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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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an den Autor.
Bette zu legen. Kein Magister durfte sich unterste-
hen, mit gutem Gewissen den Ring zu tragen, wenn
er nicht wenigstens ein Dutzend gedruckte Zeugnisse
von dem Besitze der sieben freyen Künste aufzuweisen
hatte. Wir Poeten, (die Thränen treten mir in die
Augen, wenn ich daran gedenke,) wir göttlichen Poe-
ten, hatten an der Geburt, und an dem Absterben uns-
rer Nebenmenschen eben so viel Antheil, als die Heb-
ammen und Aerzte. So bald ein Kind auf die Welt
kam, so schwuren wir, so lange wir noch Athem und
Reime hatten, daß es des theuern Vaters Ebenbild,
und die Hoffnung des hohen Hauses, so wie des gan-
zen Vaterlandes wäre. Starb aber jemand, so war
keine Muse auf dem Parnasse, welche nicht mit zu
Grabe gehen mußte; denn es fehlte oftmals dem
Wohlseligen an betrübten Erben, und dem Dichter
an Gelde. Bartholus und Baldus hatten keine ruhi-
ge Stunde; denn so bald ein gelehrter Herr Candidat,
durch die weise Vorsehung seiner Mama, zum Prie-
ster der Gerechtigkeit eingeweihet wurde; So zog ich
diese graubärtigen Rechtsgelehrten aus ihrer Gruft
hervor, und ließ sie die Weisheit des jungen Herrn
Doctors bewundern. Vergeben Sie mir, mein Herr,
daß ich Sie mit Erzählung solcher Sachen aufhalte,
die Jhnen nicht fremde sind, aber doch noch bekannter
seyn würden, wenn Sie so, wie ich, unter Reimen und
Wünschen grau geworden wären. Jch bin niemals
weitläuftiger, als wenn ich auf die Glückseligkeit der
der vergangnen Zeiten zu reden komme, in welchen
kein Handwerksmann lebte, der nicht auch zugleich ein
Mäcenat war. Es geht mir, wie den alten Schönen,

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N 4

an den Autor.
Bette zu legen. Kein Magiſter durfte ſich unterſte-
hen, mit gutem Gewiſſen den Ring zu tragen, wenn
er nicht wenigſtens ein Dutzend gedruckte Zeugniſſe
von dem Beſitze der ſieben freyen Kuͤnſte aufzuweiſen
hatte. Wir Poeten, (die Thraͤnen treten mir in die
Augen, wenn ich daran gedenke,) wir goͤttlichen Poe-
ten, hatten an der Geburt, und an dem Abſterben unſ-
rer Nebenmenſchen eben ſo viel Antheil, als die Heb-
ammen und Aerzte. So bald ein Kind auf die Welt
kam, ſo ſchwuren wir, ſo lange wir noch Athem und
Reime hatten, daß es des theuern Vaters Ebenbild,
und die Hoffnung des hohen Hauſes, ſo wie des gan-
zen Vaterlandes waͤre. Starb aber jemand, ſo war
keine Muſe auf dem Parnaſſe, welche nicht mit zu
Grabe gehen mußte; denn es fehlte oftmals dem
Wohlſeligen an betruͤbten Erben, und dem Dichter
an Gelde. Bartholus und Baldus hatten keine ruhi-
ge Stunde; denn ſo bald ein gelehrter Herr Candidat,
durch die weiſe Vorſehung ſeiner Mama, zum Prie-
ſter der Gerechtigkeit eingeweihet wurde; So zog ich
dieſe graubaͤrtigen Rechtsgelehrten aus ihrer Gruft
hervor, und ließ ſie die Weisheit des jungen Herrn
Doctors bewundern. Vergeben Sie mir, mein Herr,
daß ich Sie mit Erzaͤhlung ſolcher Sachen aufhalte,
die Jhnen nicht fremde ſind, aber doch noch bekannter
ſeyn wuͤrden, wenn Sie ſo, wie ich, unter Reimen und
Wuͤnſchen grau geworden waͤren. Jch bin niemals
weitlaͤuftiger, als wenn ich auf die Gluͤckſeligkeit der
der vergangnen Zeiten zu reden komme, in welchen
kein Handwerksmann lebte, der nicht auch zugleich ein
Maͤcenat war. Es geht mir, wie den alten Schoͤnen,

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[199/0273] an den Autor. Bette zu legen. Kein Magiſter durfte ſich unterſte- hen, mit gutem Gewiſſen den Ring zu tragen, wenn er nicht wenigſtens ein Dutzend gedruckte Zeugniſſe von dem Beſitze der ſieben freyen Kuͤnſte aufzuweiſen hatte. Wir Poeten, (die Thraͤnen treten mir in die Augen, wenn ich daran gedenke,) wir goͤttlichen Poe- ten, hatten an der Geburt, und an dem Abſterben unſ- rer Nebenmenſchen eben ſo viel Antheil, als die Heb- ammen und Aerzte. So bald ein Kind auf die Welt kam, ſo ſchwuren wir, ſo lange wir noch Athem und Reime hatten, daß es des theuern Vaters Ebenbild, und die Hoffnung des hohen Hauſes, ſo wie des gan- zen Vaterlandes waͤre. Starb aber jemand, ſo war keine Muſe auf dem Parnaſſe, welche nicht mit zu Grabe gehen mußte; denn es fehlte oftmals dem Wohlſeligen an betruͤbten Erben, und dem Dichter an Gelde. Bartholus und Baldus hatten keine ruhi- ge Stunde; denn ſo bald ein gelehrter Herr Candidat, durch die weiſe Vorſehung ſeiner Mama, zum Prie- ſter der Gerechtigkeit eingeweihet wurde; So zog ich dieſe graubaͤrtigen Rechtsgelehrten aus ihrer Gruft hervor, und ließ ſie die Weisheit des jungen Herrn Doctors bewundern. Vergeben Sie mir, mein Herr, daß ich Sie mit Erzaͤhlung ſolcher Sachen aufhalte, die Jhnen nicht fremde ſind, aber doch noch bekannter ſeyn wuͤrden, wenn Sie ſo, wie ich, unter Reimen und Wuͤnſchen grau geworden waͤren. Jch bin niemals weitlaͤuftiger, als wenn ich auf die Gluͤckſeligkeit der der vergangnen Zeiten zu reden komme, in welchen kein Handwerksmann lebte, der nicht auch zugleich ein Maͤcenat war. Es geht mir, wie den alten Schoͤnen, wel- N 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/273>, abgerufen am 18.05.2024.