[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Von Unterweisung Der alte Richard, welcher gestern in unsrer Ge- chen
Von Unterweiſung Der alte Richard, welcher geſtern in unſrer Ge- chen
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Von Unterweiſung
Der alte Richard, welcher geſtern in unſrer Ge-
ſellſchaft war, ſoll mir zum Beweiſe meines Satzes
dienen. Du kennſt ſeinen Sohn, der anitzt durch
wirkliche Verdienſte unter den Gelehrten eine an-
ſehnliche Stelle bekleidet. Kaum hatte dieſer das
ſechſte Jahr erreicht, als ihn ſein ſorgfaͤltiger Vater
der Aufſicht eines jungen Menſchen anvertraute,
welcher ihm die noͤthigſten Gruͤnde unſers Glau-
bens beybringen, und ihn zu einer wohlanſtaͤndigen
Auffuͤhrung angewoͤhnen ſollte. Alles, was er mit
dem Knaben redete, was ihn dieſer fragte; das
mußte, ſo viel es moͤglich ſeyn wollte, in lateiniſcher
Sprache geſchehen. Jede Sache, die im Hauſe,
auf der Gaſſe, in der Kirche, oder im Garten vor-
kam, die gemeinſten Geſchaͤffte, welche taͤglich vorfie-
len, wurden auf Lateiniſch benannt. Dieſe Be-
muͤhung gieng gluͤcklich von ſtatten. Nach Ver-
lauf einer Zeit von vier Jahren war der junge Ri-
chard ſchon vermoͤgend, ſich in der lateiniſchen
Sprache ordentlich und deutlich auszudruͤcken, und
regelmaͤßig zu reden, ohne zu wiſſen, warum er ſei-
ne Worte eben ſo, und nicht anders, ſetzen muͤſſe,
Nunmehr glaubte man, daß es Zeit waͤre, ihn die
vornehmſten Regeln der Grammatik zu lehren, und
weil er die Sprache ſchon verſtund, ſo faßte er dieſe
in wenigen Monaten. Die griechiſche Sprache
war ihm, als einem kuͤnftigen Gelehrten, zu wiſſen
unentbehrlich. Weil aber ſein Vater meynte, es
ſey eine gelehrte Eitelkeit, griechiſch zu reden, oder
dergleichen Schriften und Gedichte zu verfertigen:
So ſchien es genug zu ſeyn, ihn nach den ordentli-
chen
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