Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Satyrische Briefe.
"er in zehn Jahren durch die kostbarste Chicane
"nicht erlangt. Soll er seine Frau in das Cabi-
"nett schicken? Was soll ich ihm rathen? Gewiß,
"das weiß ich nicht; so viel weiß ich, daß ich lieber
"Richter, als Beklagter, seyn möchte.

"Wenn man das Wort bestechen im weit-
"läuftigern Verstande, und zwar dafür annimmt,
"daß es eine Kunst sey, durch welche der Kläger
"oder der Beklagte sich der herrschenden Leiden-
"schaften des Richters unmittelbar, oder durch
"andre Penseen dergestalt zu bemächtigen weiß,
"daß er ihn auf seine Seite ziehen, und den Pro-
"ceß nach seinen Absichten herum leiten, und zu
"Ende bringen kann, wenn es, sage ich, in die-
"sem Verstande genommen wird: so kann man
"gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch
"die Furcht bestochen werden könne. Es giebt
"deren verschiedne, welche die Welt so wohl ken-
"nen, daß sie sich mehr vor ihren Obern, als vor
"ihrem Gewissen fürchten. Viele müssen stumm
"seyn, um bittre Vorwürfe zu vermeiden; noch
"andre sind in ihrer Wirthschaft gewissen Zufällen
"ausgesetzt, welche sie sehr zahm machen. Von
"einer jeden dieser Arten will ich eine Probe geben;
"ein billiger Client wird sie nicht misbrauchen,
"und kann er es ganz vermeiden, sie gar nicht ge-
"brauchen."

Mein
G 2

Satyriſche Briefe.
„er in zehn Jahren durch die koſtbarſte Chicane
„nicht erlangt. Soll er ſeine Frau in das Cabi-
„nett ſchicken? Was ſoll ich ihm rathen? Gewiß,
„das weiß ich nicht; ſo viel weiß ich, daß ich lieber
„Richter, als Beklagter, ſeyn moͤchte.

„Wenn man das Wort beſtechen im weit-
„laͤuftigern Verſtande, und zwar dafuͤr annimmt,
„daß es eine Kunſt ſey, durch welche der Klaͤger
„oder der Beklagte ſich der herrſchenden Leiden-
„ſchaften des Richters unmittelbar, oder durch
„andre Penſeen dergeſtalt zu bemaͤchtigen weiß,
„daß er ihn auf ſeine Seite ziehen, und den Pro-
„ceß nach ſeinen Abſichten herum leiten, und zu
„Ende bringen kann, wenn es, ſage ich, in die-
„ſem Verſtande genommen wird: ſo kann man
„gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch
„die Furcht beſtochen werden koͤnne. Es giebt
„deren verſchiedne, welche die Welt ſo wohl ken-
„nen, daß ſie ſich mehr vor ihren Obern, als vor
„ihrem Gewiſſen fuͤrchten. Viele muͤſſen ſtumm
„ſeyn, um bittre Vorwuͤrfe zu vermeiden; noch
„andre ſind in ihrer Wirthſchaft gewiſſen Zufaͤllen
„ausgeſetzt, welche ſie ſehr zahm machen. Von
„einer jeden dieſer Arten will ich eine Probe geben;
„ein billiger Client wird ſie nicht misbrauchen,
„und kann er es ganz vermeiden, ſie gar nicht ge-
„brauchen.„

Mein
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="99"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi></fw><lb/>
&#x201E;er in zehn Jahren durch die ko&#x017F;tbar&#x017F;te Chicane<lb/>
&#x201E;nicht erlangt. Soll er &#x017F;eine Frau in das Cabi-<lb/>
&#x201E;nett &#x017F;chicken? Was &#x017F;oll ich ihm rathen? Gewiß,<lb/>
&#x201E;das weiß ich nicht; &#x017F;o viel weiß ich, daß ich lieber<lb/>
&#x201E;Richter, als Beklagter, &#x017F;eyn mo&#x0364;chte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn man das Wort <hi rendition="#fr">be&#x017F;techen</hi> im weit-<lb/>
&#x201E;la&#x0364;uftigern Ver&#x017F;tande, und zwar dafu&#x0364;r annimmt,<lb/>
&#x201E;daß es eine Kun&#x017F;t &#x017F;ey, durch welche der Kla&#x0364;ger<lb/>
&#x201E;oder der Beklagte &#x017F;ich der herr&#x017F;chenden Leiden-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chaften des Richters unmittelbar, oder durch<lb/>
&#x201E;andre Pen&#x017F;een derge&#x017F;talt zu bema&#x0364;chtigen weiß,<lb/>
&#x201E;daß er ihn auf &#x017F;eine Seite ziehen, und den Pro-<lb/>
&#x201E;ceß nach &#x017F;einen Ab&#x017F;ichten herum leiten, und zu<lb/>
&#x201E;Ende bringen kann, wenn es, &#x017F;age ich, in die-<lb/>
&#x201E;&#x017F;em Ver&#x017F;tande genommen wird: &#x017F;o kann man<lb/>
&#x201E;gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch<lb/>
&#x201E;die Furcht be&#x017F;tochen werden ko&#x0364;nne. Es giebt<lb/>
&#x201E;deren ver&#x017F;chiedne, welche die Welt &#x017F;o wohl ken-<lb/>
&#x201E;nen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich mehr vor ihren Obern, als vor<lb/>
&#x201E;ihrem Gewi&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;rchten. Viele mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tumm<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn, um bittre Vorwu&#x0364;rfe zu vermeiden; noch<lb/>
&#x201E;andre &#x017F;ind in ihrer Wirth&#x017F;chaft gewi&#x017F;&#x017F;en Zufa&#x0364;llen<lb/>
&#x201E;ausge&#x017F;etzt, welche &#x017F;ie &#x017F;ehr zahm machen. Von<lb/>
&#x201E;einer jeden die&#x017F;er Arten will ich eine Probe geben;<lb/>
&#x201E;ein billiger Client wird &#x017F;ie nicht misbrauchen,<lb/>
&#x201E;und kann er es ganz vermeiden, &#x017F;ie gar nicht ge-<lb/>
&#x201E;brauchen.&#x201E;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">G 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Mein</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0127] Satyriſche Briefe. „er in zehn Jahren durch die koſtbarſte Chicane „nicht erlangt. Soll er ſeine Frau in das Cabi- „nett ſchicken? Was ſoll ich ihm rathen? Gewiß, „das weiß ich nicht; ſo viel weiß ich, daß ich lieber „Richter, als Beklagter, ſeyn moͤchte. „Wenn man das Wort beſtechen im weit- „laͤuftigern Verſtande, und zwar dafuͤr annimmt, „daß es eine Kunſt ſey, durch welche der Klaͤger „oder der Beklagte ſich der herrſchenden Leiden- „ſchaften des Richters unmittelbar, oder durch „andre Penſeen dergeſtalt zu bemaͤchtigen weiß, „daß er ihn auf ſeine Seite ziehen, und den Pro- „ceß nach ſeinen Abſichten herum leiten, und zu „Ende bringen kann, wenn es, ſage ich, in die- „ſem Verſtande genommen wird: ſo kann man „gar wohl behaupten, daß ein Richter auch durch „die Furcht beſtochen werden koͤnne. Es giebt „deren verſchiedne, welche die Welt ſo wohl ken- „nen, daß ſie ſich mehr vor ihren Obern, als vor „ihrem Gewiſſen fuͤrchten. Viele muͤſſen ſtumm „ſeyn, um bittre Vorwuͤrfe zu vermeiden; noch „andre ſind in ihrer Wirthſchaft gewiſſen Zufaͤllen „ausgeſetzt, welche ſie ſehr zahm machen. Von „einer jeden dieſer Arten will ich eine Probe geben; „ein billiger Client wird ſie nicht misbrauchen, „und kann er es ganz vermeiden, ſie gar nicht ge- „brauchen.„ Mein G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/127
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/127>, abgerufen am 23.11.2024.