"er in zehn Jahren durch die kostbarste Chicane "nicht erlangt. Soll er seine Frau in das Cabi- "nett schicken? Was soll ich ihm rathen? Gewiß, "das weiß ich nicht; so viel weiß ich, daß ich lieber "Richter, als Beklagter, seyn möchte.
"Wenn man das Wort bestechen im weit- "läuftigern Verstande, und zwar dafür annimmt, "daß es eine Kunst sey, durch welche der Kläger "oder der Beklagte sich der herrschenden Leiden- "schaften des Richters unmittelbar, oder durch "andre Penseen dergestalt zu bemächtigen weiß, "daß er ihn auf seine Seite ziehen, und den Pro- "ceß nach seinen Absichten herum leiten, und zu "Ende bringen kann, wenn es, sage ich, in die- "sem Verstande genommen wird: so kann man "gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch "die Furcht bestochen werden könne. Es giebt "deren verschiedne, welche die Welt so wohl ken- "nen, daß sie sich mehr vor ihren Obern, als vor "ihrem Gewissen fürchten. Viele müssen stumm "seyn, um bittre Vorwürfe zu vermeiden; noch "andre sind in ihrer Wirthschaft gewissen Zufällen "ausgesetzt, welche sie sehr zahm machen. Von "einer jeden dieser Arten will ich eine Probe geben; "ein billiger Client wird sie nicht misbrauchen, "und kann er es ganz vermeiden, sie gar nicht ge- "brauchen."
Mein
G 2
Satyriſche Briefe.
„er in zehn Jahren durch die koſtbarſte Chicane „nicht erlangt. Soll er ſeine Frau in das Cabi- „nett ſchicken? Was ſoll ich ihm rathen? Gewiß, „das weiß ich nicht; ſo viel weiß ich, daß ich lieber „Richter, als Beklagter, ſeyn moͤchte.
„Wenn man das Wort beſtechen im weit- „laͤuftigern Verſtande, und zwar dafuͤr annimmt, „daß es eine Kunſt ſey, durch welche der Klaͤger „oder der Beklagte ſich der herrſchenden Leiden- „ſchaften des Richters unmittelbar, oder durch „andre Penſeen dergeſtalt zu bemaͤchtigen weiß, „daß er ihn auf ſeine Seite ziehen, und den Pro- „ceß nach ſeinen Abſichten herum leiten, und zu „Ende bringen kann, wenn es, ſage ich, in die- „ſem Verſtande genommen wird: ſo kann man „gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch „die Furcht beſtochen werden koͤnne. Es giebt „deren verſchiedne, welche die Welt ſo wohl ken- „nen, daß ſie ſich mehr vor ihren Obern, als vor „ihrem Gewiſſen fuͤrchten. Viele muͤſſen ſtumm „ſeyn, um bittre Vorwuͤrfe zu vermeiden; noch „andre ſind in ihrer Wirthſchaft gewiſſen Zufaͤllen „ausgeſetzt, welche ſie ſehr zahm machen. Von „einer jeden dieſer Arten will ich eine Probe geben; „ein billiger Client wird ſie nicht misbrauchen, „und kann er es ganz vermeiden, ſie gar nicht ge- „brauchen.„
Mein
G 2
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Satyriſche Briefe.
„er in zehn Jahren durch die koſtbarſte Chicane
„nicht erlangt. Soll er ſeine Frau in das Cabi-
„nett ſchicken? Was ſoll ich ihm rathen? Gewiß,
„das weiß ich nicht; ſo viel weiß ich, daß ich lieber
„Richter, als Beklagter, ſeyn moͤchte.
„Wenn man das Wort beſtechen im weit-
„laͤuftigern Verſtande, und zwar dafuͤr annimmt,
„daß es eine Kunſt ſey, durch welche der Klaͤger
„oder der Beklagte ſich der herrſchenden Leiden-
„ſchaften des Richters unmittelbar, oder durch
„andre Penſeen dergeſtalt zu bemaͤchtigen weiß,
„daß er ihn auf ſeine Seite ziehen, und den Pro-
„ceß nach ſeinen Abſichten herum leiten, und zu
„Ende bringen kann, wenn es, ſage ich, in die-
„ſem Verſtande genommen wird: ſo kann man
„gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch
„die Furcht beſtochen werden koͤnne. Es giebt
„deren verſchiedne, welche die Welt ſo wohl ken-
„nen, daß ſie ſich mehr vor ihren Obern, als vor
„ihrem Gewiſſen fuͤrchten. Viele muͤſſen ſtumm
„ſeyn, um bittre Vorwuͤrfe zu vermeiden; noch
„andre ſind in ihrer Wirthſchaft gewiſſen Zufaͤllen
„ausgeſetzt, welche ſie ſehr zahm machen. Von
„einer jeden dieſer Arten will ich eine Probe geben;
„ein billiger Client wird ſie nicht misbrauchen,
„und kann er es ganz vermeiden, ſie gar nicht ge-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/127>, abgerufen am 23.11.2024.
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