Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Traum
zeitige Absterben ihres Herrn Vetters empfunden,
und diese waren aus Dankbarkeit so bescheiden, daß
sie sich unter dem Flore versteckten, um ihn nicht
öffentlich zu widerlegen. Er schrieb ihnen verschied-
ne andächtige Recepte vor, welche bey Stillung
der Thränen sehr probat seyn sollten, das hätte der
ehrliche Mann wohl ersparen können! Jch hörte ihm
aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich mach-
te er es gar zu arg. Er schwur, und er schwur mit
einer solchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Ge-
sichte ward; er schwur, sage ich, daß ich zwar ein gros-
ser Gelehrter, aber noch ein größerer Menschen-
freund, ein starker Beförderer der schönen Künste
und Wissenschaften, aber noch ein weit stärkerer Ver-
theidiger der Wittwen und Waisen gewesen wäre.
Meine vergnügte und beglückte Ehe sey eine sicht-
bare Vergeltung dieser seltnen Tugenden gewe-
sen. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer
Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der wei-
land Hochedelgebornen Frauen, Frauen - - - -
- - Himmel; wie erschrack ich, als ich hörte, daß
er meine verstorbne Frau citirte! Jch floh, ohne
mich umzusehen. Jch floh voll Angst zur Kirche
hinaus.

Aus Furcht, die hochedelgebornen Gebeine
möchten mir nachkommen, schwang ich mich in die
Höhe, und erblickte daselbst eine große Menge abge-
schiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils
bekannt waren. Dieser unvermuthete Anblick setz-
te mich in Erstaunen. Jch machte vor Verwun-
derung ein paar so große Augen, wie ein Würzkrä-

mer

Ein Traum
zeitige Abſterben ihres Herrn Vetters empfunden,
und dieſe waren aus Dankbarkeit ſo beſcheiden, daß
ſie ſich unter dem Flore verſteckten, um ihn nicht
oͤffentlich zu widerlegen. Er ſchrieb ihnen verſchied-
ne andaͤchtige Recepte vor, welche bey Stillung
der Thraͤnen ſehr probat ſeyn ſollten, das haͤtte der
ehrliche Mann wohl erſparen koͤnnen! Jch hoͤrte ihm
aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich mach-
te er es gar zu arg. Er ſchwur, und er ſchwur mit
einer ſolchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Ge-
ſichte ward; er ſchwur, ſage ich, daß ich zwar ein groſ-
ſer Gelehrter, aber noch ein groͤßerer Menſchen-
freund, ein ſtarker Befoͤrderer der ſchoͤnen Kuͤnſte
und Wiſſenſchaften, aber noch ein weit ſtaͤrkerer Ver-
theidiger der Wittwen und Waiſen geweſen waͤre.
Meine vergnuͤgte und begluͤckte Ehe ſey eine ſicht-
bare Vergeltung dieſer ſeltnen Tugenden gewe-
ſen. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer
Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der wei-
land Hochedelgebornen Frauen, Frauen ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ Himmel; wie erſchrack ich, als ich hoͤrte, daß
er meine verſtorbne Frau citirte! Jch floh, ohne
mich umzuſehen. Jch floh voll Angſt zur Kirche
hinaus.

Aus Furcht, die hochedelgebornen Gebeine
moͤchten mir nachkommen, ſchwang ich mich in die
Hoͤhe, und erblickte daſelbſt eine große Menge abge-
ſchiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils
bekannt waren. Dieſer unvermuthete Anblick ſetz-
te mich in Erſtaunen. Jch machte vor Verwun-
derung ein paar ſo große Augen, wie ein Wuͤrzkraͤ-

mer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0024" n="24"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ein Traum</hi></fw><lb/>
zeitige Ab&#x017F;terben ihres Herrn Vetters empfunden,<lb/>
und die&#x017F;e waren aus Dankbarkeit &#x017F;o be&#x017F;cheiden, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich unter dem Flore ver&#x017F;teckten, um ihn nicht<lb/>
o&#x0364;ffentlich zu widerlegen. Er &#x017F;chrieb ihnen ver&#x017F;chied-<lb/>
ne anda&#x0364;chtige Recepte vor, welche bey Stillung<lb/>
der Thra&#x0364;nen &#x017F;ehr probat &#x017F;eyn &#x017F;ollten, das ha&#x0364;tte der<lb/>
ehrliche Mann wohl er&#x017F;paren ko&#x0364;nnen! Jch ho&#x0364;rte ihm<lb/>
aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich mach-<lb/>
te er es gar zu arg. Er &#x017F;chwur, und er &#x017F;chwur mit<lb/>
einer &#x017F;olchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Ge-<lb/>
&#x017F;ichte ward; er &#x017F;chwur, &#x017F;age ich, daß ich zwar ein gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Gelehrter, aber noch ein gro&#x0364;ßerer Men&#x017F;chen-<lb/>
freund, ein &#x017F;tarker Befo&#x0364;rderer der &#x017F;cho&#x0364;nen Ku&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, aber noch ein weit &#x017F;ta&#x0364;rkerer Ver-<lb/>
theidiger der Wittwen und Wai&#x017F;en gewe&#x017F;en wa&#x0364;re.<lb/>
Meine vergnu&#x0364;gte und beglu&#x0364;ckte Ehe &#x017F;ey eine &#x017F;icht-<lb/>
bare Vergeltung die&#x017F;er &#x017F;eltnen Tugenden gewe-<lb/>
&#x017F;en. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer<lb/>
Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der wei-<lb/>
land Hochedelgebornen Frauen, Frauen &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012;<lb/>
&#x2012; &#x2012; Himmel; wie er&#x017F;chrack ich, als ich ho&#x0364;rte, daß<lb/>
er meine ver&#x017F;torbne Frau citirte! Jch floh, ohne<lb/>
mich umzu&#x017F;ehen. Jch floh voll Ang&#x017F;t zur Kirche<lb/>
hinaus.</p><lb/>
        <p>Aus Furcht, die hochedelgebornen Gebeine<lb/>
mo&#x0364;chten mir nachkommen, &#x017F;chwang ich mich in die<lb/>
Ho&#x0364;he, und erblickte da&#x017F;elb&#x017F;t eine große Menge abge-<lb/>
&#x017F;chiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils<lb/>
bekannt waren. Die&#x017F;er unvermuthete Anblick &#x017F;etz-<lb/>
te mich in Er&#x017F;taunen. Jch machte vor Verwun-<lb/>
derung ein paar &#x017F;o große Augen, wie ein Wu&#x0364;rzkra&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mer</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0024] Ein Traum zeitige Abſterben ihres Herrn Vetters empfunden, und dieſe waren aus Dankbarkeit ſo beſcheiden, daß ſie ſich unter dem Flore verſteckten, um ihn nicht oͤffentlich zu widerlegen. Er ſchrieb ihnen verſchied- ne andaͤchtige Recepte vor, welche bey Stillung der Thraͤnen ſehr probat ſeyn ſollten, das haͤtte der ehrliche Mann wohl erſparen koͤnnen! Jch hoͤrte ihm aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich mach- te er es gar zu arg. Er ſchwur, und er ſchwur mit einer ſolchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Ge- ſichte ward; er ſchwur, ſage ich, daß ich zwar ein groſ- ſer Gelehrter, aber noch ein groͤßerer Menſchen- freund, ein ſtarker Befoͤrderer der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, aber noch ein weit ſtaͤrkerer Ver- theidiger der Wittwen und Waiſen geweſen waͤre. Meine vergnuͤgte und begluͤckte Ehe ſey eine ſicht- bare Vergeltung dieſer ſeltnen Tugenden gewe- ſen. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der wei- land Hochedelgebornen Frauen, Frauen ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Himmel; wie erſchrack ich, als ich hoͤrte, daß er meine verſtorbne Frau citirte! Jch floh, ohne mich umzuſehen. Jch floh voll Angſt zur Kirche hinaus. Aus Furcht, die hochedelgebornen Gebeine moͤchten mir nachkommen, ſchwang ich mich in die Hoͤhe, und erblickte daſelbſt eine große Menge abge- ſchiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils bekannt waren. Dieſer unvermuthete Anblick ſetz- te mich in Erſtaunen. Jch machte vor Verwun- derung ein paar ſo große Augen, wie ein Wuͤrzkraͤ- mer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/24
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/24>, abgerufen am 24.11.2024.