbar ſeine Frau pruͤgle, und was eigentlich die Urſache ſeyn muͤſſe, warum dieſe oder jene Frau ihre Magd mit Ohrfeigen aus dem Dienſte gejagt hat. Alle dieſe gleichguͤltigen Zeitungen gewinnen in dem Munde dieſes kleinen Spions ein boshaftes Anſehen; und er hat ſich von ſeiner horchenden Mutter bereits alle die vielbedeutenden, und richtenden Mienen angewoͤhnt, welche ſie bey der Anhoͤrung eines neuen Maͤrchens macht. Dieſe Mienen machen ſeine Erzaͤhlungen doppelt gefaͤhrlich, weil man dabey lachen muß. Kann er ſeiner Mutter keine neuen Klaͤtſchereyen von andern Familien erzaͤh- len, ſo geht er in fremde Haͤuſer herum, und macht ſeine eigne Mutter laͤcherlich. Der M 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/207>, abgerufen am 24.11.2024.