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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Vorbericht.
dazu nöthigen, daß sie sich an einem Auge begnügen
lasse.

Der Herr Professor mag sprechen, oder Reden
halten, oder schreiben, so will er citiren. Er läßt
von dem Fürsten der Philosophen sagen, daß der
Wein trunken macht, und von dem größten Redner
der Römer, daß das Wasser denselben mildere.
Wenn er sich in die Moral einläßt, so ists nicht er,
sondern der göttliche Plato, welcher versichert, daß
die Tugend liebenswürdig ist, und das Laster gehaßt
zu werden verdient, oder daß aus dem einen so wohl,
als aus dem andern, Fertigkeiten entstehen. Die
gemeinsten und alltäglichsten Gedanken, und so gar
diejenigen, die er selbst noch denken kann, will er den
Alten, den Lateinern und Griechen schuldig seyn, nicht
etwan, um dem, was er gesagt hat, mehr Gewichte
zu geben, oder vielleicht mit seiner Wissenschaft sich
ein Ansehen zu machen. Nein, er will citiren.

Sie bewundern allein die Alten, mein Herr ***
und loben nur die verstorbnen Poeten; allein ich
bitte Sie, vergeben Sie mirs, mein Herr; Es ist
der Mühe nicht werth, daß man stirbt, um Jhren
Beyfall zu erhalten.

Der Herr Doctor liebt die Jnsecten; er sammlet
ihrer alle Tage mehr. Jn Europa hat niemand so schöne

Schmet-
d 3

Vorbericht.
dazu noͤthigen, daß ſie ſich an einem Auge begnuͤgen
laſſe.

Der Herr Profeſſor mag ſprechen, oder Reden
halten, oder ſchreiben, ſo will er citiren. Er laͤßt
von dem Fuͤrſten der Philoſophen ſagen, daß der
Wein trunken macht, und von dem groͤßten Redner
der Roͤmer, daß das Waſſer denſelben mildere.
Wenn er ſich in die Moral einlaͤßt, ſo iſts nicht er,
ſondern der goͤttliche Plato, welcher verſichert, daß
die Tugend liebenswuͤrdig iſt, und das Laſter gehaßt
zu werden verdient, oder daß aus dem einen ſo wohl,
als aus dem andern, Fertigkeiten entſtehen. Die
gemeinſten und alltaͤglichſten Gedanken, und ſo gar
diejenigen, die er ſelbſt noch denken kann, will er den
Alten, den Lateinern und Griechen ſchuldig ſeyn, nicht
etwan, um dem, was er geſagt hat, mehr Gewichte
zu geben, oder vielleicht mit ſeiner Wiſſenſchaft ſich
ein Anſehen zu machen. Nein, er will citiren.

Sie bewundern allein die Alten, mein Herr ***
und loben nur die verſtorbnen Poeten; allein ich
bitte Sie, vergeben Sie mirs, mein Herr; Es iſt
der Muͤhe nicht werth, daß man ſtirbt, um Jhren
Beyfall zu erhalten.

Der Herr Doctor liebt die Jnſecten; er ſammlet
ihrer alle Tage mehr. Jn Europa hat niemand ſo ſchoͤne

Schmet-
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[53/0053] Vorbericht. dazu noͤthigen, daß ſie ſich an einem Auge begnuͤgen laſſe. Der Herr Profeſſor mag ſprechen, oder Reden halten, oder ſchreiben, ſo will er citiren. Er laͤßt von dem Fuͤrſten der Philoſophen ſagen, daß der Wein trunken macht, und von dem groͤßten Redner der Roͤmer, daß das Waſſer denſelben mildere. Wenn er ſich in die Moral einlaͤßt, ſo iſts nicht er, ſondern der goͤttliche Plato, welcher verſichert, daß die Tugend liebenswuͤrdig iſt, und das Laſter gehaßt zu werden verdient, oder daß aus dem einen ſo wohl, als aus dem andern, Fertigkeiten entſtehen. Die gemeinſten und alltaͤglichſten Gedanken, und ſo gar diejenigen, die er ſelbſt noch denken kann, will er den Alten, den Lateinern und Griechen ſchuldig ſeyn, nicht etwan, um dem, was er geſagt hat, mehr Gewichte zu geben, oder vielleicht mit ſeiner Wiſſenſchaft ſich ein Anſehen zu machen. Nein, er will citiren. Sie bewundern allein die Alten, mein Herr *** und loben nur die verſtorbnen Poeten; allein ich bitte Sie, vergeben Sie mirs, mein Herr; Es iſt der Muͤhe nicht werth, daß man ſtirbt, um Jhren Beyfall zu erhalten. Der Herr Doctor liebt die Jnſecten; er ſammlet ihrer alle Tage mehr. Jn Europa hat niemand ſo ſchoͤne Schmet- d 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/53>, abgerufen am 24.11.2024.