Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite
Beytrag


Fabel.

Eine Fabel ist, ordentlicher Weise, und beson-
ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein
solches Gedicht, über welchem der Name eines
Thiers, oder sonst eines Dinges steht, das noch
etwas dümmer ist, als der Verfasser. Wir
würden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei-
ne poetische Wahrscheinlichkeit, oder gar eine Sit-
tenlehre darinnen suchen wollten. Die Ausfüh-
rung der Fabel mag noch so trocken, noch so abge-
schmackt, noch so undeutlich seyn; so ist doch das,
was ein solcher Fabeldichter im Namen seines Thiers
sagt, für eine unvernünftige Bestie noch allemal
klug genug gesprochen. Er schreibt: Der - - eine
Fabel. Und siehe, so ist es eine Fabel! Mehr ge-
hört dazu nicht.

Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern
Verstande, und zwar von solchen Erzählungen
gebraucht, welche zwar wöglich, aber nicht
wahrscheinlich sind.
Daß ein Frauenzimmer
sich über den vermeynten Tod ihres Liebhabers der-
gestalt betrübt, daß sie sich selbst ums Leben bringt;
und daß es Liebhaber giebt, welche über den Ver-
lust ihrer Schönen so untröstbar sind, daß sie in
ganzem Ernste Anstalt machen, sich zu erstechen:

Das
Beytrag


Fabel.

Eine Fabel iſt, ordentlicher Weiſe, und beſon-
ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein
ſolches Gedicht, uͤber welchem der Name eines
Thiers, oder ſonſt eines Dinges ſteht, das noch
etwas duͤmmer iſt, als der Verfaſſer. Wir
wuͤrden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei-
ne poetiſche Wahrſcheinlichkeit, oder gar eine Sit-
tenlehre darinnen ſuchen wollten. Die Ausfuͤh-
rung der Fabel mag noch ſo trocken, noch ſo abge-
ſchmackt, noch ſo undeutlich ſeyn; ſo iſt doch das,
was ein ſolcher Fabeldichter im Namen ſeines Thiers
ſagt, fuͤr eine unvernuͤnftige Beſtie noch allemal
klug genug geſprochen. Er ſchreibt: Der ‒ ‒ eine
Fabel. Und ſiehe, ſo iſt es eine Fabel! Mehr ge-
hoͤrt dazu nicht.

Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern
Verſtande, und zwar von ſolchen Erzaͤhlungen
gebraucht, welche zwar woͤglich, aber nicht
wahrſcheinlich ſind.
Daß ein Frauenzimmer
ſich uͤber den vermeynten Tod ihres Liebhabers der-
geſtalt betruͤbt, daß ſie ſich ſelbſt ums Leben bringt;
und daß es Liebhaber giebt, welche uͤber den Ver-
luſt ihrer Schoͤnen ſo untroͤſtbar ſind, daß ſie in
ganzem Ernſte Anſtalt machen, ſich zu erſtechen:

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0216" n="216"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Beytrag</hi> </hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Fabel.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>ine Fabel i&#x017F;t, ordentlicher Wei&#x017F;e, und be&#x017F;on-<lb/>
ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein<lb/>
&#x017F;olches Gedicht, u&#x0364;ber welchem der Name eines<lb/>
Thiers, oder &#x017F;on&#x017F;t eines Dinges &#x017F;teht, das noch<lb/>
etwas du&#x0364;mmer i&#x017F;t, als der Verfa&#x017F;&#x017F;er. Wir<lb/>
wu&#x0364;rden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei-<lb/>
ne poeti&#x017F;che Wahr&#x017F;cheinlichkeit, oder gar eine Sit-<lb/>
tenlehre darinnen &#x017F;uchen wollten. Die Ausfu&#x0364;h-<lb/>
rung der Fabel mag noch &#x017F;o trocken, noch &#x017F;o abge-<lb/>
&#x017F;chmackt, noch &#x017F;o undeutlich &#x017F;eyn; &#x017F;o i&#x017F;t doch das,<lb/>
was ein &#x017F;olcher Fabeldichter im Namen &#x017F;eines Thiers<lb/>
&#x017F;agt, fu&#x0364;r eine unvernu&#x0364;nftige Be&#x017F;tie noch allemal<lb/>
klug genug ge&#x017F;prochen. Er &#x017F;chreibt: Der &#x2012; &#x2012; eine<lb/>
Fabel. Und &#x017F;iehe, &#x017F;o i&#x017F;t es eine Fabel! Mehr ge-<lb/>
ho&#x0364;rt dazu nicht.</p><lb/>
          <p>Das Wort, <hi rendition="#fr">Fabel,</hi> wird noch in einem andern<lb/>
Ver&#x017F;tande, und zwar von &#x017F;olchen <hi rendition="#fr">Erza&#x0364;hlungen</hi><lb/>
gebraucht, welche <hi rendition="#fr">zwar wo&#x0364;glich, aber nicht<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ind.</hi> Daß ein Frauenzimmer<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber den vermeynten Tod ihres Liebhabers der-<lb/>
ge&#x017F;talt betru&#x0364;bt, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ums Leben bringt;<lb/>
und daß es Liebhaber giebt, welche u&#x0364;ber den Ver-<lb/>
lu&#x017F;t ihrer Scho&#x0364;nen &#x017F;o untro&#x0364;&#x017F;tbar &#x017F;ind, daß &#x017F;ie in<lb/>
ganzem Ern&#x017F;te An&#x017F;talt machen, &#x017F;ich zu er&#x017F;techen:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0216] Beytrag Fabel. Eine Fabel iſt, ordentlicher Weiſe, und beſon- ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein ſolches Gedicht, uͤber welchem der Name eines Thiers, oder ſonſt eines Dinges ſteht, das noch etwas duͤmmer iſt, als der Verfaſſer. Wir wuͤrden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei- ne poetiſche Wahrſcheinlichkeit, oder gar eine Sit- tenlehre darinnen ſuchen wollten. Die Ausfuͤh- rung der Fabel mag noch ſo trocken, noch ſo abge- ſchmackt, noch ſo undeutlich ſeyn; ſo iſt doch das, was ein ſolcher Fabeldichter im Namen ſeines Thiers ſagt, fuͤr eine unvernuͤnftige Beſtie noch allemal klug genug geſprochen. Er ſchreibt: Der ‒ ‒ eine Fabel. Und ſiehe, ſo iſt es eine Fabel! Mehr ge- hoͤrt dazu nicht. Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern Verſtande, und zwar von ſolchen Erzaͤhlungen gebraucht, welche zwar woͤglich, aber nicht wahrſcheinlich ſind. Daß ein Frauenzimmer ſich uͤber den vermeynten Tod ihres Liebhabers der- geſtalt betruͤbt, daß ſie ſich ſelbſt ums Leben bringt; und daß es Liebhaber giebt, welche uͤber den Ver- luſt ihrer Schoͤnen ſo untroͤſtbar ſind, daß ſie in ganzem Ernſte Anſtalt machen, ſich zu erſtechen: Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/216
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/216>, abgerufen am 23.11.2024.