Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von den abgeschiedenen Seelen.
mer in Ritzebüttel, wenn er in seinem Leben zum
erstenmale auf die Börse nach Hamburg kömmt.
Eine so zahlreiche Versammlung von Geistern hätte
ich mir an diesem Orte nimmermehr vermuthet.
Alle ihre Beschäfftigungen kamen mir fremd und
ungewöhnlich vor. Jch war neugierig, und doch un-
entschlossen. Jch wußte nicht, wo ich mich zuerst hin-
wenden sollte, und gleichwohl war ich noch nicht be-
herzt genug, mich zu einer von diesen abgeschiednen
Seelen zu nahen, und sie um dasjenige zu befragen,
was mir zweifelhaft war.

Eine sehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen
der jungen Herren seyn mögen, merkte diese meine
Befremdung am ersten. Wir kannten beide ein-
ander nicht; aber sie war so gefällig, daß sie auf
mich zuflog, mich tausendmal auf das vertrauteste
umarmte, und sagte: "Ganzunterthäniger Diener,
"mein allerliebster Herr Bruder! Jch bin erfreut,
"daß ich die Ehre haben soll, Sie hier zu finden.
"Kann ich Jhnen in etwas dienen, so bitte ich ganz
"gehorsamst, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt
"soll mir angenehmer seyn, als wenn ich im Stande
"bin, Jhnen eine Gefälligkeit zu erzeigen. Sie kön-
"nen Sich sicher auf meine Verschwiegenheit und
"Bereitwilligkeit verlassen. Nehmen Sie es nicht
"für ein bloßes Compliment an! Es ist, hohl mich
"der Teufel! mein Ernst; ich stehe allemal zu De-
"ro Befehl." Er umhalste mich von neuem, und
ich war eben im Begriffe ein so liebreiches Anerbie-
ten mit vielem Danke anzunehmen, als er sich auf
dem Absatze herumdrehte, mit dem Munde pfiff,

mich
B 5

von den abgeſchiedenen Seelen.
mer in Ritzebuͤttel, wenn er in ſeinem Leben zum
erſtenmale auf die Boͤrſe nach Hamburg koͤmmt.
Eine ſo zahlreiche Verſammlung von Geiſtern haͤtte
ich mir an dieſem Orte nimmermehr vermuthet.
Alle ihre Beſchaͤfftigungen kamen mir fremd und
ungewoͤhnlich vor. Jch war neugierig, und doch un-
entſchloſſen. Jch wußte nicht, wo ich mich zuerſt hin-
wenden ſollte, und gleichwohl war ich noch nicht be-
herzt genug, mich zu einer von dieſen abgeſchiednen
Seelen zu nahen, und ſie um dasjenige zu befragen,
was mir zweifelhaft war.

Eine ſehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen
der jungen Herren ſeyn moͤgen, merkte dieſe meine
Befremdung am erſten. Wir kannten beide ein-
ander nicht; aber ſie war ſo gefaͤllig, daß ſie auf
mich zuflog, mich tauſendmal auf das vertrauteſte
umarmte, und ſagte: “Ganzunterthaͤniger Diener,
„mein allerliebſter Herr Bruder! Jch bin erfreut,
„daß ich die Ehre haben ſoll, Sie hier zu finden.
„Kann ich Jhnen in etwas dienen, ſo bitte ich ganz
„gehorſamſt, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt
„ſoll mir angenehmer ſeyn, als wenn ich im Stande
„bin, Jhnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Sie koͤn-
„nen Sich ſicher auf meine Verſchwiegenheit und
„Bereitwilligkeit verlaſſen. Nehmen Sie es nicht
„fuͤr ein bloßes Compliment an! Es iſt, hohl mich
„der Teufel! mein Ernſt; ich ſtehe allemal zu De-
„ro Befehl.„ Er umhalſte mich von neuem, und
ich war eben im Begriffe ein ſo liebreiches Anerbie-
ten mit vielem Danke anzunehmen, als er ſich auf
dem Abſatze herumdrehte, mit dem Munde pfiff,

mich
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von den abge&#x017F;chiedenen Seelen.</hi></fw><lb/>
mer in Ritzebu&#x0364;ttel, wenn er in &#x017F;einem Leben zum<lb/>
er&#x017F;tenmale auf die Bo&#x0364;r&#x017F;e nach Hamburg ko&#x0364;mmt.<lb/>
Eine &#x017F;o zahlreiche Ver&#x017F;ammlung von Gei&#x017F;tern ha&#x0364;tte<lb/>
ich mir an die&#x017F;em Orte nimmermehr vermuthet.<lb/>
Alle ihre Be&#x017F;cha&#x0364;fftigungen kamen mir fremd und<lb/>
ungewo&#x0364;hnlich vor. Jch war neugierig, und doch un-<lb/>
ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Jch wußte nicht, wo ich mich zuer&#x017F;t hin-<lb/>
wenden &#x017F;ollte, und gleichwohl war ich noch nicht be-<lb/>
herzt genug, mich zu einer von die&#x017F;en abge&#x017F;chiednen<lb/>
Seelen zu nahen, und &#x017F;ie um dasjenige zu befragen,<lb/>
was mir zweifelhaft war.</p><lb/>
        <p>Eine &#x017F;ehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen<lb/>
der jungen Herren &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, merkte die&#x017F;e meine<lb/>
Befremdung am er&#x017F;ten. Wir kannten beide ein-<lb/>
ander nicht; aber &#x017F;ie war &#x017F;o gefa&#x0364;llig, daß &#x017F;ie auf<lb/>
mich zuflog, mich tau&#x017F;endmal auf das vertraute&#x017F;te<lb/>
umarmte, und &#x017F;agte: &#x201C;Ganzuntertha&#x0364;niger Diener,<lb/>
&#x201E;mein allerlieb&#x017F;ter Herr Bruder! Jch bin erfreut,<lb/>
&#x201E;daß ich die Ehre haben &#x017F;oll, Sie hier zu finden.<lb/>
&#x201E;Kann ich Jhnen in etwas dienen, &#x017F;o bitte ich ganz<lb/>
&#x201E;gehor&#x017F;am&#x017F;t, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt<lb/>
&#x201E;&#x017F;oll mir angenehmer &#x017F;eyn, als wenn ich im Stande<lb/>
&#x201E;bin, Jhnen eine Gefa&#x0364;lligkeit zu erzeigen. Sie ko&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;nen Sich &#x017F;icher auf meine Ver&#x017F;chwiegenheit und<lb/>
&#x201E;Bereitwilligkeit verla&#x017F;&#x017F;en. Nehmen Sie es nicht<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;r ein bloßes Compliment an! Es i&#x017F;t, hohl mich<lb/>
&#x201E;der Teufel! mein Ern&#x017F;t; ich &#x017F;tehe allemal zu De-<lb/>
&#x201E;ro Befehl.&#x201E; Er umhal&#x017F;te mich von neuem, und<lb/>
ich war eben im Begriffe ein &#x017F;o liebreiches Anerbie-<lb/>
ten mit vielem Danke anzunehmen, als er &#x017F;ich auf<lb/>
dem Ab&#x017F;atze herumdrehte, mit dem Munde pfiff,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">mich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0025] von den abgeſchiedenen Seelen. mer in Ritzebuͤttel, wenn er in ſeinem Leben zum erſtenmale auf die Boͤrſe nach Hamburg koͤmmt. Eine ſo zahlreiche Verſammlung von Geiſtern haͤtte ich mir an dieſem Orte nimmermehr vermuthet. Alle ihre Beſchaͤfftigungen kamen mir fremd und ungewoͤhnlich vor. Jch war neugierig, und doch un- entſchloſſen. Jch wußte nicht, wo ich mich zuerſt hin- wenden ſollte, und gleichwohl war ich noch nicht be- herzt genug, mich zu einer von dieſen abgeſchiednen Seelen zu nahen, und ſie um dasjenige zu befragen, was mir zweifelhaft war. Eine ſehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen der jungen Herren ſeyn moͤgen, merkte dieſe meine Befremdung am erſten. Wir kannten beide ein- ander nicht; aber ſie war ſo gefaͤllig, daß ſie auf mich zuflog, mich tauſendmal auf das vertrauteſte umarmte, und ſagte: “Ganzunterthaͤniger Diener, „mein allerliebſter Herr Bruder! Jch bin erfreut, „daß ich die Ehre haben ſoll, Sie hier zu finden. „Kann ich Jhnen in etwas dienen, ſo bitte ich ganz „gehorſamſt, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt „ſoll mir angenehmer ſeyn, als wenn ich im Stande „bin, Jhnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Sie koͤn- „nen Sich ſicher auf meine Verſchwiegenheit und „Bereitwilligkeit verlaſſen. Nehmen Sie es nicht „fuͤr ein bloßes Compliment an! Es iſt, hohl mich „der Teufel! mein Ernſt; ich ſtehe allemal zu De- „ro Befehl.„ Er umhalſte mich von neuem, und ich war eben im Begriffe ein ſo liebreiches Anerbie- ten mit vielem Danke anzunehmen, als er ſich auf dem Abſatze herumdrehte, mit dem Munde pfiff, mich B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/25
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/25>, abgerufen am 24.11.2024.