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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Von der Zuläßigkeit
mit sich Jhre Satyre beschäfftigen kann. Wer
wollte die Trunkenheit nicht für strafenswerth ach-
ten? Stellen Sie Sich aber zween Söhne vor,
welche ihren trunknen Vater auf der Erde und
entblößt liegen sehen. Der eine lacht darüber, er
ruft die Nachbarschaft herzu; er zeigt ihr an sei-
nem Vater, wie schändlich die Trunkenheit sey, er
weist ihr dessen Blöße. Der andre wendet sein
Gesichte ab, er bedeckt den entblößten Vater.
Welcher von diesen beiden Söhnen ist wohl der
vernünftigste?

Von der Schreibart, deren man sich in der
Satyre zu bedienen hat, will ich nur noch ein paar
Worte sagen. Mein Vortrag muß ordentlich
seyn; denn ich will andre überzeugen. Er muß
nicht ausschweifend seyn, und meine Ueberlegung
muß mehr Antheil daran haben, als meine Einbil-
dungskraft. Aber dunkel darf er auch nicht seyn;
denn ich will den Verstand meiner Leser nicht er-
müden, sondern belustigen. Alle niederträchtige,
alle anstößige Schreibart muß ich sorgfältig ver-
meiden; sonst werde ich mehr schaden, als erbauen.
Viele glauben, recht beißend zu schreiben, wenn
sie schmähen und schimpfen. Allein dieses schickt
sich für einen Sittenlehrer nicht, welcher die Laster
und Fehler der Menschen lächerlich machen will.
Vielmehr könnte man sie unter die muthwilligen
Jungen zählen, welche die Vorübergehenden mit
Kothe werfen.

Jch

Von der Zulaͤßigkeit
mit ſich Jhre Satyre beſchaͤfftigen kann. Wer
wollte die Trunkenheit nicht fuͤr ſtrafenswerth ach-
ten? Stellen Sie Sich aber zween Soͤhne vor,
welche ihren trunknen Vater auf der Erde und
entbloͤßt liegen ſehen. Der eine lacht daruͤber, er
ruft die Nachbarſchaft herzu; er zeigt ihr an ſei-
nem Vater, wie ſchaͤndlich die Trunkenheit ſey, er
weiſt ihr deſſen Bloͤße. Der andre wendet ſein
Geſichte ab, er bedeckt den entbloͤßten Vater.
Welcher von dieſen beiden Soͤhnen iſt wohl der
vernuͤnftigſte?

Von der Schreibart, deren man ſich in der
Satyre zu bedienen hat, will ich nur noch ein paar
Worte ſagen. Mein Vortrag muß ordentlich
ſeyn; denn ich will andre uͤberzeugen. Er muß
nicht ausſchweifend ſeyn, und meine Ueberlegung
muß mehr Antheil daran haben, als meine Einbil-
dungskraft. Aber dunkel darf er auch nicht ſeyn;
denn ich will den Verſtand meiner Leſer nicht er-
muͤden, ſondern beluſtigen. Alle niedertraͤchtige,
alle anſtoͤßige Schreibart muß ich ſorgfaͤltig ver-
meiden; ſonſt werde ich mehr ſchaden, als erbauen.
Viele glauben, recht beißend zu ſchreiben, wenn
ſie ſchmaͤhen und ſchimpfen. Allein dieſes ſchickt
ſich fuͤr einen Sittenlehrer nicht, welcher die Laſter
und Fehler der Menſchen laͤcherlich machen will.
Vielmehr koͤnnte man ſie unter die muthwilligen
Jungen zaͤhlen, welche die Voruͤbergehenden mit
Kothe werfen.

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[144/0218] Von der Zulaͤßigkeit mit ſich Jhre Satyre beſchaͤfftigen kann. Wer wollte die Trunkenheit nicht fuͤr ſtrafenswerth ach- ten? Stellen Sie Sich aber zween Soͤhne vor, welche ihren trunknen Vater auf der Erde und entbloͤßt liegen ſehen. Der eine lacht daruͤber, er ruft die Nachbarſchaft herzu; er zeigt ihr an ſei- nem Vater, wie ſchaͤndlich die Trunkenheit ſey, er weiſt ihr deſſen Bloͤße. Der andre wendet ſein Geſichte ab, er bedeckt den entbloͤßten Vater. Welcher von dieſen beiden Soͤhnen iſt wohl der vernuͤnftigſte? Von der Schreibart, deren man ſich in der Satyre zu bedienen hat, will ich nur noch ein paar Worte ſagen. Mein Vortrag muß ordentlich ſeyn; denn ich will andre uͤberzeugen. Er muß nicht ausſchweifend ſeyn, und meine Ueberlegung muß mehr Antheil daran haben, als meine Einbil- dungskraft. Aber dunkel darf er auch nicht ſeyn; denn ich will den Verſtand meiner Leſer nicht er- muͤden, ſondern beluſtigen. Alle niedertraͤchtige, alle anſtoͤßige Schreibart muß ich ſorgfaͤltig ver- meiden; ſonſt werde ich mehr ſchaden, als erbauen. Viele glauben, recht beißend zu ſchreiben, wenn ſie ſchmaͤhen und ſchimpfen. Allein dieſes ſchickt ſich fuͤr einen Sittenlehrer nicht, welcher die Laſter und Fehler der Menſchen laͤcherlich machen will. Vielmehr koͤnnte man ſie unter die muthwilligen Jungen zaͤhlen, welche die Voruͤbergehenden mit Kothe werfen. Jch

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/218>, abgerufen am 18.05.2024.