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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
"Besitzer des Ritterguts selbst unglücklicher Wei-
"se zur Last. Er empfinde das Armut seiner
"ausgesaugten Unterthanen zu erst, wenn diese un-
"vermögend gemacht wären, ihm Zinnsen und
"Dienste ferner zu leisten. Es sey ganz falsch,
"wenn man glaube, daß ein bemittelter Unterthan
"nicht zu bändigen, und ein Bauer alsdann erst
"zahm würde, wenn er ganz verarmt sey. So
"bald er gar nichts mehr zu verlieren habe, so bald
"mache ihn die Verzweiflung muthig. Aus Rach-
"sucht bemühe er sich nunmehr seinen Gerichts-
"herrn durch ungerechte Processe auch zu entkräf-
"ten, und so viel möglich, mit arm zu machen. Es
"sey schwer, einen aufgebrachten und rebellischen
"Bauer von seinem Gute und aus dem Dorfe
"zu verjagen, noch schwerer aber eine ganze Gemei-
"ne. Gemeiniglich treffe das Unglück den Ge-
"richtsherrn zu erst, daß er durch die Last der Pro-
"cesse ermüdet, sein Gut verstossen müsse. Die-
"ses wären die gewöhnlichsten Folgen von einer
"übelverstandnen Herrschaft, und von dem un-
"glücklichen Misbrauche der ihnen erlaubten Erb-
"gerichte; Folgen, die dem Gerichtsherrn und den
"Unterthanen schrecklich, nur dem Gerichtsver-
"walter und den Advocaten vortheilhaft seyn
"könnten!

"Das waren ungefähr die academischen Gril-
"len meiner Lehrer. So schimpft ein Armer auf
"den Reichthum, eine alte Betschwester auf die

"Wol-

Satyriſche Briefe.
„Beſitzer des Ritterguts ſelbſt ungluͤcklicher Wei-
„ſe zur Laſt. Er empfinde das Armut ſeiner
„ausgeſaugten Unterthanen zu erſt, wenn dieſe un-
„vermoͤgend gemacht waͤren, ihm Zinnſen und
„Dienſte ferner zu leiſten. Es ſey ganz falſch,
„wenn man glaube, daß ein bemittelter Unterthan
„nicht zu baͤndigen, und ein Bauer alsdann erſt
„zahm wuͤrde, wenn er ganz verarmt ſey. So
„bald er gar nichts mehr zu verlieren habe, ſo bald
„mache ihn die Verzweiflung muthig. Aus Rach-
„ſucht bemuͤhe er ſich nunmehr ſeinen Gerichts-
„herrn durch ungerechte Proceſſe auch zu entkraͤf-
„ten, und ſo viel moͤglich, mit arm zu machen. Es
„ſey ſchwer, einen aufgebrachten und rebelliſchen
„Bauer von ſeinem Gute und aus dem Dorfe
„zu verjagen, noch ſchwerer aber eine ganze Gemei-
„ne. Gemeiniglich treffe das Ungluͤck den Ge-
„richtsherrn zu erſt, daß er durch die Laſt der Pro-
„ceſſe ermuͤdet, ſein Gut verſtoſſen muͤſſe. Die-
„ſes waͤren die gewoͤhnlichſten Folgen von einer
„uͤbelverſtandnen Herrſchaft, und von dem un-
„gluͤcklichen Misbrauche der ihnen erlaubten Erb-
„gerichte; Folgen, die dem Gerichtsherrn und den
„Unterthanen ſchrecklich, nur dem Gerichtsver-
„walter und den Advocaten vortheilhaft ſeyn
„koͤnnten!

„Das waren ungefaͤhr die academiſchen Gril-
„len meiner Lehrer. So ſchimpft ein Armer auf
„den Reichthum, eine alte Betſchweſter auf die

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[154/0182] Satyriſche Briefe. „Beſitzer des Ritterguts ſelbſt ungluͤcklicher Wei- „ſe zur Laſt. Er empfinde das Armut ſeiner „ausgeſaugten Unterthanen zu erſt, wenn dieſe un- „vermoͤgend gemacht waͤren, ihm Zinnſen und „Dienſte ferner zu leiſten. Es ſey ganz falſch, „wenn man glaube, daß ein bemittelter Unterthan „nicht zu baͤndigen, und ein Bauer alsdann erſt „zahm wuͤrde, wenn er ganz verarmt ſey. So „bald er gar nichts mehr zu verlieren habe, ſo bald „mache ihn die Verzweiflung muthig. Aus Rach- „ſucht bemuͤhe er ſich nunmehr ſeinen Gerichts- „herrn durch ungerechte Proceſſe auch zu entkraͤf- „ten, und ſo viel moͤglich, mit arm zu machen. Es „ſey ſchwer, einen aufgebrachten und rebelliſchen „Bauer von ſeinem Gute und aus dem Dorfe „zu verjagen, noch ſchwerer aber eine ganze Gemei- „ne. Gemeiniglich treffe das Ungluͤck den Ge- „richtsherrn zu erſt, daß er durch die Laſt der Pro- „ceſſe ermuͤdet, ſein Gut verſtoſſen muͤſſe. Die- „ſes waͤren die gewoͤhnlichſten Folgen von einer „uͤbelverſtandnen Herrſchaft, und von dem un- „gluͤcklichen Misbrauche der ihnen erlaubten Erb- „gerichte; Folgen, die dem Gerichtsherrn und den „Unterthanen ſchrecklich, nur dem Gerichtsver- „walter und den Advocaten vortheilhaft ſeyn „koͤnnten! „Das waren ungefaͤhr die academiſchen Gril- „len meiner Lehrer. So ſchimpft ein Armer auf „den Reichthum, eine alte Betſchweſter auf die „Wol-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/182>, abgerufen am 24.11.2024.