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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
dünkt, ich habe diese Wahrheit schon deutlich genug
erwiesen, aber zum Ueberflusse will ich noch ein
paar Geschichte erzählen, welche sie ganz unum-
stößlich machen sollen.

Meine alten Landsleute, die Spanier, sind
wohl unstreitig diejenigen, die bey ihrer ernsthaf-
ten Liebe am beständigsten lieben. Jn Buentara,
einem Städtchen am pyrenäischen Gebürge, lebten,
unter der Regierung Ferdinands, zwo junge Per-
sonen, die sich schon im ersten Jahre zwar kin-
disch, doch vorzüglich liebten. Diego und Jsa-
belle waren ihre Namen. Beide waren die einzi-
gen Erben ziemlich reicher Kaufleute. Die Ael-
tern schienen mit dem vertrauten Umgange ihrer
Kinder sehr wohl zufrieden zu seyn. Die Liebe
macht vor den Jahren verständig und alt; daher
kam es, daß unser junges Paar schon in denen
Jahren, wo andre Kinder noch nicht aufhören zu
spielen, sich ernsthaft liebten, und eine ewige
Treue schwuren. Der junge Diego saß halbe
Nächte unter dem Erker seiner Gebieterinn, und
kratzte ihr, nach der Gewohnheit des Landes, auf
der Cither seine Liebe vor. Dieses Vergnügen
dauerte nicht lange. Ein unglücklicher Zufall
machte, daß sein Vater auf einmal sein ganzes
Vermögen und seine Freyheit verlor. Jsabellen
rührte dieser Umstand nicht mehr, als sie das
Unglück eines Freundes rühren mußte. Jn ihrer
Liebe machte es keine Aenderung; und weil sie
großmüthig genug war, so gab sie ihrer Mutter

zu
G 5

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
duͤnkt, ich habe dieſe Wahrheit ſchon deutlich genug
erwieſen, aber zum Ueberfluſſe will ich noch ein
paar Geſchichte erzaͤhlen, welche ſie ganz unum-
ſtoͤßlich machen ſollen.

Meine alten Landsleute, die Spanier, ſind
wohl unſtreitig diejenigen, die bey ihrer ernſthaf-
ten Liebe am beſtaͤndigſten lieben. Jn Buentara,
einem Staͤdtchen am pyrenaͤiſchen Gebuͤrge, lebten,
unter der Regierung Ferdinands, zwo junge Per-
ſonen, die ſich ſchon im erſten Jahre zwar kin-
diſch, doch vorzuͤglich liebten. Diego und Jſa-
belle waren ihre Namen. Beide waren die einzi-
gen Erben ziemlich reicher Kaufleute. Die Ael-
tern ſchienen mit dem vertrauten Umgange ihrer
Kinder ſehr wohl zufrieden zu ſeyn. Die Liebe
macht vor den Jahren verſtaͤndig und alt; daher
kam es, daß unſer junges Paar ſchon in denen
Jahren, wo andre Kinder noch nicht aufhoͤren zu
ſpielen, ſich ernſthaft liebten, und eine ewige
Treue ſchwuren. Der junge Diego ſaß halbe
Naͤchte unter dem Erker ſeiner Gebieterinn, und
kratzte ihr, nach der Gewohnheit des Landes, auf
der Cither ſeine Liebe vor. Dieſes Vergnuͤgen
dauerte nicht lange. Ein ungluͤcklicher Zufall
machte, daß ſein Vater auf einmal ſein ganzes
Vermoͤgen und ſeine Freyheit verlor. Jſabellen
ruͤhrte dieſer Umſtand nicht mehr, als ſie das
Ungluͤck eines Freundes ruͤhren mußte. Jn ihrer
Liebe machte es keine Aenderung; und weil ſie
großmuͤthig genug war, ſo gab ſie ihrer Mutter

zu
G 5
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[105/0127] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. duͤnkt, ich habe dieſe Wahrheit ſchon deutlich genug erwieſen, aber zum Ueberfluſſe will ich noch ein paar Geſchichte erzaͤhlen, welche ſie ganz unum- ſtoͤßlich machen ſollen. Meine alten Landsleute, die Spanier, ſind wohl unſtreitig diejenigen, die bey ihrer ernſthaf- ten Liebe am beſtaͤndigſten lieben. Jn Buentara, einem Staͤdtchen am pyrenaͤiſchen Gebuͤrge, lebten, unter der Regierung Ferdinands, zwo junge Per- ſonen, die ſich ſchon im erſten Jahre zwar kin- diſch, doch vorzuͤglich liebten. Diego und Jſa- belle waren ihre Namen. Beide waren die einzi- gen Erben ziemlich reicher Kaufleute. Die Ael- tern ſchienen mit dem vertrauten Umgange ihrer Kinder ſehr wohl zufrieden zu ſeyn. Die Liebe macht vor den Jahren verſtaͤndig und alt; daher kam es, daß unſer junges Paar ſchon in denen Jahren, wo andre Kinder noch nicht aufhoͤren zu ſpielen, ſich ernſthaft liebten, und eine ewige Treue ſchwuren. Der junge Diego ſaß halbe Naͤchte unter dem Erker ſeiner Gebieterinn, und kratzte ihr, nach der Gewohnheit des Landes, auf der Cither ſeine Liebe vor. Dieſes Vergnuͤgen dauerte nicht lange. Ein ungluͤcklicher Zufall machte, daß ſein Vater auf einmal ſein ganzes Vermoͤgen und ſeine Freyheit verlor. Jſabellen ruͤhrte dieſer Umſtand nicht mehr, als ſie das Ungluͤck eines Freundes ruͤhren mußte. Jn ihrer Liebe machte es keine Aenderung; und weil ſie großmuͤthig genug war, ſo gab ſie ihrer Mutter zu G 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/127>, abgerufen am 23.11.2024.