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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
mich allein ließ, und im Fortgehen mit einer hei-
schern Stimme einige Verse sang, von denen ich wei-
ter nichts, als diese Worte, verstehen konnte:

Je quitterai le jour
Plautot, que mon amour,
Quand j' aime, quand j' aime.

Jch sahe, daß er einige Schritte von mir eine glei-
che Dienstfertigkeit einer andern Seele, unter vielen
Küssen und Umarmungen, zuschwur, welche er viel-
leicht eben so wenig kannte, als mich. Wenigstens
verließ er sie eben so geschwind wieder, und ich konn-
te daraus schließen, daß seine ganze Beschäfftigung
nur in Freundschaftsversicherungen bestünde.

Dieser Vorfall hatte mich noch zweifelhafter ge-
macht, als ich anfangs gewesen war. Jch hatte das
Herz nicht, mich nach demjenigen, was ich sah, zu
erkundigen; aus Furcht, ich möchte noch einmal in
die dienstfertigen Hände eines jungen Herrn fallen.
Jn dieser Ungewißheit erblickte ich, nicht weit von
mir, eine Seele, welche auf alles dasjenige aufmerk-
sam zu seyn schien, was in dieser Gegend vorgieng.
Jch merkte deutlich an ihr, daß sie noch etwas wich-
tigers, als eine bloße Neugierigkeit, aufmerksam
machte. Zuweilen schienen ihre Mienen ernsthaft
zu seyn, zuweilen aber verriethen ihre Blicke etwas
spottendes, und, wenn sie auch lachte, so geschah
dieses doch mit einer so edlen Art, daß man die deut-
lichsten Spuren von Mitleid und Liebe dabey wahr-
nahm. Jch würde sie um deswillen für niemand
anders, als für die abgeschiedne Seele des englischen
Zuschauers gehalten haben, wenn sie nur ein kurzes

und

Ein Traum
mich allein ließ, und im Fortgehen mit einer hei-
ſchern Stimme einige Verſe ſang, von denen ich wei-
ter nichts, als dieſe Worte, verſtehen konnte:

Je quitterai le jour
Plûtôt, que mon amour,
Quand j’ aime, quand j’ aime.

Jch ſahe, daß er einige Schritte von mir eine glei-
che Dienſtfertigkeit einer andern Seele, unter vielen
Kuͤſſen und Umarmungen, zuſchwur, welche er viel-
leicht eben ſo wenig kannte, als mich. Wenigſtens
verließ er ſie eben ſo geſchwind wieder, und ich konn-
te daraus ſchließen, daß ſeine ganze Beſchaͤfftigung
nur in Freundſchaftsverſicherungen beſtuͤnde.

Dieſer Vorfall hatte mich noch zweifelhafter ge-
macht, als ich anfangs geweſen war. Jch hatte das
Herz nicht, mich nach demjenigen, was ich ſah, zu
erkundigen; aus Furcht, ich moͤchte noch einmal in
die dienſtfertigen Haͤnde eines jungen Herrn fallen.
Jn dieſer Ungewißheit erblickte ich, nicht weit von
mir, eine Seele, welche auf alles dasjenige aufmerk-
ſam zu ſeyn ſchien, was in dieſer Gegend vorgieng.
Jch merkte deutlich an ihr, daß ſie noch etwas wich-
tigers, als eine bloße Neugierigkeit, aufmerkſam
machte. Zuweilen ſchienen ihre Mienen ernſthaft
zu ſeyn, zuweilen aber verriethen ihre Blicke etwas
ſpottendes, und, wenn ſie auch lachte, ſo geſchah
dieſes doch mit einer ſo edlen Art, daß man die deut-
lichſten Spuren von Mitleid und Liebe dabey wahr-
nahm. Jch wuͤrde ſie um deswillen fuͤr niemand
anders, als fuͤr die abgeſchiedne Seele des engliſchen
Zuſchauers gehalten haben, wenn ſie nur ein kurzes

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[26/0026] Ein Traum mich allein ließ, und im Fortgehen mit einer hei- ſchern Stimme einige Verſe ſang, von denen ich wei- ter nichts, als dieſe Worte, verſtehen konnte: Je quitterai le jour Plûtôt, que mon amour, Quand j’ aime, quand j’ aime. Jch ſahe, daß er einige Schritte von mir eine glei- che Dienſtfertigkeit einer andern Seele, unter vielen Kuͤſſen und Umarmungen, zuſchwur, welche er viel- leicht eben ſo wenig kannte, als mich. Wenigſtens verließ er ſie eben ſo geſchwind wieder, und ich konn- te daraus ſchließen, daß ſeine ganze Beſchaͤfftigung nur in Freundſchaftsverſicherungen beſtuͤnde. Dieſer Vorfall hatte mich noch zweifelhafter ge- macht, als ich anfangs geweſen war. Jch hatte das Herz nicht, mich nach demjenigen, was ich ſah, zu erkundigen; aus Furcht, ich moͤchte noch einmal in die dienſtfertigen Haͤnde eines jungen Herrn fallen. Jn dieſer Ungewißheit erblickte ich, nicht weit von mir, eine Seele, welche auf alles dasjenige aufmerk- ſam zu ſeyn ſchien, was in dieſer Gegend vorgieng. Jch merkte deutlich an ihr, daß ſie noch etwas wich- tigers, als eine bloße Neugierigkeit, aufmerkſam machte. Zuweilen ſchienen ihre Mienen ernſthaft zu ſeyn, zuweilen aber verriethen ihre Blicke etwas ſpottendes, und, wenn ſie auch lachte, ſo geſchah dieſes doch mit einer ſo edlen Art, daß man die deut- lichſten Spuren von Mitleid und Liebe dabey wahr- nahm. Jch wuͤrde ſie um deswillen fuͤr niemand anders, als fuͤr die abgeſchiedne Seele des engliſchen Zuſchauers gehalten haben, wenn ſie nur ein kurzes und

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/26>, abgerufen am 24.11.2024.