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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
verfallnen Gemäuer des alten Latiens sich verkrie-
chen, oder vielleicht gar in dem gelehrten Schutte
Griechenlands wühlen sollte, um ihren edeln Hun-
ger nach Antiquitäten zu stillen. Die Seele des
kleinen Junkers mit rothen Absätzen, welcher dort
am Markte wohnt, wird man gewiß nirgends an-
ders antreffen, als in den Thuillerien zu Paris;
es müßte denn seyn, daß ihn der Wohlstand nöthig-
te, nach Versailles zu eilen, um den Könige früh-
morgens beym Aufstehen das Hemde zu reichen;
denn eben dieses ist dasjenige, was er sich itzt am
meisten wünscht, und wozu er nach dem Urtheile der
vernünftigsten Leute sich am besten schickt. Soll-
ten also die Seelen der Ausländer bey uns nicht eben
so wohl etwas finden, welches sie neugierig machte,
hierher zu kommen? Jch zweifle gar nicht dran.
Burmanns Seele, die Seele des Bentley, die ver-
ketzernde Seele des Jurieu werden in Deutschland
an mehr als einem Orte die angenehmste Beschäff-
tigung und hundert theure Mitglieder der gelehrten
Welt finden, welche ihnen den Rang streitig zu ma-
chen scheinen. Vielleicht ist Addison mehr als ein-
mal auf meiner Studierstube gewesen, um zu sehen,
wie sich ein Deutscher geberdet, wenn er ein Chro-
nostichon macht. Sollte es wohl mit den abge-
schiednen Seelen der Franzosen anders beschaffen
seyn? Sie mögen uns gleich hundertmal Verstand
und Witz absprechen; darinnen sind sie doch einig,
daß unser Brod nahrhaft ist, und ie mehr sie auf
uns lästern, desto dienstfertiger sind wir, sie zu er-
nähren, so, wie ein Papagoy bloß dadurch das

Futter

Ein Traum
verfallnen Gemaͤuer des alten Latiens ſich verkrie-
chen, oder vielleicht gar in dem gelehrten Schutte
Griechenlands wuͤhlen ſollte, um ihren edeln Hun-
ger nach Antiquitaͤten zu ſtillen. Die Seele des
kleinen Junkers mit rothen Abſaͤtzen, welcher dort
am Markte wohnt, wird man gewiß nirgends an-
ders antreffen, als in den Thuillerien zu Paris;
es muͤßte denn ſeyn, daß ihn der Wohlſtand noͤthig-
te, nach Verſailles zu eilen, um den Koͤnige fruͤh-
morgens beym Aufſtehen das Hemde zu reichen;
denn eben dieſes iſt dasjenige, was er ſich itzt am
meiſten wuͤnſcht, und wozu er nach dem Urtheile der
vernuͤnftigſten Leute ſich am beſten ſchickt. Soll-
ten alſo die Seelen der Auslaͤnder bey uns nicht eben
ſo wohl etwas finden, welches ſie neugierig machte,
hierher zu kommen? Jch zweifle gar nicht dran.
Burmanns Seele, die Seele des Bentley, die ver-
ketzernde Seele des Jurieu werden in Deutſchland
an mehr als einem Orte die angenehmſte Beſchaͤff-
tigung und hundert theure Mitglieder der gelehrten
Welt finden, welche ihnen den Rang ſtreitig zu ma-
chen ſcheinen. Vielleicht iſt Addiſon mehr als ein-
mal auf meiner Studierſtube geweſen, um zu ſehen,
wie ſich ein Deutſcher geberdet, wenn er ein Chro-
noſtichon macht. Sollte es wohl mit den abge-
ſchiednen Seelen der Franzoſen anders beſchaffen
ſeyn? Sie moͤgen uns gleich hundertmal Verſtand
und Witz abſprechen; darinnen ſind ſie doch einig,
daß unſer Brod nahrhaft iſt, und ie mehr ſie auf
uns laͤſtern, deſto dienſtfertiger ſind wir, ſie zu er-
naͤhren, ſo, wie ein Papagoy bloß dadurch das

Futter
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[16/0016] Ein Traum verfallnen Gemaͤuer des alten Latiens ſich verkrie- chen, oder vielleicht gar in dem gelehrten Schutte Griechenlands wuͤhlen ſollte, um ihren edeln Hun- ger nach Antiquitaͤten zu ſtillen. Die Seele des kleinen Junkers mit rothen Abſaͤtzen, welcher dort am Markte wohnt, wird man gewiß nirgends an- ders antreffen, als in den Thuillerien zu Paris; es muͤßte denn ſeyn, daß ihn der Wohlſtand noͤthig- te, nach Verſailles zu eilen, um den Koͤnige fruͤh- morgens beym Aufſtehen das Hemde zu reichen; denn eben dieſes iſt dasjenige, was er ſich itzt am meiſten wuͤnſcht, und wozu er nach dem Urtheile der vernuͤnftigſten Leute ſich am beſten ſchickt. Soll- ten alſo die Seelen der Auslaͤnder bey uns nicht eben ſo wohl etwas finden, welches ſie neugierig machte, hierher zu kommen? Jch zweifle gar nicht dran. Burmanns Seele, die Seele des Bentley, die ver- ketzernde Seele des Jurieu werden in Deutſchland an mehr als einem Orte die angenehmſte Beſchaͤff- tigung und hundert theure Mitglieder der gelehrten Welt finden, welche ihnen den Rang ſtreitig zu ma- chen ſcheinen. Vielleicht iſt Addiſon mehr als ein- mal auf meiner Studierſtube geweſen, um zu ſehen, wie ſich ein Deutſcher geberdet, wenn er ein Chro- noſtichon macht. Sollte es wohl mit den abge- ſchiednen Seelen der Franzoſen anders beſchaffen ſeyn? Sie moͤgen uns gleich hundertmal Verſtand und Witz abſprechen; darinnen ſind ſie doch einig, daß unſer Brod nahrhaft iſt, und ie mehr ſie auf uns laͤſtern, deſto dienſtfertiger ſind wir, ſie zu er- naͤhren, ſo, wie ein Papagoy bloß dadurch das Futter

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/16>, abgerufen am 25.11.2024.