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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Schreiben des Gratulanten
cenatinn wagen, einen Namens- oder Geburtstag,
oder ein andres Fest zu begehen, denen ich nicht auf
einem großen Regalbogen mit vieler Lebhaftigkeit er-
zähle, daß ich mit der tiefsten Ehrfurch, jedoch nicht
ohne Ursache, verharre, der unterthänigst gehorsam-
ste Autor. Jch würde mich gegen Sie, mein Herr,
nicht so aufrichtig erklären, wenn Sie nicht selbst ein
Bekenntniß von Jhrem guten Geschmacke in der Poe-
sie abgelegt hätten. Jch weis wohl, was für Poeten
auf Jhre Hochachtung einen Anspruch machen dür-
fen. Leute, welche die Poesie zu andern Dingen, als
zum gratuliren und condoliren, anwenden; Leute, de-
nen die Fundgruben der edlen Reimkunst so wenig
entdeckt sind, daß sie ihnen nicht, statt aller Wissen-
schaften, dienen können; Leute, welche das Amt, zu
wünschen, für so geringe halten, daß sie dabey noch Zeit
haben, etwas zu lernen; solche Leute, sage ich, verdie-
nen Jhre und meine Betrachtung eben so wenig, als
alle Autoren überhaupt, welche noch unter dem Zwan-
ge der Vernunft stehen. Da ich aber hievon völlig
frey bin; so würden Sie gegen Jhren Mitbruder sehr
barbarisch seyn, wenn Sie mir, bey meinen Umständen,
die ich Jhnen gleich entdecken will, Jhr Mitleiden ver-
sagen wollten. Jch finde nämlich an meinem eignen
Exempel, daß der Geschmack zu den schönen Künsten
und Wissenschaften leider in großen Verfall gerathen
ist. Es verlohnt sich beynahe nicht mehr der Mühe,
daß man den Leuten alles ersprießliche Wohlergehen
anwünscht. Jch erinnere mich der glückseligen Zeiten
noch wohl, da Braut und Bräutigam noch nicht das
Herz hatten, sich ohne unsre poetische Einseegnung zu

Bette

Schreiben des Gratulanten
cenatinn wagen, einen Namens- oder Geburtstag,
oder ein andres Feſt zu begehen, denen ich nicht auf
einem großen Regalbogen mit vieler Lebhaftigkeit er-
zaͤhle, daß ich mit der tiefſten Ehrfurch, jedoch nicht
ohne Urſache, verharre, der unterthaͤnigſt gehorſam-
ſte Autor. Jch wuͤrde mich gegen Sie, mein Herr,
nicht ſo aufrichtig erklaͤren, wenn Sie nicht ſelbſt ein
Bekenntniß von Jhrem guten Geſchmacke in der Poe-
ſie abgelegt haͤtten. Jch weis wohl, was fuͤr Poeten
auf Jhre Hochachtung einen Anſpruch machen duͤr-
fen. Leute, welche die Poeſie zu andern Dingen, als
zum gratuliren und condoliren, anwenden; Leute, de-
nen die Fundgruben der edlen Reimkunſt ſo wenig
entdeckt ſind, daß ſie ihnen nicht, ſtatt aller Wiſſen-
ſchaften, dienen koͤnnen; Leute, welche das Amt, zu
wuͤnſchen, fuͤr ſo geringe halten, daß ſie dabey noch Zeit
haben, etwas zu lernen; ſolche Leute, ſage ich, verdie-
nen Jhre und meine Betrachtung eben ſo wenig, als
alle Autoren uͤberhaupt, welche noch unter dem Zwan-
ge der Vernunft ſtehen. Da ich aber hievon voͤllig
frey bin; ſo wuͤrden Sie gegen Jhren Mitbruder ſehr
barbariſch ſeyn, wenn Sie mir, bey meinen Umſtaͤnden,
die ich Jhnen gleich entdecken will, Jhr Mitleiden ver-
ſagen wollten. Jch finde naͤmlich an meinem eignen
Exempel, daß der Geſchmack zu den ſchoͤnen Kuͤnſten
und Wiſſenſchaften leider in großen Verfall gerathen
iſt. Es verlohnt ſich beynahe nicht mehr der Muͤhe,
daß man den Leuten alles erſprießliche Wohlergehen
anwuͤnſcht. Jch erinnere mich der gluͤckſeligen Zeiten
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Herz hatten, ſich ohne unſre poetiſche Einſeegnung zu

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[198/0272] Schreiben des Gratulanten cenatinn wagen, einen Namens- oder Geburtstag, oder ein andres Feſt zu begehen, denen ich nicht auf einem großen Regalbogen mit vieler Lebhaftigkeit er- zaͤhle, daß ich mit der tiefſten Ehrfurch, jedoch nicht ohne Urſache, verharre, der unterthaͤnigſt gehorſam- ſte Autor. Jch wuͤrde mich gegen Sie, mein Herr, nicht ſo aufrichtig erklaͤren, wenn Sie nicht ſelbſt ein Bekenntniß von Jhrem guten Geſchmacke in der Poe- ſie abgelegt haͤtten. Jch weis wohl, was fuͤr Poeten auf Jhre Hochachtung einen Anſpruch machen duͤr- fen. Leute, welche die Poeſie zu andern Dingen, als zum gratuliren und condoliren, anwenden; Leute, de- nen die Fundgruben der edlen Reimkunſt ſo wenig entdeckt ſind, daß ſie ihnen nicht, ſtatt aller Wiſſen- ſchaften, dienen koͤnnen; Leute, welche das Amt, zu wuͤnſchen, fuͤr ſo geringe halten, daß ſie dabey noch Zeit haben, etwas zu lernen; ſolche Leute, ſage ich, verdie- nen Jhre und meine Betrachtung eben ſo wenig, als alle Autoren uͤberhaupt, welche noch unter dem Zwan- ge der Vernunft ſtehen. Da ich aber hievon voͤllig frey bin; ſo wuͤrden Sie gegen Jhren Mitbruder ſehr barbariſch ſeyn, wenn Sie mir, bey meinen Umſtaͤnden, die ich Jhnen gleich entdecken will, Jhr Mitleiden ver- ſagen wollten. Jch finde naͤmlich an meinem eignen Exempel, daß der Geſchmack zu den ſchoͤnen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften leider in großen Verfall gerathen iſt. Es verlohnt ſich beynahe nicht mehr der Muͤhe, daß man den Leuten alles erſprießliche Wohlergehen anwuͤnſcht. Jch erinnere mich der gluͤckſeligen Zeiten noch wohl, da Braut und Braͤutigam noch nicht das Herz hatten, ſich ohne unſre poetiſche Einſeegnung zu Bette

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/272>, abgerufen am 24.11.2024.