rechte Sitz von Freundschaft! Wie küßt man, wie umarmt man einander! Sonst glaubte man viel- leicht, es wären Verstellungen, falsche Compli- mente, kaltsinnige Freundschaftsbezeugungen, wohl gar gefährliche Schmeicheleyen: wie gesagt, sonst glaubte man vielleicht dieses. Aber von der näch- sten Messe an, wird man ganz andere Meynungen hegen, da ich die Welt so überzeugend belehrt ha- be, daß keiner ein falscher Freund heißen könne, der es nicht selbst gestehe.
Ueberhaupt habe ich angemerkt, daß der Mensch unter allen Thieren am artigsten zu leben weis. Wir freuen uns, wenn wir einander gesund sehen, wenn wir erfahren, daß es uns wohl geht. Wie viel Wünsche verschwenden wir bey dem Wechsel des Jahrs, bey feyerlichen Tagen, und sonst! Ein Fremder, der zum ersten male zu uns kömmt, sollte schwören, daß das ganze Land mit unterthänigen, mit gehorsamen, mit ergebensten Dienern bevöl- kert, und nicht einer darunter wäre, welcher dem andern etwas zu befehlen hätte. Es ist wahr, man hat uns Schuld gegeben, daß dieses alles nichtsbedeutende Worte wären; daß derjenige den meisten Hochmuth besäße, der am unterthä- nigsten grüßte, und daß die im Herzen uns gemei- niglich verfluchten, welche uns mit dem Munde das meiste Gute wünschten. Diese Beschuldi- gungen sind ungerecht, und ich hoffe, sie werden wegfallen, so bald mein Grundsatz wird bekannt, und allgemein werden. Es ist ohnedem unver-
antwort-
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
rechte Sitz von Freundſchaft! Wie kuͤßt man, wie umarmt man einander! Sonſt glaubte man viel- leicht, es waͤren Verſtellungen, falſche Compli- mente, kaltſinnige Freundſchaftsbezeugungen, wohl gar gefaͤhrliche Schmeicheleyen: wie geſagt, ſonſt glaubte man vielleicht dieſes. Aber von der naͤch- ſten Meſſe an, wird man ganz andere Meynungen hegen, da ich die Welt ſo uͤberzeugend belehrt ha- be, daß keiner ein falſcher Freund heißen koͤnne, der es nicht ſelbſt geſtehe.
Ueberhaupt habe ich angemerkt, daß der Menſch unter allen Thieren am artigſten zu leben weis. Wir freuen uns, wenn wir einander geſund ſehen, wenn wir erfahren, daß es uns wohl geht. Wie viel Wuͤnſche verſchwenden wir bey dem Wechſel des Jahrs, bey feyerlichen Tagen, und ſonſt! Ein Fremder, der zum erſten male zu uns koͤmmt, ſollte ſchwoͤren, daß das ganze Land mit unterthaͤnigen, mit gehorſamen, mit ergebenſten Dienern bevoͤl- kert, und nicht einer darunter waͤre, welcher dem andern etwas zu befehlen haͤtte. Es iſt wahr, man hat uns Schuld gegeben, daß dieſes alles nichtsbedeutende Worte waͤren; daß derjenige den meiſten Hochmuth beſaͤße, der am unterthaͤ- nigſten gruͤßte, und daß die im Herzen uns gemei- niglich verfluchten, welche uns mit dem Munde das meiſte Gute wuͤnſchten. Dieſe Beſchuldi- gungen ſind ungerecht, und ich hoffe, ſie werden wegfallen, ſo bald mein Grundſatz wird bekannt, und allgemein werden. Es iſt ohnedem unver-
antwort-
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
rechte Sitz von Freundſchaft! Wie kuͤßt man, wie
umarmt man einander! Sonſt glaubte man viel-
leicht, es waͤren Verſtellungen, falſche Compli-
mente, kaltſinnige Freundſchaftsbezeugungen, wohl
gar gefaͤhrliche Schmeicheleyen: wie geſagt, ſonſt
glaubte man vielleicht dieſes. Aber von der naͤch-
ſten Meſſe an, wird man ganz andere Meynungen
hegen, da ich die Welt ſo uͤberzeugend belehrt ha-
be, daß keiner ein falſcher Freund heißen koͤnne,
der es nicht ſelbſt geſtehe.
Ueberhaupt habe ich angemerkt, daß der Menſch
unter allen Thieren am artigſten zu leben weis.
Wir freuen uns, wenn wir einander geſund ſehen,
wenn wir erfahren, daß es uns wohl geht. Wie
viel Wuͤnſche verſchwenden wir bey dem Wechſel
des Jahrs, bey feyerlichen Tagen, und ſonſt! Ein
Fremder, der zum erſten male zu uns koͤmmt, ſollte
ſchwoͤren, daß das ganze Land mit unterthaͤnigen,
mit gehorſamen, mit ergebenſten Dienern bevoͤl-
kert, und nicht einer darunter waͤre, welcher dem
andern etwas zu befehlen haͤtte. Es iſt wahr,
man hat uns Schuld gegeben, daß dieſes alles
nichtsbedeutende Worte waͤren; daß derjenige
den meiſten Hochmuth beſaͤße, der am unterthaͤ-
nigſten gruͤßte, und daß die im Herzen uns gemei-
niglich verfluchten, welche uns mit dem Munde
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/101>, abgerufen am 22.11.2024.
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