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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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der Jugend.
müssen Latein lernen. Es würde lächerlich seyn,
wenn du ihn fragen wolltest, ob er deutsch verstün-
de? Ob er einen guten Brief schreiben könnte? Er
ist ja ein Deutscher; er ist in Meißen geboren;
sollte er nicht Deutsch verstehen? Von der griechi-
schen Sprache hat er noch zur Noth so viel begrif-
fen, als er auf der hohen Schule, binnen drey Jah-
ren zu verlernen gedenkt. Wie geschwind verlau-
fen diese! Er muß eiligst nach Hause. Sein Va-
ter verlangt es, weil ein Amt, und eine reiche Frau
auf ihn warten. Nunmehr ist unser Gelehrter
fertig!

Sage mir, mein Freund, ob nicht dieses die ge-
wöhnlichste Art sey, unsre Jugend zu unterweisen?
Du wirst es nicht läugnen können; du wirst aber
auch zugleich gestehen müssen, daß solches die wahr-
hafte Ursache sey, warum nur so wenige sich eine
rechtschaffne Gelehrsamkeit erwerben. Der ganze
Fehler beruht meines Erachtens darinnen, daß wir
glauben, wer die lateinische Sprache verstehe, der
sey ein Gelehrter; und daß wir durch eine weit-
läuftige Erlernung derselben, diejenige Zeit versäu-
men, welche wir zugleich auf nützlichere Sachen
wenden sollten.

Aber soll ein Gelehrter kein Latein verstehen?
Dieses ist meine Meynung keinesweges. Jch be-
haupte vielmehr, daß er in dieser Sprache eben so
stark seyn müsse, als in seiner Muttersprache. Nur
das kann ich nicht begreifen, warum wir der Ju-
gend die Erlernung derselben so schwer machen?

Der
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der Jugend.
muͤſſen Latein lernen. Es wuͤrde laͤcherlich ſeyn,
wenn du ihn fragen wollteſt, ob er deutſch verſtuͤn-
de? Ob er einen guten Brief ſchreiben koͤnnte? Er
iſt ja ein Deutſcher; er iſt in Meißen geboren;
ſollte er nicht Deutſch verſtehen? Von der griechi-
ſchen Sprache hat er noch zur Noth ſo viel begrif-
fen, als er auf der hohen Schule, binnen drey Jah-
ren zu verlernen gedenkt. Wie geſchwind verlau-
fen dieſe! Er muß eiligſt nach Hauſe. Sein Va-
ter verlangt es, weil ein Amt, und eine reiche Frau
auf ihn warten. Nunmehr iſt unſer Gelehrter
fertig!

Sage mir, mein Freund, ob nicht dieſes die ge-
woͤhnlichſte Art ſey, unſre Jugend zu unterweiſen?
Du wirſt es nicht laͤugnen koͤnnen; du wirſt aber
auch zugleich geſtehen muͤſſen, daß ſolches die wahr-
hafte Urſache ſey, warum nur ſo wenige ſich eine
rechtſchaffne Gelehrſamkeit erwerben. Der ganze
Fehler beruht meines Erachtens darinnen, daß wir
glauben, wer die lateiniſche Sprache verſtehe, der
ſey ein Gelehrter; und daß wir durch eine weit-
laͤuftige Erlernung derſelben, diejenige Zeit verſaͤu-
men, welche wir zugleich auf nuͤtzlichere Sachen
wenden ſollten.

Aber ſoll ein Gelehrter kein Latein verſtehen?
Dieſes iſt meine Meynung keinesweges. Jch be-
haupte vielmehr, daß er in dieſer Sprache eben ſo
ſtark ſeyn muͤſſe, als in ſeiner Mutterſprache. Nur
das kann ich nicht begreifen, warum wir der Ju-
gend die Erlernung derſelben ſo ſchwer machen?

Der
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[151/0225] der Jugend. muͤſſen Latein lernen. Es wuͤrde laͤcherlich ſeyn, wenn du ihn fragen wollteſt, ob er deutſch verſtuͤn- de? Ob er einen guten Brief ſchreiben koͤnnte? Er iſt ja ein Deutſcher; er iſt in Meißen geboren; ſollte er nicht Deutſch verſtehen? Von der griechi- ſchen Sprache hat er noch zur Noth ſo viel begrif- fen, als er auf der hohen Schule, binnen drey Jah- ren zu verlernen gedenkt. Wie geſchwind verlau- fen dieſe! Er muß eiligſt nach Hauſe. Sein Va- ter verlangt es, weil ein Amt, und eine reiche Frau auf ihn warten. Nunmehr iſt unſer Gelehrter fertig! Sage mir, mein Freund, ob nicht dieſes die ge- woͤhnlichſte Art ſey, unſre Jugend zu unterweiſen? Du wirſt es nicht laͤugnen koͤnnen; du wirſt aber auch zugleich geſtehen muͤſſen, daß ſolches die wahr- hafte Urſache ſey, warum nur ſo wenige ſich eine rechtſchaffne Gelehrſamkeit erwerben. Der ganze Fehler beruht meines Erachtens darinnen, daß wir glauben, wer die lateiniſche Sprache verſtehe, der ſey ein Gelehrter; und daß wir durch eine weit- laͤuftige Erlernung derſelben, diejenige Zeit verſaͤu- men, welche wir zugleich auf nuͤtzlichere Sachen wenden ſollten. Aber ſoll ein Gelehrter kein Latein verſtehen? Dieſes iſt meine Meynung keinesweges. Jch be- haupte vielmehr, daß er in dieſer Sprache eben ſo ſtark ſeyn muͤſſe, als in ſeiner Mutterſprache. Nur das kann ich nicht begreifen, warum wir der Ju- gend die Erlernung derſelben ſo ſchwer machen? Der K 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/225>, abgerufen am 24.11.2024.